Am Niederrhein. Dr. Barbara Hendricks ist seit 27 Jahren für den Kreis Kleve im Bundestag. Im September tritt sie nicht mehr an. Zeit, zurück zu blicken.
Die aus Kleve stammende Dr. Barbara Hendricks vertritt die Interessen des Kreises Kleve seit 27 Jahren im Bundestag. Noch im November zeigte sie dort in einer Rede klare Kante gegen die AfD. Ende des Jahres endet ihr aktives politisches Leben, die 68-jährige SPD-Politikerin wird nicht mehr kandidieren. Zeit für einen Blick zurück auf ihr politisches Leben – und auf ihre Pläne für die Zukunft.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Sie in die Politik gegangen sind, Sie haben doch ein Lehramtsstudium absolviert?
Ich wollte mir die eventuelle Möglichkeit offenhalten in den Schuldienst zu gehen, habe deshalb nach dem Studium der Geschichte und der Sozialwissenschaften in Bonn 1976 das 1. Staatsexamen gemacht. Ich habe dann sogar einige Monate als Aushilfslehrerin gearbeitet. Ich hätte das gekonnt, wollte es aber eigentlich nicht. Stattdessen habe ich dann promoviert, um eine zusätzliche Qualifikation zu haben. Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich engagieren wollte. Mein Eintritt in die SPD mit gerade einmal 19 Jahren war sowohl eine Kopf-, als auch eine Herz-Entscheidung. Die Zeit damals, 1972, war eine hochpolitische. Da ging es unter Kanzler Willy Brandt unter anderem um die Frage, ob es Verrat ist, wenn man die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn anstrebt.
Was hat Sie all die Jahre angetrieben?
Mich hat angetrieben etwas in gesellschaftlicher Verantwortung zu tun. Über 20 Jahre lang war ich ehrenamtlich politisch tätig, zunächst in Bonn, später dann im Kreis Kleve im Kreistag. Ich habe in dieser Zeit mehrmals für den Landtag kandidiert ohne gewählt zu werden. Neben der politischen Arbeit hat für mich immer auch das Miteinander eine wichtige Rolle gespielt.
Was sind Ihre wichtigsten Erfolge?
Das ist ganz klar das Pariser Klimaschutzabkommen, das ich als Bundesumweltministerin 2015 für die Bundesrepublik Deutschland ausgehandelt und unterzeichnet habe. Das war ein besonderes Highlight in meiner Karriere. Aber es gab weitere Meilensteine. So habe ich in meiner Zeit als Parlamentarische Staatssekretärin auf Bundesebene den Solidarpakt II von 2005 bis 2019 fachlich ausgehandelt. Solche Erfolge sind nicht jedem Politiker vergönnt. In diese Zeit fielen außerdem neue Steuergesetze, das für alle gleiche Kindergeld, aber auch die Riesterrente, die sich aus meiner Sicht noch immer lohnt, insbesondere für Menschen mit mittlerem Einkommen und Kindern.
Was den Kreis Kleve betrifft, so war ich an der Finanzierung der Museen Schloss Moyland und Kurhaus Kleve aktiv beteiligt. Zuletzt habe ich mich für den Bau der Europaradbahn und die Umgestaltung des Klärwerks in Kleve mit Bundesmitteln eingesetzt.
Gemeinsam mit Ronald Pofalla (CDU) und Paul K. Friedhoff (FDP) habe ich Projekte wie den Flughafen Weeze und den Lärmschutz an der Betuwelinie durch- und umgesetzt. Bei den großen Verkehrsprojekten haben wir an einem Strang gezogen. Jetzt auch wieder mit Stefan Rouenhoff (CDU) für die Optimierung der Bahnstrecke Kleve-Krefeld. Beim Erwerb des Flughafens und des Kasernengeländes in Goch war ich als Parlamentarische Staatssekretärin federführend aktiv. Ich habe für den Kreis Kleve eine Menge erreichen können.
Was sind im Rückblick die schlimmsten Erfahrungen für Sie?
Für mich waren das die teils unerbittlichen Auseinandersetzungen in der Konkurrenz mit Ronald Pofalla. Seit sieben oder acht Jahren haben wir nun ein ausgesprochen gutes Verhältnis, eigentlich seit er 2013 seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hatte.
Wer sind Ihre wichtigsten Wegbegleiter und warum?
