Kleve/Goch. Eine bewaffnete Frau hat in Kleve einen Mann befreit, der aus der forensischen Klinik zum Arzt gebracht werden sollte. Die beiden sind auf der Flucht.

  • Eine bewaffnete Frau hat am Donnerstagmittag einen wegen Raubes und räuberischer Erpressung verurteilten Mann befreit.
  • Der 27-Jährige wurde in der forensischen Klinik in Bedburg-Hau behandelt.
  • Die Großfahndung läuft auch am Freitag noch, die Polizei geht nun Hinweisen aus der Bevölkerung nach.
  • Die Polizei schließt nicht aus, dass das Paar in die Niederlande geflüchtet ist.
  • Die Flucht hat ein parlamentarisches Nachspiel im Landtag NRW

Eine bewaffnete Frau hat am Donnerstagmittag in Kleve einen 27-jährigen Mann befreit, der in der forensischen Klink in Bedburg-Hau Patient ist. Der Mann war von drei Mitarbeitern der Klinik zu einem HNO-Arzt in Kleve gebracht worden.

Nach der Untersuchung bei dem Arzt ging eine Frau auf die beiden Pfleger zu, die Sirat A. zur Praxis begleiteten, bedrohte sie mit einer Waffe und forderte die Männer auf, die Fesseln, mit denen der Straftäter an Händen und Füßen gefesselt war, zu lösen. Anschließend stiegen der 27-Jährige und seine Befreierin in den VW Golf, mit dem der Häftling und die Pfleger zur Praxis gefahren waren.

Nach stundenlanger Fahndung veröffentlichten Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstagabend dann Namen und Bilder des Geflüchteten und seiner Komplizin. Demnach handelt es sich bei dem Duo um Sirat A. und Nadia L. Beide kennen sich nach Erkenntnissen der Polizei von früher. Beide haben vor "vielen Jahren" mal zusammen ein Ding gedreht und sind dafür verurteilt worden.

Das Duo flüchtete nach Angaben der Polizei mit dem Golf in Richtung Hassum. Dort hatten sie einen Unfall und flüchteten zu Fuß weiter. Die Polizei fahndete mit einem Großaufgebot nach ihnen, errichtete Straßensperren.

An der Hassumer Straße brachen Spezialeinheiten der Polizei auch drei Häuser auf, da man vermutete, dass das Paar sich nach dem Unfall in einem der Häuser verschanzt hatte. Offenbar, so die Polizeisprecherin, hatten sich zum Teil auch Menschen in den Häusern aufgehalten, die selbst auf Aufforderung der Polizei die Türen nicht öffneten. Deshalb habe man sich dort gewaltsam Zutritt verschaffen müssen.

Großfahndung ausgedehnt

Die Polizei "fahndet in alle Richtungen" und kann nicht ausschließen, dass die Gesuchten ein weiteres Fluchtauto am Unfallort geparkt hatten. Das sagte eine Sprecherin der Polizei auf Nachfrage unserer Redaktion. Trotzdem hatte die Fahndung bisher keinen Erfolg.

Deshalb dehnte die Polizei die Großfahndung auf weitere Landkreise am Niederrhein und die 135 Kilometer lange Grenzregion zu den Niederlanden aus. Das Paar habe keine persönlichen Kontakte am Niederrhein und kenne sich in der Region wohl nicht aus, so die Polizei. Der Mann war zuletzt im Ruhrgebiet gemeldet, die 22-Jährige im Raum Aachen.

Nachdem die Polizei am Donnerstags mit einem Großaufgebot die Gegend um den Fundort des Fluchtwagen abgesucht hatte, geht sie inzwischen gezielt Hinweisen nach und recherchiert, welche Kontakte das Paar hat, wo sie Unterschlupf finden könnten. Die Ermittler schließen nicht aus, dass das Paar inzwischen in den Niederlanden ist, denn die Staatsgrenze ist nur vier bis fünf Kilometer vom Fundort des Fluchtwagens entfernt. Deshalb beteiligt sich auch die niederländische Polizei an der Fahndung.

Freiheitsstrafe wegen räuberischer Erpressung

Der 27-Jährige hatte nach Angaben des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) 2012 eine Frau in ihrem Haus überfallen, mit der Waffe bedroht und Geld und Wertsachen gefordert. Er wurde wegen schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.

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Vor seinem Haftantritt sollte er in der psychiatrischen Klinik in Bedburg-Hau eine Entziehungskur machen, wie die Polizei mitteilte. Er war seit November vergangenen Jahres nach Paragraph 64 des Strafgesetzbuches in der forensischen Abteilung der Klinik untergebracht.

Wenn Patienten in der Psychiatrie des LVR zum Arzt müssen, schaue das Personal genau hin, sagt LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies. "Es wird immer genau geprüft, ob die Beschwerden nicht vorgetäuscht sind." Der 27-Jährige musste zum Hals-, Nasen-, Ohrenarzt. Den gibt es in der Klinik Bedburg-Hau nicht, also musste er raus, zu einem Arzt. Wann es losgeht, erfahren die Insassen aus gutem Grund nur sehr kurzfristig.

