An Rhein und Ruhr. Noch im Mai waren die Grünen in Umfragen stärkste Kraft. Obwohl ihre Partei an Boden verliert, gibt sich die Basis an Rhein und Ruhr kämpferisch.
Aktuelle Umfragen sehen die Grünen bei etwa 18 Prozent – eine Verdopplung im Vergleich zur Bundestagswahl 2017. Die Partei liegt deutlich vor FDP und AfD, sogar die Kanzlerschaft scheint möglich. Richtige Freude will bei den Grünen aber trotzdem nicht aufkommen: Seit dem Umfragehoch im Mai (fast 25 Prozent) hat die Partei deutlich an Boden verloren. Bei einer Direktwahl würde laut ARD-Deutschlandtrend nur jeder achte Wähler für Annalena Baerbock stimmen. Dennoch gibt sich die Parteibasis an Rhein und Ruhr kämpferisch.
„Ich glaube, das TV-Triell hat vielen Mitgliedern Rückenwind gegeben“, sagt Mirja Cordes, Ratsfrau in Düsseldorf. Baerbock habe deutlich gemacht, dass es einen Aufbruch nur mit den Grünen gebe. „Der Dreikampf hat gezeigt: SPD und CDU stehen nach wie vor für ein politisches ‚Weiter so‘“, so Cordes. „Das Anpacken der Klimakrise wird nur mit starken Grünen möglich sein.“ Nach dem Fernsehauftritt der eigenen Kanzlerkandidatin werde sich die Basis nun noch optimistischer an den Wahlkampfstand stellen. Trotz sinkender Umfragewerte gelte der Wahlkampfslogan: „Alles ist drin“ – auch das Kanzleramt, glaubt die Grünen-Politikerin. „Wir kämpfen bis zum letzten Tag.“
Klimaschutz: „Das ist schon ein Thema, das uns alle betrifft“
Cordes habe den Eindruck, dass der Klimaschutz vor allem bei jungen Wählern immer mehr an Bedeutung gewinne: „Andererseits muss man sagen: Es gibt auch ‚Omas for Future‘.“ Auch ältere Bürger würden sich Gedanken um die Umwelt machen. „Das ist schon ein Thema, das uns alle betrifft.“ Die Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz hätte vielen Menschen vor Augen geführt, dass die Folgen des Klimawandels „nicht mehr so weit weg“ seien. „Da haben ja nicht nur 20-Jährige ihre Existenzen verloren, sondern auch Bürgerinnen und Bürger, die mitten im Leben stehen.“
Auch Ulrich Gorris, Grünen Fraktionssprecher in Wesel, hat einen guten Auftritt seiner Kanzlerkandidatin gesehen. „Sie war fachlich sehr souverän und hat an den entscheidenden Stellen energisch Position bezogen.“ Trotzdem sei es frustrierend, dass die Grünen in den vergangenen Monaten wieder einige Prozentpunkte einbüßen mussten. Den Kampf um die Kanzlerschaft will Gorris aber noch nicht aufgeben. „Das wäre eine große Chance“, so der Fraktionssprecher. „Die Wähler wissen: Wenn sie grün wählen, wird es mehr Veränderungen geben als unter Laschet.“
Meyer-Wilmes: Bürger setzen in Krisenzeiten auf Erfahrung
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Die anderen Parteien würden den Menschen etwas vormachen, wenn sie Stabilität und ein sicheres „Weiter so“ propagierten. Klimaschutz, Digitalisierung, Alterung der Gesellschaft: „Es gibt viele Veränderungsprozesse, die wir gestalten müssen“, sagt Gorris. Die Zeit des politischen Verwaltens sei vorbei. „Wenn Laschet behauptet, mit ihm als Kanzler bleibe alles beim Alten, ist das gelogen. Niemals werden Deutschland und die Welt so bleiben wie sie sind.“
Dass bei einer Direktwahl laut Umfragen vor allem SPD-Kandidat Olaf Scholz bei den Wählern punktet, führt Hedwig Meyer-Wilmes, Grünen-Fraktionsvorsitzende in Kleve, auf die Pandemie und Krisenherde wie Afghanistan zurück. „Die Menschen suchen aktuell nach Sicherheit. Dass sie dann die Person favorisieren, die auf Bundesebene schon Regierungserfahrung hat, ist verständlich.“ Hinzu komme eine „typisch deutsche Macke“ bei der Beurteilung von Kandidaten: „In Deutschland wird Jungsein oft verbunden mit fehlender Kompetenz“, glaubt Meyer-Wilmes. Länder wie die Niederlande seien da schon weiter.
Kanzlerkandidaten stehen im „Kreuzverhör der Kritiker“
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Baerbock hatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Negativ-Schlagzeilen gesorgt: Plagiatsvorwürfe um ihr Buch, nachgemeldete Nebeneinkünfte und Ungenauigkeiten im Lebenslauf. „Ich finde es nicht zufällig, dass die Fehlersuche bei Baerbock angefangen hat“, so Meyer-Wilmes. Außerdem seien die Plagiatsvorwürfe längst entkräftet. Die Grünen seien inhaltlich gut aufgestellt. Dass Baerbocks Fettnäpfchen so stark beleuchtet wurden, habe mit einer zunehmenden Skandalisierung in der Öffentlichkeit zu tun.
„Wer sich ums Kanzleramt bewirbt, steht im Kreuzverhör der Kritiker“, sagt Cordes. „Damit muss man rechnen und dann muss man auch dazu stehen, wenn Dinge nicht optimal gelaufen sind.“ Jeder Partei würden im Wahlkampf Fehler unterlaufen. „Es ist nur ärgerlich, weil einige Fehler vermeidbar waren.“ Die Partei müsse daraus für die Zukunft lernen und dürfe sich jetzt nicht ablenken lassen. „Ich würde nie vorher aufgeben – unter keinen Umständen“, betont die Grünen-Politikerin. „Es lohnt sich immer, bis zur letzten Minute zu kämpfen.“