Ruhrgebiet. Friedhöfe haben in der Großstadt einen hohen ökologischen Stellenwert. Und alle, die ein Grab pflegen, können diesen Stellenwert noch steigern.
Wenn Corinne Buch sich über ein langweiliges Stück Wiese beugt, dann sieht sie alles mögliche, nur kein langweiliges Stück Wiese. „Schafgarbe, Löwenzahn, Gänseblümchen, kriechender Klee“, erkennt die 41-Jährige, „bestimmt zehn Sorten Gräser, Frühlingshungerblümchen, Weidenröschen . . . Hier steppt der Bär!“ Nicht mulchen, nicht düngen, nicht zu oft mähen - schon blüht uns was.
Man sieht es schon, die Frau ist Biologin, Fachfrau für Friedhöfe, und kennt deren großen ökologischen Stellenwert in der Großstadt genau. Und jeder, der ein Grab pflegt, kann diesen Stellenwert noch steigern. „Die Leute müssen keine Botaniker oder Gartenprofis sein, es geht um grundlegende, einfache, logische Sachen.“
„Das Wichtigste überhaupt: Das Wasser muss in den Boden“
Auf dem Terrassenfriedhof nah der Stadtgrenze von Essen und Mülheim hat sie Einiges zu zeigen. „Das Wichtigste überhaupt: Das Wasser muss in den Boden“, sagt sie. Aus ökologischer Sicht sind Grabplatten, Schottergräber oder die Bedeckung mit bunten Scherben oder Kunstrasen - ja, das gibt es - abzulehnen.„Kommt kein Wasser in den Boden, ist er nahezu tot.“ Vom Regenwurm bis zur Mikrobe verschwindet alles, auch die Verwesung verläuft nicht richtig - aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen.
So weit, so einfach - und Punkt zwei ist auch nicht schwerer. Man solle, sagt Buch, auf das Substrat achten. „Alles, was Erde ist, ist gut. Erde ohne Torf“, um die Moore zu schützen. „Am besten ganz normale Blumenerde.“
Manche Insekten sind spezialisiert auf eine einzige heimische Pflanzenart
Gräber seien auf einem Friedhof wie „viele kleine Gärten nebeneinander“. Wenn man sie schön macht, dann gilt: „Bepflanzung mit allem, was blüht und was Pollen und Nektar anbietet.“ Wegen der Insekten, versteht sich.
Bei der Auswahl der Pflanzen solle man auf die Jahreszeit achten: „Es beginnt mit Schneeglöckchen, dann kommen die Krokusse, Veilchen im März, ab April die freie Auswahl.“ Und im Herbst endet das Blütenwunder mit Astern und Heidekraut. „Das kommt auch alles im nächsten Jahr wieder, wenn man ein bisschen Glück hat.“
Wer sich gut auskennt und ambitioniert ist, der könne zum Blühen ausschließlich heimische Arten einsetzen. Denn es gibt Insekten, die so spezialisiert sind, dass sie nur auf eine einzige einheimische Art fliegen - und ohne sie sterben. Aber auch Zuwanderer wie Lavendel tut Insekten gut, Zitronenmelisse sei gar „eine Bienenpflanze“.
Ein karges Grab macht mehr Arbeit als ein bepflanztes
Der Artenreichtum - auf dem Grab oder auch unserer langweiligen Wiese - spricht mehr Insekten an und festigt das ökologische Gefüge. „Je mehr Arten da sind, desto besser ist das System gewappnet für Angriffe wie Dürre oder Frost.“ Deshalb sei Bepflanzung auch nicht nur hübsch, sondern ein Wert an sich. Und praktisch gesehen: macht ein karges, nicht bepflanztes Grab mehr Arbeit, weil dann das wächst, was man nicht will.
Man kann sich mit ökologischen Sonderwünschen natürlich auch an die Friedhofsgärtnereien wenden, die eh auf Grabpflege spezialisiert sind. Doch wie in jedem Beruf, gibt es auch dort unterschiedliche Standards und Meinungen. „Fragen Sie gezielt nach!“, rät Buch.
„Ich bin eine Frau, die sich nicht über Schnittblumen freut“
Auf Friedhöfen hätten Pflanzen und Tiere einen Rückzugsraum gefunden. „Kein Licht in der Nacht. Keine Hunde, die Tiere jagen.“ Sauerstoffproduzenten sind sie, Naherholungsgebiete ohne Trubel. Dagegen ist die Biologin keine Freundin der vielen Schnittblumen hier. Sie werden gezüchtet, verbrauchen Wasser und Ressourcen, müssen transportiert werden und sind das Gegenteil von nachhaltig.
„Ich bin eine Frau, die sich nicht über Schnittblumen freut.“ Sondern über das tief verwurzelte Frühlingsfingerkraut, das sie auf dem Terrassenfriedhof wieder gefunden hat. Es galt als bei uns ausgestorben. Hallo, Frühlingsfingerkraut. Schön, dass du wieder da bist.