Essen. Das Sylter Party-Video mit Nazi-Gegröle hat viele aufgeschreckt. Überrascht hat es aber nicht jeden, wie in Essen festzustellen ist.

Ein Party-Video auf Instagram: Junge, offenbar gut betuchte Menschen tanzen vor der bekannten „Pony“-Bar auf der Urlaubsinsel Sylt. Dabei grölen sie rassistische Parolen zur Melodie des Schlagers „L’amour toujours“ von Gigi d’Agostino. Ein junger Mann ist zu sehen, wie er möglicherweise den Hitlergruß zeigt. Der 14-sekündige Clip erzeugt große Aufmerksamkeit in den sozialen Medien, sorgt für Empörung und Fassungslosigkeit.

Rechtsextreme Parolen sind in Deutschland salonfähig geworden, sagen die einen. Diese Menschen sind keine Nazis, sondern bloß ignorant, sagen die anderen.

Nazi-Video aus Sylt: Das sagen Essener Jugendliche

Aber wie denken eigentlich Jugendliche über das Video? Sind sie geschockt oder ist Rassismus in den sozialen Medien für sie nichts Neues? Aylin (18, Name geändert) und Jana (17, Name geändert) machen dieses Jahr Abitur an einem Gymnasium im Essener Norden. „Ich war erschrocken über den Clip, aber es ist jetzt auch keine Überraschung“, sagt Aylin. Sie habe selbst Migrationshintergrund und „schon viele Einzelfälle miterlebt“, in denen es zu Rassismus gekommen sei.

„Ich war auch geschockt, aber nicht so geschockt, dass ich dachte: Oha, das gibt’s ja jetzt nicht“, sagt Jana. „Es ist ja klar, dass es Rassismus in Deutschland gibt. Ich war eher empört, dass die ein Video davon gemacht haben. Dass sie diese Worte gesagt haben und sich dann auch noch dachten, es ist okay, ein Video davon zu machen – ganz ohne Scham.“ Beide Abiturientinnen hätten sich in den letzten Jahren in der Schule viel mit der deutschen Vergangenheit und der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt und den Geschichts-Leistungskurs besucht.

Auch Ilyas und Tim (beide 18, Namen geändert) machen gerade Abitur an einer Essener Gesamtschule. Sie hätten auf TikTok schon viele Videos mit rechtsextremen Inhalten gesehen, und der Song in dem Video sei ihnen schon zuvor auf Social Media begegnet. Schockiert über das Video aus Sylt waren sie trotzdem: „Man hätte es vom Ballermann vielleicht erwartet, aber jetzt nicht unbedingt aus Sylt, bei diesen elitären Strukturen da“, sagt Ilyas.

Abiturient zu Sylt-Video: „Reaktionen waren besorgniserregender als Video“

„Das sind ja Leute, die haben international viel zu tun, die haben ja auch international gearbeitet. Das war eher das Kuriose“, sagt Tim. Einen rechtsextremen Hintergrund sieht er bei dem Video nicht: „Ich finde, das ist dann eher so Gruppenzwang“, sagt er. „Wenn man die wirklich rechten Leute sucht, sind das die falschen Ansprechpartner.“

Besonders schockierend an dem Video aus Sylt seien für die beiden Abiturienten die Kommentare in den sozialen Netzwerken gewesen: „Man sieht schon ganz klar, in welche Richtung die Kommentare gehen und dass man das alles überhaupt nicht so schlimm findet und man sich eher aufregt, dass man bestimmte Sachen nicht mehr richtig sagen darf“, sagt Ilyas. „Also die Reaktionen waren besorgniserregender als das Video selbst.“

Tim findet: „Man sieht ja allgemein weltweit so einen Rechtsruck und dass die rechten Stimmen auch lauter und salonfähiger werden. Ich glaube, inzwischen traut man sich ein bisschen mehr zu sagen als noch vor ein paar Jahren, wo wir eher noch mit der Multi-Kulti-Debatte aufgezogen wurden. Ich denke, das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und keines, das nur die Jugendlichen betrifft.“