Wo Menschen in einer Gruppe zusammenarbeiten, entstehen immer auch Reibungen. Ein Coaching kann helfen, die Probleme im Job zu lösen.
Unsere Mitmenschen können uns ziemlich auf den Wecker gehen, wenn sie sich anders verhalten, als wir das gerne hätten. Eben noch die besten Freunde oder Kolleginnen, liegen wir uns plötzlich in den Haaren. Weil A meint, dass eine Angelegenheit so und so zu laufen hat. Und B darauf beharrt, dass es völlig anders gehen muss. Konflikte gehören zum Alltag, aber oft verhaken wir uns darin, weil wir nur die Spitze des „Eisbergs“ sehen: Fakten, Zahlen und Sachverhalte. Das Wort „Konflikt“ stammt jedoch vom lateinischen „confligere“ ab und bedeutet „zusammentreffen, kämpfen“. Na toll. Dann lieber zusammentreffen als kämpfen, aber wie bekommen wir das hin?
Zunächst sollte man sich klarmachen: Jeder Konflikt ist ein Auseinandersetzungsprozess. Es gibt Zielkonflikte, Beurteilungs-, Verteilungs-, Rollenkonflikte, persönliche Konflikte und weitere mehr. Verschiedene Einstellungen, Erwartungen, Meinungen, Wertvorstellungen und Ziele von zwei oder mehr Personen treffen aufeinander, aber vieles davon ist unbewusst. Der größte Teil des Kommunikations-Eisbergs liegt unter der sichtbaren Oberfläche (Stichwort: der Untergang der Titanic). Wir vergessen im übervollen Alltag leicht, uns um all die Dinge zu kümmern, die unter der Oberfläche verborgen sind. Gefühle, Bedürfnisse und Werte wollen aber berücksichtigt werden, um einen Konflikt zu lösen.
Ein Beispiel aus der Arbeitswelt. (Erstaunlich, dass wir dort oft harmonisch mit den Kollegen und Chefs zu guten Ergebnissen kommen, und nicht den ganzen Tag mit dem Speer in der Faust und grollender Miene aufeinander los gehen. Schließlich tragen wir immer noch Neandertaler-Gene in uns.) Also: Ein kleines, sehr einsatzfreudiges Team in einer Werbeagentur besteht aus zwei formal gleichgestellten Fachkräften. Jessica, Ende 50, arbeitet seit über 25 Jahren im Unternehmen. Sie hat stets den Durchblick, ist aber überlastet und kann sich schwer abgrenzen. Sie versorgt „nebenbei“ ihren hoch betagten pflegebedürftigen Vater. Marla, 32, hat vor drei Jahren ihre erste Stelle in dieser Abteilung angetreten. Die Mutter dreier kleiner Kinder – um die sich vor allem ihr Ehemann als „Hausmann“ kümmert – , ist sehr motiviert und will viel leisten. Zum eingespielten Zweierteam, das in einem Zimmer arbeitet, kommt nun eine dritte Kollegin hinzu, die neue Aufgaben übernimmt. Die Zusammenarbeit im Team funktioniert zunächst sehr gut. Aber nun knallt es zwischen Jessica und Marla. Die beiden nehmen mit Einverständnis ihres Vorgesetzten eine professionelle Coachin zur Hilfe, um wieder konstruktiv miteinander arbeiten zu können.
Jessica klagt dieser gegenüber: „Ich bin total überfordert und schaffe das nicht mehr lange, und Marla klotzt täglich rein! Sie lässt sich immer noch mehr Arbeitsaufträge vom Chef aufhalsen. Sie wirkt auf mich, als ob sie stolz darauf ist, dass sie mich nun endlich überflügelt hat. Ich würde mich so gerne besser abgrenzen, aber Marla sieht das bestimmt nicht ein, dass gegenüber dem Chef jetzt unbedingt Grenzen nötig sind. Ich traue mich aber nicht, ihr das zu sagen, dann ist sie bestimmt beleidigt.“ Jessica ist schwer genervt: „Marla empfängt mich meistens mit der Mitteilung, sie habe schon einige Kundengespräche geführt, wenn ich morgens zur Arbeit komme. Und länger als ich bleibt sie meistens auch, ich muss mich aber dann um meinen Vater kümmern.“
Ohne Konflikte? Geht nicht
Die Coachin erklärt: „Miteinander arbeiten ohne Konflikte gibt es nicht. Immer müssen Menschen ihre unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche in Einklang bringen. Das Gegeneinander gilt es aufzulösen und ein Miteinander zu ermöglichen. Das Verhalten der Kolleginnen sei von großer Angst vor direkter Auseinandersetzung bestimmt. „Beide hätten den Konflikt viel lieber verdrängt. Dennoch war es ihnen im Verlauf des Coachings möglich, ihn größtenteils aufzulösen und wieder harmonisch miteinander zu arbeiten. Beiden wurden klar, wie stark die persönliche und die berufliche Ebene im Konfliktfall ineinandergreifen. Das ist im Berufsleben ganz oft der Fall.“
Im Einzelcoaching stellt Jessica die Situation subjektiv aus ihrer Sicht dar. Die Erlaubnis, hier zu sprechen, ohne zu denken „Das kann ich doch nicht sagen“ oder „Ich kann meine Kollegin nicht so schlecht darstellen“, löst erstaunlicherweise die Erkenntnis aus, dass es mehrere Perspektiven auf die Situation gibt. Die Coachin leitet Jessica an, ihre Gefühle wahrzunehmen. Das ist für viele Menschen ungewohnt. Jessica kann allmählich ihre Ängste in Worte fassen: Meine Arbeitskraft lässt mit steigendem Alter nach, auch wegen meiner privaten Belastung. Meine viel jüngere Kollegin ist besser als ich, macht keine Fehler und sieht auch etwas auf mich herab. Lob vom Chef für unser Mini-Team bezieht sie automatisch auf sich. Mich mit Marla auseinanderzusetzen, kostet mich aber zu viel Energie. Ich will einfach meine Ruhe haben.
