Gladbeck/Gelsenkirchen. Bei der EU-Wahl verliert die Partei auch im Ruhrgebiet weiter an Boden. Der Frust an der Basis ist groß. Was läuft da gerade schief?
Zur Gladbecker SPD kommt man durch eine dunkle Passage und über eine Wendeltreppe mit abblätternder Farbe. Fast trotzig leuchtet dagegen der blank geputzte rote Kunststoff am Johannes-Rau-Haus. Drinnen scherzt eine Gruppe Sozialdemokraten über die Wassergläser auf dem langen Besprechungstisch. „Dein Wohl. SPD Gladbeck“ ist darauf gedruckt. „Aus besseren Zeiten“, sagt einer schmunzelnd. Ja, für die SPD sind die Zeiten derzeit wirklich nicht gut.
Es ist ein Kampf. Nicht erst seit dieser Europawahl verliert die SPD in NRW an Zuspruch. Nur etwas mehr als 17 Prozent der Wählerinnen und Wähler in NRW gaben der Partei an diesem Sonntag ihre Stimme, und ausgerechnet im Ruhrgebiet ist der Verlust besonders schmerzhaft. Einst verklärt als Herzkammer der Sozialdemokratie muss die SPD seit Jahren mitansehen, wie die AfD ihr das Wasser abgräbt. Besonders im gebeutelten nördlichen Ruhrgebiet, in den sozial schwächeren Stadtteilen, haben die Rechtsextremen Land gewonnen. Das frustriert an der Basis - und manch einem Sozialdemokraten macht es auch Angst.
„Die Leute sehen hier jeden Tag, dass die Stadt kein Geld hat“
In der Gladbecker SPD-Geschäftsstelle zeigt Parteichef Dustin Tix auf die abstrakten Gemälde an den Wänden. Lokale Künstler stellten hier aus, es gebe noch eine ganze Liste von Leuten, die diese Chance auf etwas Öffentlichkeit nutzen wollten. Es soll ein Beispiel dafür sein, dass sich die Partei in Gladbeck als fest verortet sieht. „Es gibt hier keine Partei, die so gut vernetzt ist wie wir“, sagt Dustin Tix. Man verstehe sich immer noch als Kümmererpartei , die in den Stadtteilen verankert sei, und auch unbequeme Themen anpacke. Die Sozialdemokraten berichten von einer Bürgerversammlung auf einem Sportplatz und einer Zukunftskonferenz, sie erzählen von dem vielen ehrenamtlichen Engagement in ihrer Partei, all den Sitzungen, Beratungen und Gesprächen nach Feierabend und vor der Freizeit mit der Familie.
Und trotzdem: „In diesem Jahr wurden wir an den Wahlkampfständen mit unglaublich vielen bundespolitischen Themen konfrontiert, die wir vor Ort nicht beeinflussen können“, sagt die Ratsfrau Verena Gigla. „Da muss man schon ein sehr großes Herz für die SPD haben, um da nicht frustriert zu sein.“
Das habe sie auch, versichert die 40-Jährige gleich darauf. Aber sie alle ärgern sich eben auch in Gladbeck – über den Wahlkampf, der nicht den richtigen Ton und die richtigen Themen getroffen habe, darüber, dass die Bundespartei ihre Erfolge nicht richtig verkaufe und den vermeintlich so einfachen Antworten der Rechten auf schwierige Fragen zu wenig entgegensetze.
„Wir müssen besser erklären“, bedient Andreas Schwarz, Ratsherr und IG-Metaller, eine bekannte Formel. Der 53-Jährige ist einer dieser viel beschworenen Kümmerern, erzählt von den vielen Gesprächen in seinem Stadtteil und auch davon, dass ihn das, was er da manchmal zu hören bekomme, nachts wach liegen ließen. Das Wahlergebnis zeigt der Ruhr-SPD auch Grenzen auf: „Die Leute sehen hier jeden Tag, dass die Stadt kein Geld hat“, sagt Verena Gigla. „Da können wir uns auf den Kopf stellen und machen und tun, am Ende haben die Leute Abstiegsängste. Wir brauchen hier die Hilfe von Land und Bund.“
Wie es weitergehen kann: Neue Wählergruppen, einfachere Sprache
In Gelsenkirchen gibt es Stimmen, die noch bedrückter und besorgter sind. Taner Ünalgan ist so ein Beispiel. Der Ratsherr hat schon 2016 seinen Ortsverein mit Vorträgen vor der AfD gewarnt. Heute denkt er laut darüber nach, wie man Kultureinrichtungen vor einer an Einfluss gewinnenden AfD schützen könne. „Es ist etwas aus dem Lot geraten, und das macht mir manchmal Angst“, sagt er. Dass die Partei mehr erklären müsse, das höre er seit 15 Jahren, es brauche andere Antworten. Auch er fordert mehr Geld fürs Ruhrgebiet. „Wenn die öffentliche Daseinsvorsorge nicht stimmt, spielt das nur der AfD in die Hände.“
Ein Wahlprogramm in einfacher Sprache könne schon ein Anfang sein, glauben andere in der Partei. Neue Wählergruppen wie die internationale Community müssten zudem erschlossen werden. Berat Arifi von den Gelsenkirchener Jusos sagt, die SPD müsse aufhören, immer nur gegen die AfD zu arbeiten. „Die AfD ist jetzt nun mal da. Statt immer gegen sie zu arbeiten, will ich für etwas arbeiten. Bezahlbare Wohnungen, die hohe Inflation, darum muss es uns gehen.“
„Es ist etwas aus dem Lot geraten, und das macht mir manchmal Angst.“
Und damit machen sie weiter: Sie wollen Brandbriefe an ihre Partei schreiben, Situngen einberufen, auf den sozialen Medien präsenter sein und weiter in die Kneipen gehen. In Gladbeck sagt Dustin Tix, er glaube nicht an den viel besungenen Niedergang der Sozialdemokratie. „Wir müssen den Karren hier gemeinsam aus dem Dreck ziehen und die Menschen wieder begeistern.“
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