Bochum. Corona und (noch) kein Ende. Der Bochumer Psychologe Prof. Jürgen Margraf wie die Menschen im Land mit der Dauerkrise klar kommen.

Fast zwei Jahre Corona. Der Psychologe Prof. Jürgen Margraf erklärt im Gespräch mit Andreas Böhme, was das mit den Menschen in Deutschland gemacht hat.

Feiernde Jecken und nahezu ausverkaufte Fußballstadien im November, Geisterspiele und abgesagte Karnevalsumzüge im Januar. Immer neue Warnungen vor Omikron auf der einen, Werbung für den Urlaub Frühjahr 2022 auf der anderen Seite. Können die Menschen mit diesen Widersprüchen noch umgehen?

Nicht alle. Bei Ereignissen, die sich wie die Corona-Wellen länger wiederholen, gibt es Probleme. Wenn sich nicht vorhersagen und kontrollieren lässt, was passiert, nimmt die Angst zu. Zwei Drittel der Menschen kommen mit den Folgen der Pandemie klar, ein Drittel ist mittlerweile verunsichert. Und ein kleiner Teil dieses Drittels wendet sich der Szene der Querdenker und Verschwörungstheoretiker zu. Das große Problem dabei ist das Internet als Verstärkungsmedium ihrer Ansichten.

„Es wurde nicht einheitlich kommuniziert“

Für viele Menschen unverständlich: Am 11. 11. durfte gefeiert werden
Für viele Menschen unverständlich: Am 11. 11. durfte gefeiert werden © dpa | Henning Kaiser

Aber warum wird es immer schwieriger, auch Menschen, die weit weg sind von Querdenkern, zu erreichen, zu sensibilisieren und Verständnis für mögliche neue Einschränkungen zu wecken?

Vieles ist in den vergangenen Monaten richtig gelaufen, manches aber auch nicht. Es wurde von verschiedenen Behörden nicht einheitlich kommuniziert in der Krise. Und widersprüchliche Kommunikation ist irgendwann nicht mehr nachvollziehbar. Dass in Deutschland im vergangenen Jahr Bundestagswahlkampf war, war in diesem Zusammenhang gar nicht gut.

Die neue Regierung erleichtert Geboosterten mit Lockerungen das Leben. Muss man Menschen tatsächlich zeitnah belohnen, damit sie sich impfen lassen?

Viele machen eine Booster-Impfung, um sich selbst und andere zu schützen. Manche aber auch, um dadurch aktuell Vorteile zu haben. Das ist nicht ungewöhnlich, der Mensch ist so gepolt. Es reicht nicht, dass man sich durch die Impfung vielleicht irgendwann nicht ansteckt. Unser Verhalten wird von kurzfristigen Konsequenzen gesteuert. Dinge, die vielleicht irgendwann in der Zukunft kommen, interessieren uns kaum. Vorteile, die sich unmittelbar ergeben, dagegen schon. Aber es geht ja in diesem Fall eigentlich nicht darum, dass keiner besser als der andere sein darf, sondern es geht darum, dass wir Freiheitsrechte haben, die vorübergehend eingeschränkt sind – mit einer guten Begründung. Wenn diese Begründung weg ist, kann man sie auch nicht weiter einschränken.

Gewöhnen sich die Menschen an Corona?

Werden die Menschen sich irgendwann tatsächlich daran gewöhnt haben, dass Covid 19 zu ihrem Leben gehört wie eine Grippe oder der Norovirus?

Ja, das war bei Aids in den 1980ern nicht anders. Und das ist auch nach einschneidenden Ereignissen wie Hochzeit oder Trauerfällen nicht anders. Nach Hochs und Tiefs in Extremsituationen kehren wir immer wieder auf unser normales Niveau zurück. Das ist grundsätzlich auch gut so.

Macht es einen Unterschied in der persönlichen Gefahrenbewertung, ob ich über die Folgen einer Infektion lese oder ob ich sie in der Familie oder im Freundeskreis hautnah miterlebt habe – möglicherweise mit tragischen Folgen?

Das macht es. Ich wundere mich schon lange, mit welcher Nonchalance manche Menschen angesichts von mittlerweile über 100.000 Corona-Toten in Deutschland erklären, dass halt eben der ein oder andere sterben muss in der Pandemie. Da wird einfach darüber hinweg gegangen. Das ändert sich oft erst, wenn das Virus in den eigenen persönlichen Raum vordringt.

Manches lässt sich nur als Kollektiv bewältigen

Menschenleer Innenstäfdte zu Silvester: Große Feiern waren verboten.
Menschenleer Innenstäfdte zu Silvester: Große Feiern waren verboten. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die Zahl der Impfgegner ist groß, ihr Verhalten zunehmend bedrohlicher. Aber wie sieht es umgekehrt aus? Offenbar sind erste Teile der geimpften Mehrheit nicht mehr länger bereit, sich wegen der Ungeimpften einzuschränken. Schlummert da ein Konflikt, der vielleicht viel größer ist als man derzeit ahnt?

Es besteht zumindest das Risiko, dass mehr Streit entsteht. Ob die Solidarität untereinander tatsächlich nachlässt, kann ich wissenschaftlich nicht belegen. Man kann aber den Eindruck haben.

Wenn die Pandemie vorbei ist, werden wir dann wieder so leben wie früher?

Ich glaube ja. Das war nach den Epidemien früher ja nicht anders und selbst nach dem Krieg sind die allermeisten Menschen irgendwann wieder in ein normales Leben zurückgekehrt. Ich hoffe aber, dass ein paar positive Effekte bleiben werden. Etwa, dass wir gelernt haben, dass es Ereignisse gibt, die wir nur als Kollektiv bewältigen können – wie den Klimawandel beispielsweise. Und dass wir uns – auch in Bezug auf Infektionskrankheiten nicht wieder einer Illusion der Sicherheit hingeben werden, die es gar nicht gibt.