Ruhrgebiet/Kleve. Für die Sicherheit kontrollieren Bundespolizisten derzeit auch an Bahnhöfen. Wen sie aus dem Verkehr ziehen und warum dauernd Stau ist.
Das Feuerwerk steckte in einer Tüte. Im Kofferraum brachte ein Belgier Bengalos und Rauchgranaten mit zum Spiel seiner Mannschaft gegen die Ukraine, allein: Er kam nicht weit. An der Grenze schickte die Bundespolizei den 26-Jährigen zurück. Mitsamt der Eintrittskarte. Mehr als 2300 unerlaubte Einreisen wie diese seien so bereits verhindert worden, meldete das Innenministerium in Berlin, da hatte die EM noch nicht einmal Halbzeit. Denn für die Zeit des Turniers und dessen Sicherheit werden Deutschlands Grenzen derzeit wieder stichprobenartig kontrolliert. Sie suchen Hooligans, vor allem, aber viele, die dort auffallen, wollen gar nicht ins Stadion.
Die niederländischen Nachbarn lassen sich zunächst nichts anmerken. Eine blinkende Baustellenwarnung auf der A77, aus Boxmeer kommend Richtung Köln, darunter das Wort für Stau, „file“. Stau stimmt, Baustelle nicht. Eine Spur nach der anderen geht weg, am Ende steht die Schlange auf dem Standstreifen (wie der Name schon sagt). Danach: der alte, schon so lange nicht mehr genutzte Grenzparkplatz. Wenig Politie, dafür Koninklijke Marechaussee und noch mehr Bundespolizei: deutsche Grenzschützer, nur ohne König.
Fahndungsraster: „Den begeisterten Fußballfan erkennt man sofort“
Viel Blaulicht auf blauen Autos, und in den Radionachrichten werden die Staumeldungen in diesen Wochen immer länger. An Grenzübergängen zu den Niederlanden, Belgien und Frankreich werden Wagen aus dem Stau gelotst und kontrolliert. Hooligans entdecken sie so, Drogenkuriere, Menschen ohne Pass, aber mit Haftbefehl. Nach welchen Kriterien suchen sie? „Fahndungsraster“, heißt es bei der Bundespolizei geheimnisvoll, Erfahrung auch und „guter Instinkt“. „Den begeisterten Fußballfan erkennt man sofort“, sagt Jens Flören, Sprecher der für NRW zuständigen Direktion Sankt Augustin. In den Niederlanden trägt dieser Fan Orange und hat gute Laune, von einem „Happening“ erzählt Flören und gemeinsamen Fotos.
Es gibt solche Anhänger auch aus England, sie fliegen über den Flughafen Schiphol nach Europa ein, sie kommen mit Fähren oder durch den Kanaltunnel in Belgien an und in Bussen auch über die südlichen und östlichen Grenzen nach Deutschland. Aber es gibt eben auch jene, die nicht den Fußball toll finden, sondern die Schlägereien drumherum. Die nicht mit Fähnchen ins Stadion wollen, sondern mit Pyrotechnik, „Sturmhauben und Schlagwerkzeugen“. Diese Leute fangen sie möglichst ab, nicht nur an der Autobahn, sondern auch an Landstraßen und Feldwegen. Zur Not bringen sie sie über die Dörfer zurück. Nicht willkommen in Deutschland.
Italiener kamen „nicht primär wegen des Fußballs“
So ging es in dieser Woche acht Italienern auf der A93 bei Rosenheim. Drei von ihnen waren als Gewalttäter bekannt und hatten Material zur Vermummung dabei. „In der Gesamtbetrachtung“, heißt es im Polizeibericht, „kamen die Beamten zu dem Schluss, dass die Italiener nicht primär wegen der anstehenden EM-Partie, sondern vielmehr zur Verabredung und Verübung von Gewalttaten in Richtung Leipzig unterwegs waren.“ Folge: Alle „Tifosi“ mussten nach Österreich zurück. Ein weiterer Italiener kam über den Flughafen Dortmund nicht ins Land; er hatte in der Woche zuvor mitgemacht bei einer Auseinandersetzung mit albanischen Fans.
