Bochum. Diagnose: Duchenne Muskeldystrophie. Silvia Hornkamp wusste, ihr Sohn würde jung sterben. Wie sie damit umgeht und anderen Betroffenen hilft.
Dieser Text erschien zuerst im August des vergangenen Jahres. Silvia Hornkamp engagiert sich weiter in der Deutschen Duchenne-Stiftung, die den Kemnader Burglauf veranstaltet hat.
Richard Hornkamp trägt den blau-weißen Siegerschal und ein strahlendes Lächeln auf dem Handyfoto. Es zeigt den Aufstieg der Bochum Hurricanes in die 1. Bundesliga im Rollstuhlhockey – seinen größten Triumph. Es war Richards größter Traum, der sich erfüllte. Fünf Tage später ist der 26-Jährige tot. Zurück bleibt seine Mutter Silvia.
Es ist der Moment, vor dem seine Mutter die letzten 24 Jahre so Angst hatte. Denn dass ihr Sohn früh sterben würde, stand seit langem fest. Richard hatte Muskeldystrophie, eine unheilbare Erbkrankheit, die zum Muskelschwund, und damit zum Tod führt. Dass sie so offen über das Schicksal ihres Sohnes spricht, hat einen Grund.
Seit Richards Kindheit engagiert sie sich in der Deutschen Duchenne-Stiftung – um über die Krankheit aufzuklären und andere Betroffene zu unterstützen. „Richards Schicksal ist ein Motor für die Arbeit der Stiftung“, sagt sie. „Ich habe auch vor Richard schon viele Jungen daran sterben sehen.“ Als die Krankheit bei ihrem Sohn festgestellt wurde, war Richard gerade einmal zwei Jahre alt.
Bochumer bekam Diagnose Duchenne Muskeldystrophie: Familie reist mit ihm durch die Welt
„Wir haben früh gemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmt“, erinnert sich seine Mutter. „Da wir schon eine Tochter hatten, konnten wir beide in ihrer Entwicklung gut vergleichen.“ Richard hatte kaum Körperspannung, sein Kopf war schräg gestellt. Für die Familie begann ein echter Ärztemarathon. Duchenne Muskeldystrophie lautete die Diagnose der Ärzte – ein Schock für die Familie. Denn eine Heilung gibt es für diese Erbkrankheit nicht.
Den Moment, in dem sie von der Diagnose erfuhr, kann Silvia kaum beschreiben. „Schock, Wut, Trauer, Panik – da kommt alles zusammen.“ Doch die Diagnose weckte auch den Kampfgeist der Familie, für die Bob, der Baumeister aus der gleichnamigen Kinderserie zu einer Art Motivationscoach wurde. „Jo, wir schaffen das, dieser kindliche Spruch ist von da an zu unserem Lebensmotto geworden“, erzählt Silvia mit einem Lächeln.
Ihrem Sohn so viel Lebensqualität wie möglich zu geben, das war das Ziel der Eltern. „Er hatte dieses Schicksal, wir haben ihn nur begleitet“, betont Silvia. „Er war der eigentliche Held.“ Gemeinsam mit Richard und seiner Schwester Annika bereisten sie die Welt, machten Urlaube in den USA und Australien. 2014 erfüllte sich für Richard ein Traum, als er bei der Fußball-WM in Brasilien zwei Spiele live im Stadion verfolgen konnte.
„Wollten beweisen, was für Richard trotz seiner Krankheit alles geht“
Doch immer wieder stand die Familie auch vor Problemen, wie sich Silvia erinnert. Ein neuer Rollstuhl, der Wechsel von einer Schule für körperbehinderte Kinder hin zu einer inklusiven Gesamtschule – das war für Richard und seine Familie mit teilweise enormen Hindernissen verbunden. „Wir mussten häufig darum kämpfen, ernst genommen zu werden und um Verständnis werben“, sagt Silvia. „Wir wollten den Leuten auch ein Stück weit beweisen, was für Richard trotz seiner Krankheit alles geht.“
Das macht die Duchenne Stiftung
In Deutschland leben schätzungsweise 3.000 Menschen mit Duchenne, sagt Silvia Hornkamp. Das ist eine Form der Muskeldystrophie, für die es keine Heilung gibt. Die Deutsche Duchenne Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Krankheit und ihren Verlauf aufzuklären, Betroffene zu beraten und Spendengelder zu sammeln, um die Forschung voranzutreiben. Dafür organisieren Silvia Hornkamp und ihr Team verschiedene Veranstaltungen wie zum Beispiel den Kemnader Burglauf. Am 27. August findet dieser am Haus Kemnade (An der Kemnade 1) in Hattingen zum 17. Mal statt. Die Einnahmen kommen der Stiftung zugute. Hier finden Sie weitere Informationen zum Burglauf und zur Arbeit der Stiftung: www.duchenne-deutschland.de. Instagram: duchenne_stiftung
Und für Richard ging einiges. Auf seine Krankheit wollte er nie reduziert werden. Der 26-Jährige machte sein Abitur, dann eine Ausbildung in der Informatikbranche, zuletzt studierte er Gesundheitsmanagement. Auch den Traum von der eigenen Wohnung erfüllte er sich, unterstützt wurde er im Alltag von einem Assistenten.
