Ruhrgebiet. Alt, schmal, marode: Die nächste Autobahnbrücke ist fällig. Oben auf der Fahrbahn merkt niemand, was unten schon passiert ist.

Laufkundschaft gibt‘s hier jedenfalls keine. Ralf Krümmel ist der Chef im Wurstwaren-Werksverkauf auf dem Bochumer Schlachthof, am Ende einer langen, kurvenreichen Sackgasse nah der Autobahn 40. Keine Nachbarn, keine anderen Geschäfte, nur Gewerbe, darunter, ja, auch das mit der Gunst.

Ganz viele Handzettel hat Ralf Krümmel jetzt drucken lassen, demnächst wird er sie auslegen und entschlossen verteilen. Und die Botschaft ist: Dass der Werksverkauf der Wurstwaren weitergeht, auch wenn die Autobahn dicht ist. Aus der Sperrung könnte die Fahrkundschaft sonst allzu leicht die falschen Schlüsse ziehen. Und Krümmel hat nur die. Dabei hat er noch Glück. Die Sperrung könnte viel, viel länger dauern.

Auf der Brücke gibt es nicht einmal Standspuren

Ab dem 6. August wird das jedenfalls so kommen: Die Autobahn 40 wird gesperrt. In der Nähe der Ausfahrt Bochum-Zentrum. Für drei Monate. In beiden Richtungen. Katastrophe. Katastrophe für alle, die hier durch müssen; und in den nahen Stadtstraßen gruseln sie sich schon, was da auf sie zukommt an Schleichwegsuchverkehr.

Doch die Schlachthofbrücke ist noch original B1, ist 65 Jahre alt, von 1959, und sie ist jetzt einfach reif. Es hat die üblichen Gründe: der viele Verkehr, die vielen Laster. Normalerweise würde die Autobahn GmbH bei dieser Ausgangslage allen Verkehr auf eine Brückenseite legen und die andere abreißen und neubauen - und anschließend umgekehrt. Doch dazu ist es zu schmal. „Dafür brauchen Sie eine Breite von 12,50 Metern oder wenigstens 12 Metern“, sagt Projektleiter Lars Batzer: „Hier haben sie 8,50 Meter.“ Lieber Himmel, es gibt noch nicht mal eine Standspur.

Kein Fahrer merkt, dass die Brücke schon zur Hälfte neu gebaut ist

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Kaum jemand kennt diese Schlachthofbrücke, denn sie liegt tief, Autofahrer und Autofahrerinnen auf der A40 sehen gar nicht, dass sie gerade über eine Brücke fahren. Und es wird noch kurioser: Sie ahnen auch nicht, dass die Brücke, die sie trägt, unter ihnen schon zu einem großen Teil neu gebaut ist. Auf der Fahrbahn merkt man nichts davon.

Unter der A 40 Brücke ist schon viel passiert.
Unter der A 40 Brücke ist schon viel passiert. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Der Bauingenieur Lars Batzer steht genau darunter und erläutert einen Glücksfall. Der Glücksfall heißt: Platz. Unter der Brücke war eine alte Bahnbrache. Nach der offiziellen Entbehrlichkeitsprüfung - das heißt so - hat die Deutsche Bahn den Autobahnbauern erlaubt, das Gelände zu nutzen. Da parken Gabelstapler und Bagger mit großen Schaufeln, da liegt Gestänge - alles ohne Gedränge. „Und wenn sie von mehreren Seiten an die Baustelle herankommen, können sie auch mehr Leute einsetzen.“

Üblicherweise müsste die Autobahn neun Monate gesperrt werden für so einen Neubau. „Normalerweise sperrt man die Straße, reißt die Brücke ab, hebt eine Baugrube aus, baut Pfeiler und Widerlager und legt dann die Platte auf“, sagt der 54-jährige. Aber hier konnten sie einfach: unten anfangen mit dem Neubau. Funktioniert.

„Jede Baustelle ist ein Unikat“

Hier habe man „den ganzen ersten Teil schon hingekriegt“. Die Bewehrungseisen stehen. Der neue Pfeiler, den man sich als 31 Meter lange und einen Meter dicke Betonwand vorstellen muss - fertig. Widerlager - fertig. 130 Betonsäulen zur Stabilisierung des Erdreichs sind auch längst unter der Erde. „Und oben auf der Autobahn gibt es noch keine Einschränkungen.“

Die drei Monate braucht man dann für den Oberbau. „Dann geht‘s hier natürlich rund. Mehrschichtbetrieb!“ Prima! Dann machen wir das jetzt immer so: Neubau unterhalb des Altbaus und eine Sperrung nur für die Arbeiten ganz oben? Doch daraus wird leider nichts: Denn das Ruhrgebiet ist auch ein Mikado, ein unentwirrbares Geflecht aus Straßen und Gleisen, Leitungen und Stromtrassen. Dicht bebaut ist es auch noch. Platz ist hier ein Luxusgut.

Es folgt ein Brückenabriss auf der Umleitungsstrecke

Doch Batzer hat diesen Platz unter der Brücke. Während der eigentlichen Sperrung steht dann die A448 als Ausweichstrecke parat, die gerade fertig gewordene Südumfahrung um Bochum. Irgendwann im November soll eine halbe Schlachthofbrücke-neu fertig sein, über die dann der Verkehr in beide Richtungen rollen kann, auf jeweils zwei Schmalspuren.

Irgendwann in der zweiten Jahreshälfte 2025 wird die Brücke fertig und frei sein. Doch dann tut sich ausgerechnet auf der Ausweichstrecke 448 eine neue Baustelle auf: Eine 60 Jahre alte Brücke, die die Autobahn überquert, muss abgerissen werden. Platz darunter? Keiner.