Essen. Wenn Polizisten zur Waffe greifen, ist die Aufregung meist groß. So auch vergangene Woche, als ein Beamter in Goch einen 37-Jährigen mit drei Schüssen tötete. Der Mann soll die Beamten angegriffen haben. In solchen Situationen, sagt ein Experte, haben Polizisten keine andere Wahl.
Im Krimi sieht es ganz leicht aus: Der Polizist zieht seine Dienstwaffe, zielt - und schießt dem Verbrecher dessen Waffe aus der Hand: entwaffnend, aber nicht verletzt. Mit der Realität hat das nur wenig zu tun. Das zeigen Fälle wie der in Goch, bei dem in der vergangenen Woche ein 37-jähriger Mann durch Kugeln aus einer Polizeiwaffe starb.
Der Mann war ersten Ermittlungsergebnissen zufolge geistig verwirrt. Er soll, so stellen die beteiligten Beamten es dar, mit einem Messer herumgefuchtelt und die Polizisten angegriffen haben. Auf Warnungen habe er nicht reagiert. Da zog einer der Beamten seine Waffe und schoss. Drei Kugeln trafen den Oberkörper des Mannes.
Experten nehmen Polizisten in Schutz
Wäre ein Schuss in die Beine keine Alternative gewesen? Experten nehmen den Polizisten in Schutz. "Wenn der Angreifer sich bewegt, ist ein Schuss auf Arme oder Beine extrem schwierig", sagt Bernd Pokojewski. Der Ex-Polizist war vor seiner Pensionierung Ausbildungs- und Einsatzleiter beim SEK, jetzt ist er Medienreferent der Polizeitrainer in Deutschland (PiD).
Arme und Beine seien die Körperteile, die sich am schnellsten bewegen, erklärt er, entsprechend schwierig seien sie zu treffen. Zwei Faktoren seien in einer solchen Situation entscheidend: die Distanz zwischen Polizist und Angreifer und das Verhalten des Angreifers. Ist er ruhig stehe den Beamten "die ganze Klaviatur der psychologischen Einflussnahme" zur Verfügung, sagt Pokojewski. Komme der Angreifer aber auch die Beamten zu und sei zudem bewaffnet, bleibe dem Polizisten häufig keine andere Option als zu schießen.
Pfefferspray ist keine verlässliche Alternative
Denn auch Alternativen zur Schusswaffe, Pfefferspray etwa, seien nicht hundertprozentig zuverlässig. Pokojewski zitiert Untersuchungen, wonach Pfefferspray-Einsatz den Angreifer nur in 80 bis 90 Prozent der Fälle außer Gefecht setze. "Manchmal trifft der Polizist nicht, manchmal reißt der Angreifer rechtzeitig den Arm hoch und manchmal versagt auch das Gerät", erklärt er. In Situationen, in denen ein Polizist um sein Leben fürchten müsse, sei diese Erfolgsquote zu niedrig, um auf den Waffeneinsatz zu verzichten.
In Angriffssituationen muss jeder Polizist für sich entscheiden, wie er reagiert. "Greife ich zur Waffe? Ziele ich auf den Körper oder versuche ich einen Schuss in die Beine?", beschreibt Pokojewski die Optionen, zwischen denen sich Beamte mitunter in Sekundenbruchteilen entscheiden müssen. Es brauche viel Training unter möglichst realistischen Bedingungen, damit Polizisten darauf vorbereitet seien.
Hohe Hürden für Schusswaffengebrauch
Das Gesetz legt die Latte für den polizeilichen Schusswaffengebrauch hoch: Polizisten dürfen ihre Waffe nur ziehen um "eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben abzuwehren" oder ein Verbrechen mit Schusswaffen oder Explosivmitteln zu verhindern. So steht es im Landespolizeigesetz.
Ein wahrscheinlich tödlichen Schuss dürfen sie gar nur dann abgeben, "wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer Lebensgefahr oder einer schwerwiegenden Verletzung" ist.
Nach den tödlichen Schüssen von Goch hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen, die betroffenen Beamten werden vom Psychosozialen Unterstützungsteam der Polizei betreut.