Essen./Gelsenkirchen. Ein politischer Streit in Gelsenkirchen bringt drei Afghanen vors Essener Schwurgericht. Sie sollen einen Landsmann ermordet haben.

Ein innenpolitischer Streit um den afghanischen Volkshelden Ahmad Shah Massoud soll Hintergrund einer tödlichen Messerstecherei unter Landsleuten in Gelsenkirchen gewesen sein. Vor dem Essener Schwurgericht müssen sich seit Mittwoch wegen Mordes und Mordversuchs die beiden Gelsenkirchener Abdelmaqsoud N. (34) und Farddim N. (29) sowie der Münchener Sajed Nasim S. (33) verantworten. Sie weisen die Vorwürfe pauschal zurück, schweigen zunächst aber.

Am 15. Januar war das Trio im Stadtteil Buer auf einem Aldi-Parkplatz gegen 22 Uhr auf eine sechsköpfige Gruppe getroffen. Nach einem kurzen verbalen Streit, so die Anklage von Staatsanwältin Sonja Hüppe, sollen die Angeklagten ihre bis dahin verborgenen Messer gezückt und auf die anderen Männer eingestochen haben.

Tödliche Stiche in den Bauch

Der Düsseldorfer Mujtaba A., 18 Jahre alt, erlitt dabei Stiche in den Bauch und starb in der Nähe des Parkplatzes. Ein weiterer Mann aus dessen Gruppe wurde lebensgefährlich verletzt, Ärzte retteten sein Leben in einer Notoperation. Anwohner und Passanten hatten zuvor die Polizei gerufen und sich um die Verletzten gekümmert.

Die Ermittlung des Tatmotivs, aber auch des Tatablaufs gestaltete sich schwierig für die Kriminalpolizei. Nur zögerlich kamen die ersten Angaben der Beteiligten, je nach Ermittlungsstand kamen weitere Angaben hinzu. Widersprüche in den Aussagen erschwerten die Aufklärung.

Streit um den Nationalhelden

Was die Staatsanwältin in ihrer Anklage als Hintergrund ermittelt hat, hört sich nach Kinderkram mit leider schrecklichen Folgen an. Der Getötete soll sich nämlich über Internetaufrufe des Angeklagten Abdelmaqsoud N. beschwert haben, in denen dieser sich auf den Nationalhelden Massoud berief und auch dessen auffällige Kopfbedeckung trug. Dies sei aber nicht erlaubt, so die angebliche Kritik des später Getöteten, weil der Angeklagte nur aus einem Nachbardorf des Volkshelden komme und nicht aus dessen Heimatort Panjshir selbst.

Deshalb habe der Düsseldorfer Kontakt zu dem Gelsenkirchener aufgenommen. Beide hätten eine Aussprache für den Abend des 15. Januar in Buer vereinbart. Tatsächlich habe das jetzt angeklagte Trio aber den Entschluss gefasst, ihre zahlenmäßige Unterlegenheit durch einen überraschenden, notfalls tödlich endenden Messerangriff auszugleichen. So formuliert es jedenfalls Staatsanwältin Hüppe in ihrer Anklage. Niedrige Beweggründe unterstellt sie dem Trio als Mordmerkmal.

Kämpfer gegen Sowjets und die Taliban

Nationalheld Massoud, um den der Streit angeblich ging, hatte zunächst gegen die sowjetischen Besatzer und anschließend gegen die Taliban gekämpft. Am 9. September 2001 hatten ihn Selbstmordattentäter der Taliban, die sich als belgische TV-Journalisten getarnt hatten, bei einem Interview ermordet. Als die Taliban nach dem Abzug der Nato wieder an die Macht gekommen waren, hatten sie sein Grab vor wenigen Wochen zerstört. Massoud gehörte ebenso wie die Angeklagten und die Opfer der Volksgruppe der Tadschiken an.

Der Bruder des in Gelsenkirchener erstochenen Mujtaba A. widerspricht dieser Anklageversion allerdings. Am Mittwoch behauptet er als Zeuge, sein jüngerer Bruder sei politisch nicht aktiv gewesen. "Was weiß ein 18-Jähriger schon von Politik?", sagt der 28-Jährige. Es sei auch Unsinn, dass die Kopfbedeckung des Nationalhelden nur von Männern aus dessen Heimatdorf getragen werden dürfe: "Jeder darf das."

Verteidiger sprechen von Notwehr

Viel weiter kommt das Essener Schwurgericht am Mittwoch nicht. Die Angeklagten werden zunächst schweigen. Verteidiger Andreas Wieser, der den Gelsenkirchener Farddim N. vertritt, spricht von Notwehr. Die Anklage verkehre die Täter- und die Opferseite. Tatsächlich sei auch die Gruppe der angeblich Geschädigten mit Messern bewaffnet gewesen.

Auch Verteidiger Heinz R. Schmitt erklärt, das Ziel sei ein Freispruch. Er vertritt den aus München stammenden Angeklagten, der viele Jahre für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet haben soll: "Er war bei hochrangigen Treffen Dolmetscher." Sein Mandant sei "geprägt von absoluter Gewaltfreiheit in seinem bisherigen politischen Engagement."

Angeklagter beschwert sich über Haftbedingungen

In früheren öffentlichen Auftritten hatte sein Mandant behauptet, für Afghanen "gelten in Deutschland die Menschenrechte nicht". Am Mittwoch beschwert er sich über aus seiner Sicht entwürdigende Umstände bei seiner Einlieferung in das Essener Gefängnis. Wegen seines Nachnamens hätten Justizvollzugsbeamte ihn dort abfällig begrüßt: "Da ist ja der ägyptische Präsident."

Und er habe sich vor den Beamten komplett nackt ausziehen müssen. Richter Jörg Schmitt äußert sein Bedauern, bemerkt aber, dass die Sicherheitsbestimmungen bei der Einlieferung tatsächlich so seien. Geplant sind zunächst 16 Verhandlungstage.