Jessica sieht jedoch ein, dass Marla auch Fehler macht und nicht alle ihre Ergebnisse top sind. Mit der Coachin entwirft sie Strategien gegen ihr schlechtes Gewissen, wenn ihre tägliche Arbeitszeit kürzer ist als Marlas. Die Coachin erläutert: „Der erste Schritt besteht immer darin, sich so etwas bewusst zu werden, es auszusprechen und realistischer anzuschauen.“ Jessica begreift, dass sie immer noch mehr leistet als gefordert und sie wertvolle Arbeit für das Unternehmen leistet. Ihre viel zu hohen Ansprüche an sich selbst werden ihr nun klar.
Ein typischer Coaching-Verlauf: Jessica arbeitet an konkreten Abgrenzungs- und Bewältigungsstrategien. Sie findet Strukturen, die ihr den Arbeitstag erleichtern und ihre Überforderung mindern. Beispiele: Kundengespräche und -meetings werden nun rechtzeitig und konsequenter geplant. Die Aufgaben werden mehr den Kernkompetenzen entsprechend im Team verteilt. An ihr Telefon geht sie nur zu bestimmten Zeiten. Jessica spricht außerdem mit dem Chef über Entlastungsmöglichkeiten und bereitet sich gut darauf vor. Die Coachin legt dar: „Vorgesetzte reagieren oft ablehnend, wenn Mitarbeitende undifferenziert klagen, ihnen sei alles zu viel. Wichtig ist, sich gut vorzubereiten und alle Knackpunkte konkret zu benennen.“ Sie ist überzeugt: „Wir alle können viel Zeit und Kraft sparen, wenn wir unsere Arbeit so gestalten, dass es zu uns persönlich passt. Dazu zählen auch klare Ansagen und eine Abgrenzung, die jedoch den Kolleginnen und Kollegen nachvollziehbar vermittelt werden muss.“
Zum Coachingprozess gehört zudem, innere Antreiber und biografische Aspekte zu entschlüsseln: Jessicas innerer Antreiber ist der Perfektionismus, der sie ständig unter Druck setzt: Sie könnte ja alles besser und schneller erledigen. Mit der Coachin entschlüsselt sie, warum in ihrer Familie Perfektionismus so wichtig war, wie sie das geprägt hat und warum sie meint, dass ihre junge Kollegin ihr überlegen ist. Sie resümiert: „Ich fühle mich erleichtert und sehe nun ein, dass ich mich weder abhetzen noch in meinem Alter immer noch besser werden muss. Nun kann ich auch Marla mit anderen Augen sehen und mich besser von ihrem großen Ehrgeiz abgrenzen: Ihr macht es Freude ranzuklotzen, aber das ist nicht gegen mich gerichtet.“
Ein Beispiel: Jessica fragt nicht mehr Marla, ob sie nicht genug für heute geleistet hätten, sondern sagt: „Ich muss jetzt los zu meinem Vater, wir sehen uns morgen früh wieder.“ Viele Menschen wagen es nicht, so ehrlich und direkt zu sein. Aber man kann das üben, am besten zunächst in weniger emotionalen Situationen. Nach fünf Coaching-Sitzungen erleben die beiden ihr Beieinander als deutlich entspannter. Konflikte gibt es zwar ab und zu noch, aber sie gehen eher ins Gespräch darüber und können ihre eigenen Standpunkte und Wünsche klarer machen und Lösungen finden.