Im Kreis Kleve wurde ich von vielen getragen, die erfahrener und älter waren als ich. Wichtig für mich war zum Beispiel mein Vorgänger Helmut Esters oder der langjährige SPD-Geschäftsführer Hans-Bernd Kraus aus Kranenburg. Als ich jung berufstätig war, durfte ich den damaligen Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner und auch Helmut Schmidt und Willy Brandt hautnah erleben als Pressesprecherin der Bundestagsfraktion. Von den beiden NRW-Finanzministern Diether Posser und Heinz Schleußer habe ich eine Menge gelernt. Als ich dann 1998 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium wurde, war ich gut vorbereitet.
Was hätten Sie politisch gern noch erreicht?
Ich hätte mir gewünscht, dass die positive Stimmung für den Klimaschutz, wie ihn die Fridays for Future-Bewegung erzeugt hat, eher gekommen wäre. Ich hätte das Klimaschutzgesetz, das ja erst Ende 2020 beschlossen wurde, gern schon früher verabschiedet, eigentlich war es schon Ende 2016 fertig. Übrigens wäre es wichtig, neben der Bekämpfung des Klimawandels auch das Artensterben mehr in den Blick zu nehmen. Da müssen wir alle sehr viel aufmerksamer werden und bindende internationale Beschlüsse fassen.
Sie haben sich all die Jahre auch ehrenamtlich engagiert. Was hat Sie da motiviert?
Ich bin gebeten worden mich einzubringen und bin bei Aktion pro Humanität mit Sitz in Kevelaer und den Amani Kinderdörfern Geldern in den Gremien aktiv. Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind Themen, die mich interessieren. Ich engagiere mich außerdem im Zentralkomitee der Katholiken, leite dort den Bereich nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung. Ich sitze im Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung und im Stiftungsrat Deutscher Denkmalschutz. Historie bewahren, Stadtentwicklung und Denkmalschutz sind ebenfalls Aspekte der Nachhaltigkeit. Vernetztes Denken ist mir bei meiner ehrenamtlichen Arbeit wichtig. Als Mitglied im Aufsichtsrat des Katholischen Karl Leisner Klinikums in Kleve geht es mir darum, die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum zu stärken.
Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter?
Ich werde meine ehrenamtlichen Tätigkeiten fortsetzen. Ich bin nicht praktisch veranlagt, und so kann ich mich mit meinen Fähigkeiten einbringen.
Was wünschen Sie sich für Ihre private Zukunft? Werden Sie nach Kleve zurückkehren?
Ich werde keine Langeweile haben, bin in Zukunft freier in der Gestaltung meiner Zeit. Ich werde in Kleve und Berlin leben, meinen Wohnsitz in Kleve auch weiterhin behalten. Meine Frau und ich haben uns vor einiger Zeit ein Motorboot zugelegt, das bei Berlin liegt. Wir haben beide den Bootsführerschein Binnen gemacht und verbringen unsere freie Zeit schon jetzt gern an und auf dem Wasser.
Was wünschen Sie Ihrer Partei?
Dass sie natürlich bessere Wahlergebnisse bekommt als es jetzt in den Umfragen aussieht und dass es ihr gelingt, ihre Zukunftsvorstellungen den Bürgerinnen und Bürgern besser zu vermitteln. Da bin ich zuversichtlich. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass die CDU/CSU nicht an der Regierung ist. Nach meiner Erfahrung will die Union zwar regieren, aber nicht gestalten, sondern verhindern.
>>> Zur Person Barbara Hendricks
Barbara Hendricks war nach dem ersten Staatsexamen 1976 bis 1978 beim Deutschen Studentenwerk tätig, dann bis 1981 als Referentin bei der Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion. 1980 promovierte sie mit der Arbeit „Die Margarineindustrie am unteren Niederrhein im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert“ zum Dr. phil.
Bis 1990 war sie Pressesprecherin des NRW-Finanzministers. Bis 2001 war sie Mitglied im Parteirat und im Landesvorstand, ab 1996 als Schatzmeisterin. 1994 zog sie erstmals in den Bundestag in.
Von 2001 bis 2013 war sie Bundesschatzmeisterin, von 2013 bis 2018 Bundesumweltministerin. Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde ihr im Februar 2021 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse verliehen.