Wesel. Viele Klischees ranken sich um die Geschichte Preußens. Woher kommen sie und welche stimmen vielleicht doch? Ein Interview mit Veit Veltzke.

Er ist ein echter Preußen-Experte. Der Historiker und Germanist Dr. Veit Veltzke aus Wesel hat die Leitung des Preußenmuseums in Minden und Wesel zwar schon abgegeben, doch das ist für ihn kein Grund, seiner Leidenschaft nicht weiter nachzugehen. Im April hat Veltzke sein neuestes Buch beim Klartext-Verlag veröffentlicht: „Preußen: Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“.

Herr Veltzke, woher kommt eigentlich Ihre Begeisterung für die preußische Geschichte?

Das möchte ich in drei Stichworten zusammenfassen: Vielfalt, Wandlungsfähigkeit und eine besondere Aufsteigergeschichte. Preußen war ein Vielvölkerstaat, von Anfang an mit starken baltischen und slawischen Anteilen. Bemerkenswert ist, dass Preußen über einen sehr langen Zeitraum hinweg unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aufgenommen hat, die wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Diese Bevölkerungsgruppen führten dann ein akzeptiertes Eigenleben, zum Teil auch mit anderen Sprachformen. Zu Preußens Aufsteigergeschichte zählt Glaubens- und Kulturtoleranz, zunächst nur ein pragmatischer Notbehelf, dann aber Teil einer preußischen Staatsidee.

Für wen eignet sich Ihr Buch? Wie viel Vorwissen sollte ich als Leser mitbringen?

Ich fange nicht bei null an. Aber ich glaube, dass Leser mit einem geringen Basiswissen gut mitlesen können und sich mein Buch auch als Einstieg in die preußische Geschichte eignet. Es ist kein analytisches Buch, sondern eine erzählte Geschichte – faktenbasiert und doch mit leichter Hand geschrieben.

Diese Geschichte erzählen Sie anhand zahlreicher Irrtümer, die im Laufe der Zeit entstanden sind.

Oder auch anhand wenig bekannter Sachverhalte. Zu Preußen gibt es viele stark verbreitete Klischees. Insofern passte der Ansatz der Klartext-Reihe „Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ hier sehr gut. Auch wenn das Schreiben auf nur 120 Seiten mit wenig Text bei 400 Jahren preußischer Geschichte und Nachgeschichte natürlich eine Herausforderung war. Ohne den großen Mut zur Lücke ging es nicht.

Wie sind Sie beim Schreiben und der Recherche vorgegangen?

Viele Irrtümer waren mir natürlich schon bekannt und sind weit verbreitet, einige aber auch nicht. Bei der Idee, Unbekanntes und Überraschendes zu entdecken, konnte es natürlich keine analytische Strukturgeschichte sein. Ich habe so Wert darauf gelegt, mit Zwischentönen zu arbeiten, so dass bei aller positiven Bilanz auch Defizite einfließen.

Welcher Irrtum ist denn besonders weit verbreitet?

Das Buch ist bereits im Handel erhältlich.
Das Buch ist bereits im Handel erhältlich. © Unbekannt | Klartext

Es gab sozusagen einen Totenschein, der Preußen von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg ausgestellt wurde. Damit wurde Preußen formal aufgelöst, obwohl es eigentlich gar nicht mehr existierte, und zwar mit der Begründung, dass es seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen sei. Heute keine ernsthafte Position mehr. Preußen wird in der Forschung heute eher als europäischer Normalfall, und nicht als Ausnahme gesehen, trotzdem ist diese Verurteilung zählebig und wirkt immer noch nach. Deswegen war es mir auch wichtig, die „weichen“ Seiten Preußens herauszustellen, die für unser heutiges kulturelles Selbstverständnis Bahnbrechendes geleistet haben. Dazu zählt zum Beispiel die Formulierung von Menschenrechten, ein Recht auf Bildung oder das Streben nach Glück. Viele denken, dass Preußen nur ein harter Militärstaat gewesen sei, in dem Romantik keinen Platz gehabt habe – das Gegenteil ist der Fall.

Viele der preußischen Tugenden gelten inzwischen als typisch deutsch. Wie viel Preußen steckt heute noch in uns?

Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Manche würden zuerst den Bürokratismus und die Regelungswut nennen. Andere denken da an das Rechtsbewusstsein und die moralischen Ansprüche. Ich denke, dass von Preußen vieles vermittelt weiterwirkt. Die Idee der modernen Universität mit Freiheit und Einheit von Forschung und Lehre nimmt seine Anfänge mit der Berliner Universität 1810. Was die Tugenden angeht: Ein schönes Beispiel ist hier ein Brückenschlag zweier Kabarettisten zur Zeit der deutschen Teilung: Lore Lorentz vom Düsseldorfer Kom(m)ödchen und Rainer Otto von der Leipziger Pfeffermühle, die beide Mitte der 1980er Jahre unter derselben Devise „Ganz ohne Preußen geht die Chose nicht“ ihrer Zeit einen kritischen Spiegel vorhielten.

Haben Sie einen Lieblings-Irrtum?

Der Generalmajor von der Mosel soll den Kronprinzen Fritz in Wesel 1730 beim Verhör durch seinen wütenden Vater gerettet haben. Friedrich hatte zuvor einen schon im Ansatz gescheiterten Fluchtversuch unternommen. Der Vater soll bei diesem Verhör wutentbrannt den Degen gezogen haben, dann habe sich der tapfere Festungsgouverneur dazwischengeworfen und den Kronprinzen mit seinem Leibe geschützt. Leider falsch, aber ein „schöner Irrtum“, der ein Licht auf einen partiellen Mut zum Ungehorsam unter preußischen Offizieren wirft, der sich an anderer Stelle in diesem Vater-Sohn-Konflikt tatsächlich zeigt.

Und wie entstehen solche Irrtümer?

Zum Teil aus erster Hand. Es gibt zum Beispiel eine Schwester von Friedrich des Großen, Wilhelmine von Bayreuth, die in ihren Memoiren ein Zerrbild über ihre Familie entworfen hat. Heute weiß die Forschung aber, dass vieles von dem nicht stimmt.

Was kann man als nächstes von Ihnen erwarten?

Die aktualisierte Neuauflage von „Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte“ , die in wenigen Wochen bei der NRW-Landeszentrale für Politische Bildung erscheint. Als nächstes könnte etwas über die Benediktiner und ihre beeindruckende Spiritualität kommen.

>>> Preußen: Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten

Das Buch „Preußen: Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ ist am 12. April im Klartext-Verlag erschienen. Autor Veit Veltzke setzt sich in den 120 Seiten mit den verschiedensten Mythen und Klischees der preußischen Geschichte auseinander, beleuchtet die Hintergründe und klärt über den heutigen Stand der Forschung auf. Auf echte Preußen-Experten wartet am Ende des Buchs auch noch ein Quiz. Es ist zu einem Preis von 16,95 Euro im Handel erhältlich.