Dortmund. Bei der Übertragung der Partie Deutschland gegen Dänemark könnten Spieler unsichtbar werden. Was virtuelle Werbung damit zu tun hat.

Seit Anfang der Fußball-Europameisterschaft ist bei jeder Übertragung kurz der Hinweis „Die Sendung enthält virtuelle Werbung“ auf dem Bildschirm zu sehen. Interessiert hat das in den ersten Tagen kaum jemanden. Bis ein slowakischer Kicker plötzlich unsichtbar wurde.

Was ist denn virtuelle Werbung im Fernsehen überhaupt?

Virtuelle Werbung, auch Virtual Board Replacement genannt, fügt digitale Werbung in das TV-Bild ein, die in der Realität nicht vorhanden ist. Mit anderen Worten: Die reale Bandenwerbung im Stadion wird im Fernsehen durch eine andere Werbebotschaft überblendet. Mögliche machen das spezielle Programme, die von verschiedenen Firmen entwickelt worden sind.

Noch ist der Milan Skriniar, Kapitän der Slowakei hinten im Tornetz gut zu sehen...
Noch ist der Milan Skriniar, Kapitän der Slowakei hinten im Tornetz gut zu sehen... © Screenshot: Tagesschau | Screenshot: Tagesschau

Was bringt so eine virtuelle Werbung?

Mehr Geld, besonders bei großen internationalen Sportveranstaltungen, wie einer Fußball-Europa-Meisterschaft. Denn mit virtueller Werbung kann ein und dieselbe Bande mehrfach vermarktet werden. So könnte sie zum Beispiel für Zuschauer in den USA für die Supermarktkette „Walmart“ werben, während auf deutschen Bildschirmen etwa der Name „Lidl“ auftaucht. Die bislang übliche Doppelproduktion bei internationalen Spielen auf den gegenüberliegenden Stadionseiten wird damit hinfällig. Bei der EM 2024 wird virtuelle Werbung allerdings nur in Deutschland, China und den USA ausgestrahlt. Fans in anderen Ländern sehen bei ihren TV-Übertragungen dagegen die Banden, die auch die Zuschauer im Stadion sehen.

Braucht man dafür spezielle Technik im Stadion?

Kommt darauf an, welches System genutzt wird. Manche benötigen spezielle Kameras oder Banden, die jüngsten Entwicklungen aber funktionieren rein auf Softwarebasis. Sie benötigen weder besondere Kameras noch speziell geschultes Personal. Was den Einsatz der Technik deutlich günstiger macht.

Gibt es diese virtuelle Werbung nur bei der Fußball-Europameisterschaft?

Nein. Auch in anderen Sportarten wie der Formel 1, im Eishockey, bei Ski-Flugwettbewerben und in der Bundesliga wird diese Technologie eingesetzt. Aber das Turnier in diesem Sommer ist das erste internationale Großereignis, bei dem virtuelle Bandenwerbung flächendeckend bei den Übertragungen zum Einsatz kommt.

...langsam verschwindet er in der virtuellen Werbung...
...langsam verschwindet er in der virtuellen Werbung... © Screenshot: Tagesschau | Screenshot: Tagesschau

Ist die Technik eigentlich schon länger auf dem Markt?

Ja. Der Pay-TV-Sender Sky experimentierte schon damit, da hieß er noch Premiere. Bereits seit 2018 kann virtuelle Werbung bei internationalen Live-Übertragungen von Spielen der Bundesliga und 2. Bundesliga eingesetzt werden. Nach eigener Aussage war die Bundesliga weltweit die erste Liga, die virtuelle Bandenwerbung auf LED-Banden eingeführt hat. Vorreiter war damals Borussia Dortmund. Aufgefallen ist das alles kaum, weil das Bild der Banden lediglich laut Deutscher Fußballliga „in anderen Regionen der Welt durch digitale Überblendungen im Sendesignal individuell angepasst werden“ könne.

...bis kaum noch etwas von ihm zu sehen ist.
...bis kaum noch etwas von ihm zu sehen ist. © Screenshot: Tagesschau | Screenshot: Tagesschau

Warum ist denn nun der slowakische Spieler in der Partie gegen Belgien plötzlich verschwunden?

Weil die Technik zwar ständig verbessert wird aber trotzdem längst noch nicht perfekt ist. Mehrere Systeme für virtuelle Werbung gibt es auf dem Markt, eines davon wurde vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin entwickelt. Es kommt zwar nicht bei der EM zum Einsatz, wird aber bereits weltweit genutzt. Alle Systeme, erklärt Wolfgang Vonolfen, Leiter des Fraunhofer Projektes, erkennen anhand der Bildpunkte im aufgenommenen TV-Bild, wo sich die Werbe-Bande befindet und die Bildpunkte für eine andere Werbung ersetzt werden müssen. „Das ist meist noch recht einfach.“ Der „Knackpunkt“ sei, Objekte (Spieler, Schiedsrichter) vor der Bande zu erkennen und diese nicht zu ersetzen. Im vorliegenden Fall war der slowakische Kapitän bei einer Abwehraktion rückwärts ins Tornetz gefallen und wurde dann von der Bande „verschluckt“ Während er tatsächlich direkt vor der realen Bande steht, „übermalt“ das System mit der virtuellen Werbung, die an dieser Stelle gezeigt wird“. Möglicherweise, sagt Vonolfen, habe das auch an der filigranen, sehr schwer zu erkennenden Struktur des Tornetzes gelegen. „Theoretisch kann das aber überall passieren, wo etwas vor der echten Bande steht“, sagt der Experte.

Kann virtuelle Werbung noch mehr, als jetzt zu sehen ist?

Ja. In der niederländischen Fußball-Liga werden die physischen Banner neben den Toren mittlerweile durch virtuelle Versionen mit wechselnden Motiven ersetzt. Und bei einigen Sportarten in Australien oder den USA werden Werbelogos längst auf den Rasen oder Hallenboden „gezaubert“, wo es sonst gar keine Werbetafeln gibt.

Warum passiert das in Deutschland nicht?

Weil es im Medienstaatsvertrag strenge Regeln gibt. Nach denen muss bei jeder Übertragung auch der Hinweis auf virtuelle Werbung eingeblendet werden. Zudem darf virtuelle Werbung nur übertragen werden, wenn „eine am Ort der Übertragung ohnehin bestehende Werbung ersetzt wird“.

Kann ich denn als TV-Zuschauer gar nicht sehen, wie es im Stadion tatsächlich aussieht?

Kommt auf ihren Fernseher an. Wenn Sie ein modernes Smart-TV haben, können Sie das manchmal. Überträgt die ARD, wählt man dafür die Live-Stream-Übertragung für den „Tactical Feed“ aus. Nachteil: Sie sehen die ganze Partie dann aus der Vogelperspektive.

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