Ameland. Einmal Ameland, immer Ameland: Spaziergänger und Naturfreunde lieben die ausgedehnte Dünenlandschaft und den kilometerlangen Strand.
Zickzackkurs ist angesagt. Wir fahren vorbei an dickbäuchigen roten und grünen Bojen. Die Fähre sucht sich ihren Weg durchs Wattenmeer Richtung Ameland. Luftlinie sind es nur 8 km, aber auf geradem Weg ist die niederländische Nordseeinsel nicht zu erreichen. Denn das Meer ist eine Diva und die hat ihre Launen: Die Fahrrinne windet sich hin und her. 45 Minuten dauert die Überfahrt, bei Ebbe auch schon mal länger. Zeit genug, um runterzukommen, den alltäglichen Kleinkram zu vergessen. Das Boot zuckelt gemächlich auf die Kirchturmspitzen der vier Dörfchen und den rot-weiß-geringelten Leuchtturm zu, der aus dieser Perspektive an eine Zuckerstange erinnert.
Wir gehen es noch langsamer an: zu Fuß! Drei Stunden dauert die Wattwanderung mit den Guides vom Wadloopcentrum Fryslân. Zehn Kilometer geht es durch Wasser und Matsch – die fünf ersten sind die anstrengendsten. Der Schlick macht uns zu schaffen, mühsam ist das Rumgestapfe im Matsch und wir haben kaum einen Blick für das Weltnaturerbe Wattenmeer übrig.
Uns ist ziemlich egal, dass wir hier gerade die Kinderstube von Millionen Vögeln, Seehunden und Fischen durchqueren. Doch dann ist die Schlickplatte überwunden, wir queren eine Muschelbank und laufen auf festen Sandbänken weiter. Vorbei an Spaghettihäufchen, die in Wirklichkeit Ausscheidungen von Wattwürmern sind, Scheren von Krebsen, Algen, Strand-Beifuß – „das ist gut gegen Flöhe in den Matratzen“, wie uns Guide Jan erklärt – und vielem mehr. Doch er weiß auch, dass Quallen zu 98 % aus Wasser bestehen, Garnelen ihr Geschlecht wechseln können und Seesterne Muscheln auslutschen.
Drama am Strand
Weitaus dramatischer ging es jahrhundertelang zehn Kilometer westlich vom Anleger zu, wie wir von Wilhelm lernen. Der rüstige Rentner kennt die Insel wie seine Westentasche. Die Wattwanderung macht er heute zum ersten Mal mit, aber „die Pferdebootrettungsaktion in Hollum habe ich sicher schon zehn Mal gesehen“. Das sei ein Spektakel. „Man wird an die Urgewalt des Meeres erinnert und schaut gleichzeitig dem perfekten Miteinander von Mensch und Tier zu“, begeistert sich der Bauernsohn aus dem Münsterland.
Recht hat er. Wir stehen in Hollum am Strand und hören es schon, bevor wir es sehen: das Rettungsboot Abraham Fock. Zehn Kaltblüter ziehen das 9 t schwere Boot vom Dorf zum zwei Kilometer entfernten Strand. Es ruht auf einem Trailer, der über Ketten läuft und mächtig Krach macht. Dazu kommen die lauten Rufe der Männer und das Schrillen der Pfeife, mit der der baas die Pferde dirigiert. Der Chef läuft vorneweg und etwa 15 Männer mit ihm. Sie halten die Tiere in Schach – kein leichtes Unterfangen.
Das Publikum am Strand und auf den Dünen ist sichtlich gespannt. Wir auch. Die Tiere strahlen eine enorme Kraft aus, als sie auf das Meer zutraben. Zwei Pferde werden aus-, die anderen umgespannt. Jetzt geht es mit Mordskaracho über die Brandung in die See. Die Vierbeiner ziehen die Abraham Fock ins Wasser, dann werden sie abgekoppelt, das Boot rollt vom Trailer und dreht ein paar Runden durch die Wellen. Nach einer Viertelstunde ziehen die Pferde es wieder raus.
Was heute Show ist, war bis 1988 bittere Realität. „Egal, ob es eine fiese Februarnacht war oder ein Sommertag, Windstärke 10 oder windstill, eiskalt oder Schlagregen – Männer und Pferde mussten raus “, erzählt uns einer der Männer an der Spendenbox für den Seenotrettungsdienst KNRM. Bis auf ein Mal ging alles gut. Der Tag, an dem es nicht gut ging, war der 14. August 1979. Die Besatzung eines deutschen Schiffes befand sich in Seenot. Damals ertranken alle acht Pferde. Sie gerieten in eine Untiefe und konnten nicht schnell genug abgekoppelt werden. Heute sticht bei Alarm ein modernes Rettungsboot in See.