„Vorübergehend wiedereingeführte Grenzkontrollen“
„Im Rahmen der für die EURO temporär wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen“, so formuliert die Bundespolizei in ihren Meldungen, schickte sie Ausländer mit gefälschten Papieren nach Hause, verhinderte die Einreise eines bereits abgeschobenen Afghanen, trieb Geldstrafen ein, schickte einen Rumänien aus Fahrtrichtung Frankreich in Haft, weil er eine Buße nicht bezahlen konnte. Auf der A3 erwischte sie nahe der niederländischen Grenze einen wegen Urkundenfälschung gesuchten Mann, auf der A57 stoppte sie einen anderen, der eine Geldbuße offen hatte. Ebenfalls an dieser Grenzstation verhaftete sie einen 64-Jährigen, der wegen Diebstahls gesucht wurde, an einer Landstraße einen mutmaßlichen Großdealer und an der A40 einen 26-Jährigen.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind bis wenige Tage nach dem Finale zeitweise mehr als 3000 Bundespolizistinnen und -polizisten im Einsatz, die den grenzüberschreitenden Verkehr kontrollieren. Sie nehmen „jedes einzelne Fahrzeug in Augenschein“. Zudem fahren Bundespolizisten in international verkehrenden Zügen mit, um Bahnreisende zu überprüfen. Bis zum letzten Spiel im Land sind alle Bahnhöfe Waffenverbotszonen, auch hier werden Menschen gecheckt. In Düsseldorf nahmen die Beamten einem Mann (42) deshalb eine Handsäge ab.
Am Hauptbahnhof Gelsenkirchen fanden sie verbotene Tabletten, einen Schlagstock und Feuerwerkskörper bei einem 31-Jährigen, am Flughafen Dortmund einen Georgier, der zwar Tickets für ein Spiel hatte, aber auch eine nicht bezahlte Geldstrafe. Der 36-Jährige hatte allerdings genug Geld dabei und durfte doch noch ins Stadion.
50 Hooligans aus dem Verkehr gezogen
Und die EM war noch nicht vier Tage alt, da fassten Einsatzkräfte auf der B56N an der niederländischen Grenze in nicht einmal drei Stunden fünf Menschen. Nach dreien wurde schon länger gefahndet, zwei hatten Marihuana dabei. Zeitgleich vollstreckten die Kollegen an der Grenze im bayerischen Füssen drei schon länger bestehende Haftbefehle wegen Diebstahls, Körperverletzung, Hausfriedensbruch. Beifang bei der Suche nach gewaltbereiten Fans, von denen bis zu Wochenbeginn etwa 50 aus dem Verkehr gezogen wurden – im wahren Wortsinn.
Das zeige, frohlockte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), „es ist gut, dass wir während der EM auch an den Grenzen zu Dänemark, den Benelux-Staaten und Frankreich kontrollieren“. Man könne so auch politisch motivierte Extremisten erwischen, hatte sie vor der EM angekündigt. Zuvor hatte sich die Sozialdemokratin lange gewehrt gegen temporäre Kontrollen illegaler Migration an den Grenzen zu Polen, Tschechien, der Schweiz und Österreich. Im Oktober 2023 hatte sie doch eingelenkt und die Maßnahme inzwischen sogar verlängert; die Zahl nach Deutschland geschleusten Menschen ist seither zurückgegangen.
Grenzkontrollen wieder verlängern?
Der jetzige Einsatz zur Fußball-EM indes gilt bundesweit als der größte der Geschichte. Und schon wird der Ruf laut, ihn zu verlängern. Ein halbes Jahr, forderten Politiker, wenigstens bis nach den Olympischen Spielen in Paris oder gleich dauerhaft, wegen der „abstrakt hohen Gefährdungslage“. Polizei-Gewerkschafter argumentieren gegen feste Grenzkontrollen, loben zwar die derzeitigen mobilen. Eine Effektivität gegen illegale Migration aber sei nicht erwiesen, das Verfahren sei nicht ausreichend abgestimmt und werde am Personalaufwand scheitern. Ministerin Faeser pocht darauf, dass die derzeitigen Kontrollen lediglich „Bestandteil der umfassenden Sicherheitsvorkehrungen für die Europameisterschaft“ seien und ergo „vorübergehend“.
Bisher laufen die Kontrollen genau fünf Tage länger als die EM. mit dpa