Ruhrgebiet. In Kursen bringt die Outdoor-Trainerin Melanie Hundacker den Menschen die Natur wieder nahe. Ihr Credo: Draußensein hilft! Gern auch barfuß.
Schockiert krümmen sich nackte Zehen um nackte Steine. Ist das kalt! So kalt, dass es wehtut. Bloße Füße balancieren über die Mauer am Teich, braune Platanenblätter schwimmen im Schilf. Daneben stehen erwartungsvoll die Fellstiefel mit den selbst gestrickten Socken, die Luft hat auch nur drei Grad. Ein kleines Mädchen bleibt erstaunt stehen. „Was machen die denn da?“ Gute Frage, gute Antwort: „Wir machen uns gesund!“
Für Melanie Hundacker ist das ganz logisch. Barfußlaufen bei Kälte, Spazierengehen im Regen, Wandern im Dunkeln. Hauptsache raus, raus, raus! „Wir drücken das immer weg, aber wir brauchen die Natur!“ Die Essener Outdoor-Trainerin erklärt das gern unter dem Motto „Säbelzahntiger“: „Wir haben früher alle draußen gelebt, das ist unser ureigenstes Bedürfnis.“ Und wer drin bleibt, weil es kalt ist, nass und überhaupt unbequem, der leide unter einem Naturdefizit.
Der Mensch von heute ist „rechtwinklig geprägt“, die Natur nicht
„Probier mal“, sagt sie gerade, „mit den Unebenheiten der Steine zu spielen.“ In der Natur gebe es nichts Genormtes, der Mensch 2021 aber sei rechtwinklig geprägt. Gut gemeint, die Füße kriegen gerade erst wieder Gefühl.
Den letzten Schnee spüren, die ersten Vögel singen hören – in Kursen bringt Melanie Hundacker Menschen wieder bei, was die eigentlich von allein können müssten: bewusst nach draußen zu gehen, „einen großen Schritt zu tun“ hinaus aus dem Hamsterrad. „Man lernt, solche kleinen Momente zu genießen.“ Denn die, und seien sie nur ein paar Minuten lang, können Großes bewirken, das ist erwiesen: Der Rundumblick schafft neue Perspektiven, der Körper entspannt, der Blutdruck sinkt, die Seele kommt zur Ruhe, die Kreativität wird angeregt, das Abwehrsystem gestärkt.
Ein bisschen bewegen kann dabei nicht schaden, Hundacker selbst führt ihre Telefongespräche gern im Gehen. „Man sollte 10.000 Schritte am Tag machen.“ Studien haben gezeigt: Der Büromensch schafft bis zu 3000, im Homeoffice nur noch 400. Klar: Bett, Tisch, Sofa. Könnten, ganz ehrlich, sogar weniger sein.
Waldbaden, Atmen, Schweigen: ein Experimentierfeld
Viele wissen gar nicht mehr, wie das geht, verlieren vor lauter „Ich müsste eigentlich“ immer wieder gegen den inneren Schweinehund. Für sie hat Melanie Hundacker („bring deinen Schweinehund einfach mit“), die sonst Touren durch das Ruhrgebiet anbietet, das Programm „Gesund.Achtsam.Outdoor“ erfunden. Eine gute Stunde in der Woche bietet sie an, woraus sich jeder die Rosinen picken kann, ein Experimentierfeld unter Anleitung: Schweigen, Waldbaden, nachts im Wald Sein, bewusst Atmen.
In Essens Grugapark passiert das am Gradierwerk, bei „Gorilla-Übungen“ fließt salzige Luft in die Lungen, und ein wenig Muskelkater gibt es später auch. Im Rhododendron-Wald duftet es nach ätherischem Öl, heute: Lavendel, Melanie Hundacker macht Gymnastik am Ententeich, die Enten fliehen, Spaziergänger gucken. „Sieht vielleicht seltsam aus“, das weiß sie selbst, „aber das sollten viel mehr Leute machen.“
Achtsamkeitsübungen, kein Überlebenstraining!
Auch das Kneippen, vor dem so viele Menschen sich fürchten, weil sie denken: „früh morgens, eiskalt“. Das ist es nicht, das Wasser aus der grünen Gießkanne kommt aus dem Thermobecher, dreimal fließt es vom Knie abwärts, „wie ein seidener Überzug“. Ein Schild mahnt: „Eisfläche nicht betreten“, aber so kalt ist es nun auch wieder nicht. Was Melanie Hundacker den Menschen zeigt, sind „Achtsamkeitsübungen, kein Überlebenstraining“.
