Dongen/Bergen op Zoom. In Bergen op Zoom steht die größte Insektenfarm der Welt. Hier werden Mehlwürmer und Fliegen gezüchtet. Proteinwunder sollen auf den Speiseplan.

Bei „Hans im Glück“ waren sie ruckzuck ausverkauft, und auch andere Burgerketten haben vor einiger Zeit schon durchweg gute Erfahrungen mit ihrem neuen Angebot auf der Speisekarte gemacht. „Übermorgen“ hieß die Bulette, war weder aus Rinderfleisch noch vegetarisch, sondern aus: Würmern.

Ist ja eklig, werden wahrscheinlich die meisten Leserinnen und Leser denken, doch der Name des Gerichts ist Programm. Angesichts einer ständig wachsenden Weltbevölkerung, zunehmender Umweltverschmutzung und schwindenden Ressourcen muss sich auch die Ernährungsindustrie auf Alternativen umstellen. Insekten gelten dabei als wichtigste – und besonders gesunde – Nahrungsquelle.

Milliarden Soldatenfliegen

In Bergen op Zoom in der Provinz Noord-Brabant steht seit zwei Jahren Europas größte Insektenzuchtfarm. Die Firma Protix BV wurde 2009 von Kees Arts gegründet, das Hauptquartier befindet sich in dem Örtchen Dongen. In Bergen op Zoom werden in riesigen Hallen Larven der Schwarzen Soldatenfliege gezüchtet. Mit den proteinhaltigen Insekten, die sich wiederum von Lebensmittelabfällen ernähren und schnell wachsen, werden bisher lediglich Fische und Hühner gefüttert, ein anderen Teil des Ertrags dient Gärtnern als Kompost.

Wenn es nach Kees Arts geht, dann sollen seine Soldaten – und andere Insekten oder Würmer – bald auch auf unseren Tellern landen. „Es ist so cool, an der Spitze einer völlig neuen Kategorie von Ernährung zu stehen“, sagt der Protix-Chef im Interview mit einem Fachblatt. Schon jetzt habe sich der Umsatz mehr als vervierfacht. Sobald die Europäische Union den Lebensmittelmarkt für Insekten und Würmer auch offiziell freigebe, werde Protix liefern.

Dass getrockneter gelber Mehlwurm, die Larvenform des Mehlwurmkäfers, sowohl in seiner gesamten Form als auch als Pulverzusatz für den menschlichen Verzehr unbedenklich sind, hat die EU schon vorher entschieden. Ein erster Schritt, bevor Snacks, Proteinriegel, Kekse und andere Lebensmittel, die Insekten als Zutaten enthalten, bald genehmigt werden könnten. Noch aber gilt eine Übergangsregelung, laut der zwar der Verkauf von Lebensmitteln aus Insekten erlaubt sind, die EU-weite Zulassung lässt aber weiterhin auf sich warten.

Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit ernähren sich bereits von 2.000 Insektenarten, vor allem in vielen asiatischen Ländern ist der Verzehr von Heuschrecken, Fliegen, Würmern und mehr längst normal. In Europa müssen die meisten Verbraucher ihre Abscheu vor dem Krabbelgetier allerdings erst überwinden. Bis erneut ein „Übermorgen“-Burger auf der Speisekarte eines Restaurants stehen wird, dürfte es also noch etwas dauern.

Dass dieser Prozess schneller vorangeht, daran arbeiten auch die Pioniere der „Bugfoundation“. Das junge Unternehmen aus Osnabrück stellte 2018 auf der Grünen Woche in Berlin zum ersten mal seinen ungewöhnlichen Imbiss vor. Es dauerte nicht lange, bis der erste Auftrag ins Haus flatterte. Die Handelskette Rewe bestellte bei der „Bugfoundation“ den „Beatburger“.

Chips aus Mottenlarven

König Willem-Alexander war bei der Eröffnung der Protix-Insektenform im März 2019 in Bergen op Zoom persönlich vor Ort. 
König Willem-Alexander war bei der Eröffnung der Protix-Insektenform im März 2019 in Bergen op Zoom persönlich vor Ort.  © Unbekannt | protix B. V.

In Finnland, Belgien und den Niederlande gibt es schon seit Jahren neben Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch,Eiern, Milch und Käse in Supermärkten auch insektenhaltige Lebensmittel. In den Niederlanden war die Supermarkt-Kette „Jumbo“ die erste, die bereits 2015 Fast-Food und Snacks aus Mehlwürmern, Heuschrecken und Mottenlarven im Sortiment führte. Zunächst lagen die Frikadellen, Burger und Chips aus essbaren Insekten nur in zwei Filialen im Norden der Niederlande in den Regalen. Nach und nach wurden dann die restlichen über 400 Geschäfte mit den für Europa immer noch ungewöhnlichen Lebensmitteln bestückt. Unter anderem gibt es Chips aus Mottenlarven in den zwei Geschmacksrichtungen Salz oder Paprika.

Im Internet konnten essbare Käfer und Würmer schon vorher bestellt werden, auch einige kleinere Geschäfte in den Niederlanden hatten Insekten-Naschereien im Angebot. Jumbo wurde dann der erste Supermarkt, der die Produkte ins Sortiment nahm. „Essbare Insekten sind nicht nur gesund. Sie sind auch nachhaltig und helfen, versiegende Lebensmittelressourcen zu schonen“, sagte Jumbo-Sprecherin Laura Valks.

Zuvor hatte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für Aufsehen gesorgt, als sie die noch zögerlichen westlichen Verbraucher aufrief, ihre Abscheu vor Insekten zu überwinden. Insekten seien eine umweltfreundliche Ergänzung zu herkömmlichen Lebensmitteln. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung esse laut FAO schon Insekten, weil sie „lecker und nahrhaft“ sind – und ungleich weniger Ressourcen benötigen als zum Beispiel Rinder oder Schweine.

Bei Protix weiß man das längst. Die Schwarze Soldatenfliege ist bereit, sie schwärmt zwar nicht aus, um die Welt zu erobern, aber in ihren Kisten in Bergen op Zoom tut sie alles dafür, um die Welt ein bisschen besser zu machen.

Innovationspreis

Protix hat den niederländischen Innovationspreis 2020 gewonnen. Das Unternehmen setzte sich mit seiner führenden Rolle bei der Produktion von nachhaltigen Lebensmitteln durch.

In einem vollautomatischen Produktionsprozess werden in einer riesigen Farm in Bergen op Zoom schwarze Soldatenfliegen gezüchtet. Die effiziente Herstellung von Lebensmitteln auf Insektenbasis gilt als weltweit führend.