Wir überlegen, wie es um unsere Kondition steht. 236 Stufen – und die Aussichtsplattform des Leuchtturms ganz im Inselwesten ist erreicht. Der 55 m hohe vuurtoren gilt als der schönste der Watteninseln. Doch wir verschieben das Treppensteigen auf einen anderen Tag und entscheiden uns für die Hollumer Windmühle. In der Getreide- und Senfmühle mit dem schönen Namen ‚Die Erwartung’ ist heute Showtime. Sie wird ausschließlich von Freiwilligen betrieben, eine ziemliche Leistung.
Yme ist einer dieser vrijwilligers, ohne die viele niederländische Institutionen nicht überleben könnten. Wir betreten den kleinen Verkaufsraum. Hier gibt es zig Mehlsorten, darunter einen Pfannkuchenmix, und Senf: 13 verschiedene Sorten, von Seetang über Honig bis zu Cranberry. Yme schmeckt der normale am besten: „Der ist auch in unserer Senfsuppe. Echt lekker!“ Der Müller hantiert jetzt an der Senfmühle und zeigt uns, wie Senfkörner auf traditionelle Weise gemahlen werden. „Der Mahlstein kommt übrigens aus der Eifel. Guter Lavabasalt“, erfahren wir. Und woraus der Senf besteht: „Senfkörner, Wasser, Essig und Salz. Die Gewürze kommen erst später dazu.“
Schauen, ob das Meer noch da ist
Die von Yme gelobte Senfsuppe gibt es auch im netten Strandpavillon in Buren. Doch dafür ist jetzt keine Zeit, wir wollen an den Strand. Hier ist er besonders schön: kilometerlang, mit feinstem Puderzuckersand. Drachen kleben am Himmel, Strandläufer und Sanderlinge trippeln auf Nahrungssuche durch die Brandung, am Horizont Surfer – die Idylle ist perfekt. Jetzt gut eingepackt ordentlich den Wind um die Nase wehen lassen, das geht immer. Pfeift er zu stark, kann man auch wohlbehütet durch die Dünen schlendern.
Doch wir wollen das Meer riechen und sehen. Dafür sind wir schließlich hier. Meer geht immer, auch mit Abstand, wenn sonst gar nichts geht. Und so sind unsere weiteren Tage mit einfachen Dingen ausgefüllt: Schauen, ob das Meer noch da ist, Wanderungen am Strand und in den Dünen, Muscheln sammeln, Möwen gucken, mit den Füßen in einem Priel planschen, sich den Wind durch die Haare pfeifen lassen. Wir sind angekommen.
Tipps, weitere Infos und Links
Wadloopcentrum Fryslân:www.wadlopen.net, Start am Fähranleger beim Restaurant, 27,50 € (inkl. Fähre zurück), Gepäckbeförderung mit der Fähre, (erst wieder ab Frühjahr 2022, siehe Website).
Demonstration Pferderettungsboot:https://amelandermusea.nl/bezoeken/maritiem-centrum-abraham-fock (ebenfalls erst wieder ab Frühjahr 2022).
Korn- und Senfmühle ‚De Verwachting’: https://amelandermusea.nl/bezoeken/koren-en-mosterdmolen-de-verwachting.
Weitere Infos zur Insel und zur aktuellen Corona-Lage: www.vvvameland.de bzw. www.vvvameland.de/ueber-uns/ameland-en-corona.
Amelander Senfsuppe
Zutaten (für 4 Pers.): Hollumer Senf (ca. 3 EL pro Liter), ein Schuss Weißwein, 500 ml (Gemüse-)Brühe, 500 ml (Koch-)Sahne, 25 g Butter, eine kleine Lauchstange, in Ringe geschnitten, Füllung: ausgebackene Speckwürfel, Räucherlachsstreifen oder Krabben, Salz und Pfeffer.
Zubereitung: Den Senf in einen Topf geben und während des Erhitzens mit einem Holzlöffel umrühren, sodass der Senf entsäuert. Mit Weißwein ablöschen, Brühe und Sahne unter Rühren hinzufügen. Fünf Minuten köcheln lassen. Butter in eine Pfanne geben und darin die Lauchringe (bis auf 2 EL für die Garnitur) andünsten. Füllung in die Suppe geben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Mit den restlichen Lauchringen garnieren.