An Rhein und Ruhr. Lange Zeit stand der Konzern für eine rückwärtsgewandte Energiepolitik. Jetzt loben sogar Gegner, wie konsequent RWE auf Erneuerbare umstellt.

Niederaußem bei Bergheim. Neurath bei Grevenbroich. Diese beiden Braunkohlenkraftwerke im Rheinischen Revier zwischen Mönchengladbach im Norden und Köln im Osten sind die sichtbarsten Relikte einer Ära, die zu Ende geht, sie sind in Beton gegossene monumentale Klimakiller, die für die größten Treibhausgasemissionen in Europa nach dem polnischen Kraftwerk Belchatów verantwortlich waren. Beide Kraftwerke werden vom Essener Energiekonzern RWE betrieben, der wie kaum ein anderes Unternehmen zum Feindbild von Klimaaktivisten und Umweltschützern wurde. In jüngster Zeit treibt der Konzern jedoch einen radikalen Kurswechsel voran und erntet dafür auch Lob von denen, die sich mit RWE in der Vergangenheit harte Auseinandersetzungen lieferten.

Für die meisten Menschen, die sich in den vergangenen Jahren für den Erhalt des kleinen Waldes am Braunkohletagebau Hambach und gegen den Abriss von Dörfern am Tagebau Garzweiler einsetzten, ist RWE noch immer ein Symbol für eine rückwärtsgekehrte Energiepolitik, die die Zukunft des Planeten aufs Spiel setzt, um Profite zu machen. Gegen den Ausstieg aus der Atomkraft hatte der Konzern zusammen mit anderen großen Energieerzeugern wie Vattenfall und EnBW noch mit viel Aufwand Lobbyarbeit betrieben, als es für die Atommeiler längst keine gesellschaftliche Mehrheit mehr gab, gegen ein Ende der Braunkohle-Verfeuerung sträubte sich RWE lange trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse über deren Klimaschädlichkeit.

Anteil der Erneuerbaren mittlerweile bei rund 30 Prozent

Es ist noch keine zehn Jahre her, als Greenpeace eine Imagekampagne des Konzerns höhnisch kommentierte, als „Volksverdummung“ abkanzelte und RWE als „rücksichtsloses Monster“ bezeichnete, das nur auf Kohle und Atom setze und die Erneuerbaren Energien mit Füßen trete. Seinerzeit lag der Anteil der Erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung von RWE bei gerade einmal 0,4 Prozent – wobei bereits abgeschriebene Wasserkraftanlagen nicht berücksichtigt wurden –, rechneten die Umweltaktivisten vor. Als der damalige Vorstandsvorsitzende Rolf Martin Schmitz im Jahr 2019 den Umbau des Konzerns zu einem globalen Ökostromproduzenten verkündete, schrieb die konservative FAZ von einer „peinlichen Öko-Propaganda“, zumal sich RWE lange Zeit „hartnäckig gegen die Energiewende“ gestemmt habe.

Seitdem ist aber viel geschehen. Laut dem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns beträgt der Anteil der Erneuerbaren mittlerweile fast 30 Prozent. Mehrere RWE-Kohlekraftwerksblöcke sind bereits vom Netz. Den kompletten Kohleausstieg, der aktuell noch 2038 vorgesehen ist, aber möglichst früher umgesetzt sein soll, lässt sich RWE vom Staat mit 2,6 Milliarden Euro Steuergeldern entschädigen. In dem Bericht führt RWE eine Stromerzeugungskapazität von 2,3 Gigawatt durch Offshore-Windkraftanlagen (auf hoher See) und rund sieben Gigawatt durch die Installation von Windkraft- und Solaranlagen auf dem Land auf, dazu 1,2 Gigawatt durch Biomasse.

„Die haben riesige Sprünge gemacht“, lobt Dirk Jansen, Geschäftsleiter beim Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Düsseldorf. „Man muss anerkennen, dass RWE im Vergleich zu anderen Stromerzeugern den Umbau am konsequentesten umsetzt.“ Natürlich, sagt Jansen, sei ihm bewusst, dass RWE den radikalen Kurswechsel nicht aus moralischen oder ökologischen Erwägungen vollzogen habe, sondern einfach deswegen, weil das bisherige Geschäftsmodell keine Zukunft mehr habe; „aber wir gehen da nicht mit einer ideologischen Brille dran“. Hauptsache, es tut sich etwas.

Hatte sich der BUND vor wenigen Jahren noch verschiedene juristische Auseinandersetzungen mit dem Konzern geliefert, argumentierten beide Seiten zuletzt gemeinsam im NRW-Klimabeirat gegen die umstrittene Abstandsregelung für Windkraftanlagen, die vom schwarz-gelben Kabinett Laschet verabschiedet worden war. Um die „ehrgeizigen Ausbauziele für die Erneuerbaren zu erreichen, muss Deutschland an Tempo zulegen“, so eine RWE-Sprecherin. Die Abschaffung der Mindestabstände sei dazu eine „wichtige Maßnahme“.

2040 will der Konzern klimaneutral sein

Der Konzern wolle „jedes Erneuerbare-Energien-Projekt in Deutschland realisieren, das möglich ist“ und investiere dafür bis zum Jahr 2030 rund 15 Milliarden Euro brutto in Windkraft, Solar, Wasserstoff und Speicher. Für NRW plane man mit einem Zubau von einem Gigawatt Erneuerbarer Energie. 2040 will der Konzern klimaneutral sein.

Der neue grüne Anstrich wird mit bemerkenswerter Chuzpe verkauft. „Die RWE AG ist ein international führendes Unternehmen auf dem Gebiet der klimafreundlichen Stromerzeugung“, heißt es eingangs im jüngsten Nachhaltigkeitsbericht. Die Aktionäre machen Druck, wenn es nicht richtig läuft. Bei der RWE-Hauptversammlung im April übte ein Vertreter der Sparkassen-Investmentfirma Deka Investment scharfe Kritik, weil der Kohlendioxid-Ausstoß des Konzerns im vergangenen Jahr deutlich gestiegen war, um satte 20,7 Prozent auf 81 Millionen Tonnen. Den Anstieg erklärte der Konzern mit ungünstigen Wetterverhältnissen, es habe zu wenig Wind und Sonne gegeben.

Die Klimabilanz des Energie-Konzerns könnte auch durch den Krieg in der Ukraine verhagelt werden. Sollte Russland den Gashahn weiter zudrehen und eine „Gasmangellage“ drohen, könnte die Reaktivierung von drei Braunkohlen-Kraftwerksblöcken nötig werden, die derzeit als Sicherheitsreserve vorgehalten werden.