Silvia Hornkamp fand im Yoga einen Ausgleich zur alltäglichen psychischen Belastung
Dass er früh sterben würde, war ihm bewusst. „Direkt darüber geredet haben wir nie“, sagt seine Mutter, die Richards Krankheit und die Konsequenzen in den ersten Jahren häufig verdrängt habe. Anträge für einen neuen Rollstuhl stellen, einen Schulplatz für Richard finden, „bei all den Aufgaben hatte ich kaum Zeit, über Richards Schicksal nachzudenken.“ Acht Jahre ging das gut, bis sie im USA-Urlaub eine Panikattacke bekam. „Da habe ich gemerkt, dass ich nicht nur funktionieren kann, sondern auch etwas für mich tun muss.“ Die mittlerweile 55-Jährige begann mit Achtsamkeitsübungen, fand im Yoga einen Ausgleich zu der psychischen Belastung im Alltag.
„Das war die Zeit, in der ich gelernt habe, Richards Schicksal zu akzeptieren“, sagt sie. „Sich bewusst zu machen, dass man die Krankheit nicht beeinflussen kann, war ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.“ Diese Einstellung half der Bochumerin auch, als ihr Sohn in den letzten Wochen seines Lebens allmählich schwächer wurde.
Fußball und Hockey – auf der Beerdigung stehen Richards Hobbys im Fokus
„Wir mussten sein Leben lang viel intervenieren, damit er zu seinen Rechten kommt, aber in dem Moment, als sich abgezeichnet hat, dass er nun sterben wird, hat sich alles einfach ineinandergefügt, das war ein sehr friedlicher Moment.“ Dass ihr Sohn vor seinem Tod nicht lange leiden musste, tröstet die 55-Jährige.
Auf seiner Beerdigung wird deutlich, wie wichtig Richard der Sport war. „Und wenn ich geh, dann so wie ich gekommen bin, wie ein Komet“, schallt aus den Musikboxen, während sechs Männer Richards Sarg zum Grab fahren. Er mochte diesen Song von Apache, der die Situation für seine Familie so treffend beschreibt. Seine Hockeymannschaft steht für ihn Spalier. Sie alle tragen ihre blau-weißen Trikots, manche haben an ihren Rollstühlen Fahnen der Duchenne-Stiftung oder der Bochum Hurricanes befestigt.
Blau-weiß tragen alle Gäste, viele von ihnen sind in Trikots des VfL Bochum gekommen – Richards Lieblingsverein. Ihm hätte das gefallen, da ist sich seine Mutter sicher. Als die Helfer seinen Sarg ins Grab herablassen, ertönt „Bochum“ von Herbert Grönemeyer. Das Lied, das Richard im Ruhrstadion bei den Heimspielen seines VfL immer gehört hat.
„Es hilft, die Trauer zuzulassen und sich auf seine Weise damit auseinanderzustzen“
Über ein Jahr ist sein Tod nun her. Für die Familie hat damit ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Doch wie kommt man damit klar, wenn das eigene Kind, der Bruder, der Enkel plötzlich nicht mehr da ist? „Die eine Lösung gibt es nicht“, sagt Silvia Hornkamp. „Ich kann niemandem sagen, dass er jetzt Yoga machen muss, sich in einer Stiftung engagieren soll oder Achtsamkeitstraining das Allheilmittel ist. Aber die Trauer zuzulassen und sich damit auf seine Weise auseinanderzusetzen, hilft.“
Silvia Hornkamp hat durch Richards Tod eine neue Aufgabe gefunden. Im November des vergangenen Jahres begann sie eine Weiterbildung zur Trauerrednerin. Sich nach Richards Tod aus der Stiftung zurückzuziehen, kommt für sie nicht in Frage. Ihren Sohn spürt sie auch weiterhin an ihrer Seite, wie sie betont. Wie sie sich fühlt? „Dankbar“, sagt sie. „Dankbar für jeden Tag, den wir mit Richard hatten, auch wenn ich mir eine andere Zukunft für ihn gewünscht hätte. Er war ein Mensch, der einen mit einem Lächeln begrüßt, und auch immer mit einem Lächeln verabschiedet hat.“ Eine Eigenschaft, die er mit seiner Mutter gemeinsam hat.