Bereits elfte Flucht aus Bedburg-Hau

Während die Großfahndung auf Hochtouren läuft, sorgt die mittlerweile elfte Flucht eines Patienten des Maßregelvollzugs in Bedburg-Hau für ein parlamentarisches Nachspiel im Landtag. Ein halbes Jahr nach der letzten Flucht eines Patienten mit Hilfe von Fluchthelfern sei der neue Fall ein „unglaublicher Vorgang“, kritisierte der CDU-Abgeordnete Peter Preuß.

Die zuständige Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) soll im Landtagsausschuss klären, warum Sirat Ates beim Arztbesuch nicht von geschultem Wachpersonal begleitet wurde. Außerdem sei unklar, wieso die ehemalige Komplizin überhaupt über den Termin des Arztbesuches informiert war.

LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies widerspricht dem Gerücht, der Arzttermin sei seit Tagen bekannt gewesen. Ates habe vielmehr bis kurz vor der Abfahrt mit zwei begleitenden Pflegern nicht gewusst, wann, geschweige denn, wohin er zum Arzt gebracht werden sollte. „Das erfahren die Patienten erst unmittelbar vorher.“ Ob ein Mit-Patient per Anruf den Termin verriet – das heraus zu finden, ist Sache der Ermittler.

Woher die Komplizin, Nadia L., die Adresse wusste? „Es gibt nicht so viele HNO-Ärzte in Kleve“, rückschließt Knöbelspies nüchtern. Handys besitzen die Patienten jedenfalls nicht, dürfen aber das Stationstelefon bedienen. „Es gab vorher kein Anzeichen, dass der 27-Jährige sich absetzen wollte“, sagt Karin Knöbelspies.

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Beschreibung des geflüchteten Forensik-Patienten

Sirat A. trug zum Zeitpunkt der Tat eine dunkelblaue Jeans, ein blaukariertes Hemd mit rotem Einsatz am Kragen, dunkle Lederschuhe und keine Jacke. Er ist 1,75 Meter groß, schlank, hat kurze, dunkle Haare und einen Dreitagebart.

Nadia L. ist etwa 1,64 Meter groß, schlank, hat mittellanges, rötliches Haar. Sie trug eine Jeanshose und -weste und eine Umhängetasche.

Gefangenen-Befreiung in Kleve

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Großfahndung in Goch. Am Donnerstag hat eine Frau einen Gefangenen aus einer forensischen Klinik befreit.
Großfahndung in Goch. Am Donnerstag hat eine Frau einen Gefangenen aus einer forensischen Klinik befreit. © dpa | dpa
Die Frau heißt laut Polizei  Nadia Lohja und benutzte bei der Befreiung eine Schusswaffe.
Die Frau heißt laut Polizei Nadia Lohja und benutzte bei der Befreiung eine Schusswaffe. © dpa | dpa
Lohja ist eine ehemalige Mittäterin von Ates, der wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurde.
Lohja ist eine ehemalige Mittäterin von Ates, der wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurde. © Kreispolizeibehörde Kleve | Kreispolizeibehörde Kleve
Der Mann sollte zu einem Arzt in Kleve gebracht werden, als eine Frau  plötzlich auf die beiden Pfleger zuging, sie mit einer Waffe bedrohte und aufforderte, die Fesseln des Straftäters zu lösen.
Der Mann sollte zu einem Arzt in Kleve gebracht werden, als eine Frau plötzlich auf die beiden Pfleger zuging, sie mit einer Waffe bedrohte und aufforderte, die Fesseln des Straftäters zu lösen. © NRZ | NRZ
Anschließend stiegen der 27-Jährige und seine Befreierin in den VW Golf, mit dem der Häftling und die beiden Pfleger zur Praxis gefahren waren.
Anschließend stiegen der 27-Jährige und seine Befreierin in den VW Golf, mit dem der Häftling und die beiden Pfleger zur Praxis gefahren waren. © dpa | dpa
Am Donnerstag suchte ein Großaufgebot der Polizei nach den Flüchtigen.
Am Donnerstag suchte ein Großaufgebot der Polizei nach den Flüchtigen. © dpa | dpa
Ein Hubschrauber und mehrere Polizeihunde waren ebenso im Einsatz wie die Autobahnpolizei und Beamte aus den Niederlanden.
Ein Hubschrauber und mehrere Polizeihunde waren ebenso im Einsatz wie die Autobahnpolizei und Beamte aus den Niederlanden. © dpa | dpa
Am späten Donnerstagabend gab es aber wohl keine konkreten Hinweise auf den Aufenthaltsort von Lohja und Ates.
Am späten Donnerstagabend gab es aber wohl keine konkreten Hinweise auf den Aufenthaltsort von Lohja und Ates. © NRZ | NRZ
Da die Gesuchten offenbar bewaffnet sind, bittet die Polizei dringend, nicht zu nah an die beiden heran zu treten, sondern die Polizei umgehend unter 110 zu informieren.
Da die Gesuchten offenbar bewaffnet sind, bittet die Polizei dringend, nicht zu nah an die beiden heran zu treten, sondern die Polizei umgehend unter 110 zu informieren. © NRZ | NRZ
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Die Polizei fragt: Hat jemand die Täterin und den Flüchtigen beobachtet? Kann jemand Hinweise auf den Verbleib der beiden geben?

Da die Gesuchten offenbar bewaffnet sind, bittet die Polizei dringend, nicht zu nah an die beiden heran zu treten, sondern die Polizei umgehend unter 110 zu informieren. (mit dpa)