Marla übt nun genauso wie Jessica, sich mutiger in Konflikte hineinzubegeben und sie offen anzusprechen. Sie lernt, dass sie Auseinandersetzungen aktiv selbst beeinflussen und unschöne Situationen mitgestalten kann. „Ganz wichtig ist, den Blick erstmal auf sich selbst zu richten, auf die eigenen Bedürfnisse und Grenzen“, betont die Coachin. Denn Selbstfürsorge ist auch im Arbeitsleben die Voraussetzung, um nicht in Konflikten unterzugehen und in eine Stressspirale zu geraten. In der Regel verändert sich die gesamte Dynamik bereits, wenn sich ein Part verändert.
Was bedeutet das nun für uns selbst?
Es lohnt sich, bei bestehenden Konflikten zunächst sich selbst zu klären. Im Idealfall erkennt man den eigenen Anteil daran und kommt so einer Lösung näher. Immer berücksichtigen: Viele Faktoren beeinflussen unser Denken, Fühlen und Handeln. Ein großer Teil davon ist uns wenig oder gänzlich unbewusst, gleich dem Sockel des Eisbergs, der sieben Achtel davon ausmacht.
Wir handeln meistens aus scheinbar rationalen Gründen oder aus dem Bauchgefühl heraus, ohne uns die Motive klarzumachen. Störungen auf der Beziehungsebene wirken sich auf der Sachebene aus und umgekehrt. Oft lassen die unbewussten Faktoren den Alltag nicht rund laufen oder verursachen Konflikte. Tipp der Coachin: „Schauen Sie sich an, was nach einer ehrlichen Selbstklärung vom Konflikt übrig bleibt. Falls Sie sich dann in eine Auseinandersetzung mit Ihrem Konfliktpartner gehen wollen, bereiten Sie sich gut vor. Beantworten Sie sich diese Fragen: Was kann und möchte ich erreichen? Was kann ich selbst dazu beitragen? Welchen Preis würde ich dafür zahlen? Was erwarte ich von meinem Gegenüber? Wie verhalte ich mich, wenn mein Gegenüber nicht auf mich eingeht?“
Zur Unterstützung kann man die Situation mit einer außenstehenden Person besprechen: Was kann ich durch eine Ansprache des Konflikts verlieren? Was kann schlimmstenfalls geschehen? Was geschieht im besten Fall? Was hat auch mein Gegenüber von der Lösung des Konflikts? Eine so vorbereitete Aussprache habe gute Chancen, die Situation zu verbessern.
Warum kommt es jetzt zum Konflikt?
Warum ist der Konflikt zwischen Marla und Jessica nach langer Zusammenarbeit aufgetaucht? „Die externen Faktoren haben ihn ausgelöst“, erklärt die Coachin: Die Kolleginnen sind ein eingespieltes, aber überlastetes Team. Jetzt kommt eine neue Kollegin in die kleine Abteilung. Bisher mussten sie ihre Aufgaben zu zweit schaffen und hatten das Gefühl, dass sie nicht streiten durften. Denn sie sind sehr aufeinander angewiesen. Erst jetzt, wo eine dritte ins Spiel kommt, bricht der Konflikt aus. Eine typische Situation: Das Team wächst, die Rollen verteilen sich neu: Wer hat nun das Sagen? Wer kann mit wem? Wer leistet die beste Arbeit?
Weitere Auslöser für Konflikte im Berufsleben sind, laut Coachin: 1. andere Räumlichkeiten: Das kann zu Kämpfen führen um Privilegien, bestimmte Plätze, Nähe oder Ferne zum Chef. 2. zunehmender Leistungsdruck durch Arbeitsverdichtung, etwa durch mehr Aufgaben oder wenn jemand aus dem Team länger ausfällt. „Unter Druck greift jede Person auf ihre bewährten Verhaltensmuster zur Krisenbewältigung zurück. Dies geschieht meist unbewusst und unabhängig davon, ob das Verhalten erfolgreich war oder nicht.“ 3. neue Vorgesetzte: Das löst die Angst aus, ob man zum Beispiel die Anerkennung des Chefs behält, ob die eigene Leistung gewürdigt wird. 4. eigene neue Aufgaben oder die eigene Beförderung: Die Kollegen gehen erst einmal auf Abstand und beobachten einen. Der Respekt in der neuen Rolle muss erst verdient werden. Vorwürfe stellen sich ein wie „Der fühlt sich jetzt wohl als was Besseres!“
Es gibt also viele Fallstricke im Umgang mit Kollegen und Chefs. Und jeder Beteiligte bringt seine individuelle Biografie mit, aus der oftmals ungünstige Verhaltensmuster resultieren. Zu einer guten Führungskultur in Unternehmen und einzelnen Abteilungen gehört es, sich dessen bewusst zu sein und Konflikte kompetent anzugehen. Oft sind Vorgesetzte aber leider genauso unerfahren und ahnungslos wie ihre Mitarbeitenden. Oder sie kümmern sich nicht um Konflikte, weil sie mit anderen Aufgaben ge- oder überfordert sind. Bevor die Zusammenarbeit und die Stimmung in Teams kippt, sollte man in Erwägung ziehen, sich professionelle Unterstützung zu holen.
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