Eigentlich verkauft sie ihren Teilnehmern Zeit für sich selbst. Die könnten sie sich auch selbst nehmen, nur wissen viele Menschen nicht wie. Kerstin aus Essen ist es so gegangen, die wollte einfach mal „raus aus der Komfortzone“ – im Winter ist sie nie gern rausgegangen, bei Regen und in der Dämmerung. Sie entdeckte einen neuen Blick dafür, „dass auch das seinen Reiz hat“, vom Sofa aus habe sie das nicht gesehen. „Irgendwann habe ich mir sogar gewünscht, dass es regnet.“
Kursleiterin: „Nehmt die Jahreszeiten an!“
Die Kursleiterin möchte genau das: „Dass du das Draußensein genießt und als gesundheitsfördernd wahrnimmst“. Dass die Menschen nicht leidend durch den Winter gehen und auf den Frühling warten. „Nehmt die Jahreszeit an!“ Gewohnheiten durchbrechen, sich selbst ausprobieren, die Widerstandskraft stärken. Den Körper wahrnehmen, ihn stärken, „etwas für die Gesundheit tun, nicht gegen eine Krankheit“. Denn nur, wer sich selbst wohlfühle, „kann auch nett und freundlich für andere da sein. Drinnen oder draußen.
Die Füße übrigens, nach Barfußlauf und Kneippkur wieder sicher verstaut im Stiefel – waren noch nie so lecker warm. Auch nachts im Bett – immer noch.
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„Du möchtest Deine Abwehrkräfte stärken? Den Bakterien und Viren trotzen? … Einen Tiefpunkt vermeiden und dem Winter- oder dem Coronablues ein Schnippchen schlagen? Beginne jetzt! Warte nicht!“
So wirbt die Essener Erlebnispädagogin, Ruhrpott-Guide, Outdoor- und Mentaltrainerin Melanie Hundacker für ihren Kurs „Gesund.Achtsam.Outdoor“. Während des Lockdowns gibt es derzeit keine Termine. Einzeltrainings sind aber möglich. Die nächsten Kurse starten – so Corona es zulässt – Ende Mai und Anfang Juni, jeweils montags um 17.30 Uhr. Hundacker, die sonst Fahrrad-, Wander- oder Joggingtouren durch das Ruhrgebiet im Programm hat, freut sich schon jetzt über Kontaktaufnahme: simply-out-tours.de.
KLEINES GLOSSAR ZUM ABWEHRSYSTEM
KNEIPPEN. Uuh, kaltes Wasser!, sagen die Empfindlichen. Quacksalberei, sagen manche Schulmediziner. Aber Kneippen ist nicht nur das Kalt-Wassertreten. Die Kneipp-Therapie ist ein nach dem Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–97) benanntes Behandlungsverfahren, zu dem neben Wasseranwendungen (auch mit warmem Wasser!) die Bereiche Pflanzenwirkstoffe, Bewegung und Ernährung gehören. Alle können vorbeugend oder zur Behandlung angewendet werden. Wie man auch dazu steht: Das Kneippen gehört zum Weltkulturerbe der Unesco, zumindest ist es also Kulturgut. Und wer einmal ausprobierte, ein paar Schritte im kalten Wasser zu machen, hatte zumindest an dem Tag keine kalten Füße mehr...
RESILIENZ. Alle reden davon, gerade in diesen Zeiten, aber was ist das eigentlich: Resilienz? Man könnte sagen, die Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft des Menschen, seine Fähigkeit, Stress durch sich verändernde Situationen abzuwehren bzw. sich damit zu arrangieren, ohne seelischen Schaden zu nehmen. Wissenschaftler sagen, Resilienz sei der „Prozess, in dem Personen auf Herausforderungen und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren“. Als Gegenteil von Resilienz gilt die (Vulnerabilität), auch dieser Begriff kommt in der Corona-Krise häufig vor. Auch Resilienz lässt sich trainieren, nicht nur durch Therapien, sondern zum Beispiel durch sportliche Aktivitäten oder bewusste Begegnungen mit der Natur.
IMMUNSYSTEM. Das Immunsystem ist – einfach erklärt – das Abwehrsystem des Körpers. Es sorgt dafür, dass Krankheitserreger wie Bakterien und Viren, Pilze, Keime und Parasiten, die in den Körper gelangen, bekämpft werden und eine Infektion verhindert wird. Dabei wirken Organe wie Haut, Darm oder Milz zusammen. Zusätzlich entwickelt der Körper im Laufe des Lebens Antikörper gegen bestimmte Erreger, die er über die Jahre erst kennenlernt – durch Infektionen oder auch durch Impfungen.