Essen. Der Arzt des Uni-Klinikums Essen, der todkranke Patienten getötet haben soll, schweigt zunächst vor dem Landgericht Essen.
Arzt ist er, soll Menschen helfen. Aber am Dienstag ist der 45 Jahre alte Andreas B. vor dem Essener Schwurgericht vor allem der Angeklagte. Aus falsch verstandener Hilfe soll er bei einem todkranken Patienten am Essener Universitätsklinikum aktiv Sterbehilfe geleistet haben. Deshalb sitzt er jetzt nach mittlerweile neun Monaten Untersuchungshaft vor seinen Richtern, muss sich wegen Totschlags verantworten.
Er selbst äußert sich am Dienstag zum Prozessauftakt nicht zu den Vorwürfen. Aber er lässt seinen Verteidiger Harald Wostry erklären, dass die Anklage von Staatsanwältin Birgit Jürgens nicht stimme. Ursächlich für den Tod sei allein "das zulässige Abschalten" der Apparate, etwa der Herz-Lungen-Maschine, gewesen, behauptet der Rechtsanwalt. Und keineswegs eine angebliche Überdosierung verschiedener Medikamente, fügt er hinzu. Auch die geringe Dosis Kaliumchlorid sei auf keinen Fall todesursächlich. Der Arzt strebe die vollständige Rehabilitierung an.
Ursprünglich dreifacher Totschlag angeklagt
Ursprünglich hatte die Anklage gegen den Anästhesisten auf dreifachen Totschlag gelautet. Im November vergangenen Jahres hatte ein Krankenpfleger des Klinikums den Vorgesetzten gemeldet, Andreas B. habe am 13. November bei einem Patienten aus Holland den Sterbeprozess durch die Injektion von Kaliumchlorid unzulässig verkürzt.
Ermittlungen kamen in Gang, der Arzt ging in U-Haft, und die Staatsanwaltschaft war sicher, dass der auf der Intensivstation II beschäftigte Mediziner bei drei Patienten den Sterbeprozess illegal verkürzte. Getötet habe er durch viel zu hohe Dosen von Schmerz- und Narkosemitteln. In einem Fall habe er auch das zum Herzstillstand führende Kaliumchlorid verabreicht, das in der Sterbebegleitung nichts zu suchen habe.
Verfahren nur in einem Fall eröffnet
Bei zwei Patienten hatte dem Schwurgericht die Beweislage nicht ausgereicht. In diesen Punkten hatte es die Anklage abgelehnt und Nachermittlungen angeordnet. Im Fall des Patienten aus Rotterdam, eines 47 Jahre alten Familienvaters, eröffnete es das Verfahren - offenbar sah es die Gabe von Kaliumchlorid als sehr belastend für die Schuldfrage an.
Bei allen drei Patienten hatten Klinikärzte entschieden, dass die schwer an Corona erkrankten Patienten wohl keine Chance mehr auf einen Therapieerfolg hatten. Es gibt Stimmen, die sagen, dass sie an anderen Kliniken längst verstorben wären. Nach Gesprächen mit Angehörigen seien die lebenserhaltenden Apparate schließlich abgeschaltet worden. Um das Leid der Patienten im Sterben zu verringern, werden ab diesem Zeitpunkt weiter schmerzstillende und narkotisierende Medikamente gegeben, damit die Patienten sich nicht quälen müssen.
Medizin in Kroatien studiert
Der hochgewachsene, kräftige Angeklagte, der seine grau melierten Haare zum Zopf zusammengebunden hat, äußerte sich zwar nicht zu den Anklagevorwürfen, erzählte aber von seinem bisherigen Leben. Geboren in Hamburg erhielt er die deutsche und die kroatische Staatsbürgerschaft. Mit der Familie zog er nach Kroatien, ging zur Schule und absolvierte eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Danach studierte er dort Medizin. Bis 2004 arbeitete er als Arzt in Kroatien, kehrte dann zurück nach Deutschland.
Seinen Lebenslauf erzählt er selbstbewusst, weist mehrfach darauf hin, welche "Expertise" er im Laufe der Jahre erworben habe. Neun Jahre hatte er am Uniklinikum Heidelberg gearbeitet, war dann im Februar 2020 nach Essen gezogen, weil sein Chef eine Berufung ans Essener Uniklinikum erhalten hatte. Den Arzt verunsichert auch nicht, dass Staatsanwältin Birgit Jürgens zwischendurch bemerkt, offenbar benötige man in Kroatien kein Abitur für ein Medizinstudium. Das bestätigt er: "Das ist das alte jugoslawische System."
Vorwürfe vor dem Wechsel zur Intensivstation II?
Jörg Schmitt, Vorsitzender des Schwurgerichtes, versucht aufzuklären, warum der Angeklagte bereits im Juli 2020 von der Kardioanästhesie zur Intensivstation II wechselte, wo er in die Sterbebegleitung von Corona-Patienten eingebunden worden sei. Ob es vor dem Wechsel Vorwürfe gegeben habe?
Die Antworten bleiben ein wenig vage, viel nachgefragt wird zu diesem Zeitpunkt nicht. Da gab es wohl mal den Vorwurf der Belästigung einer Kollegin, sagt der Angeklagte. Aber offenbar ist da nichts dran gewesen, lässt seine Antwort erahnen: "Das ist gemeldet worden. Und dann besprochen und geklärt. Ich habe die Kollegin anschließend noch weiter ausgebildet."
Kritik am Betriebsklima im Essener Uniklinikum
Er wehrt sich auch gegen die unterschwellige Verdächtigung, das sei eine Strafversetzung gewesen: "Es ist eine Ehre, auf die Intensivstation zu kommen. Man sagt dann: Ich freue mich." Mit den Herzchirurgen, seine erste Station in Essen, habe er keine Probleme gehabt, sagt er. Und dann wieder ein wenig nebulös über das Betriebsklima am Essener Uniklinikum: "Wenn man offen spricht, ist Essen nicht wohlgesonnen. Da ist Neid auf die Expertise - dass man einem was wegnimmt."