Ruhrgebiet.. Von wegen potthässlich! Das Revier hat Stil, sagen junge Mode-Bloggerinnen aus der Region: Bodenständig sei der, kreativ, vor allem selbstbestimmt.

Das Ruhrgebiet trägt Joggingbuxe, Grau in Grau und kennt Sti(e)l nur als den Pinn im Speiseeis. Sagt das böse, alte Vorurteil. Die jungen Leute sagen – und weil sie jung sind, posten sie das, bloggen und appen: „Sooo was von überholt! Der Ruhrpott ist voll stylish!“ Und seine Mode ehrlich, bodenständig, kreativ, typisch. Von wegen pott-hässlich!

War Ihnen noch gar nicht aufgefallen? Den Münchnern schon. Jedenfalls kommen die schönsten Blicke von ganz oben herab aus Bayern: „Die denken, das ist hier eine Asi-Ecke“, weiß Jana Wernicke aus Dortmund. „Die sehen alle aus wie Atze Schröder und laufen in Jogginghosen rum“, vernahm Rebecca Dunker aus Gelsenkirchen. Und eine Shoppingseite im Netz wählte die Essener 2012 zu den „am schlechtesten gekleideten Großstädtern“. Dreimal A: Asi, Atze, Armut. Doch nun kommen diese jungen Frauen, die das nicht mehr hören können, und behaupten: Das Ruhrgebiet hat Stil.

Region voller Individualisten

Rebecca Dunker hat gleich ihren Blog so benannt. „Ruhrstyle“ heißt der, gesteht allerdings gleich: Den einen gibt es nicht. „Mut zur Individualität“ beobachtet die 31-Jährige vielmehr, „viele Individualisten“ sehen auch Jana und Jil Wernicke, die den Blog „Zwillingsnaht“ betreiben. Und „den Ruhrgebiets-Style hat keiner erfunden“, weiß auch Mareike Fangmann aus Dortmund, die ihn unter „sPOTTlight“ trotzdem ins Licht rückt.

Was aber ist also hier, wenn in München alle „chichi“ sind und in Berlin die Hipster? „Praktisch, cool, lässig“, sagt Mareike, 23. Tough fällt ihr noch ein, ein leichter Hang zur Grobheit und, ja, etwas „Old School“: Die Jeansjacken sind zurück, gern auch „oversized“, etwas zu groß. Und Sneaker, Turnschuhe für alle Tage, gehen immer. Sie selbst trägt heute eine klassische weiße Bluse, darüber einen bunten Kimono, Sneakers, Goldkette, „aber nicht zu viel Blingbling“. Überhaupt empfiehlt sie Mäßigung: „Leomuster von oben bis unten geht nicht.“ Stilmix also.

Oder Stilbruch, wie bei Andrea Weber: Die Abiturientin mag’s bauchfrei oder transparent, sie kann aber auch Schlabberhose. Wer’s tragen kann. . . Solche Leute suchen sie: Mareike, Andrea und Helene Seidenstücker aus Bochum. Denn ihr „sPOTTlight“ soll einst mehr werden als ein Tagebuch im Netz. Eine Modezeitschrift fürs Revier, eine Art „Vogue“ für „Pottlinge“, wie sie sagen, mit Trends, hippen Geschäften, Designern aus der Region. Und den schon jetzt beliebten Rubriken „Streetstyles aus’m Pott“ oder „Fashion für’n Fuffi“ – „wir gucken uns das Schöne an, das gibbet hier nämlich massenhaft“.

Und woher kommt es? „Der Pott ist multikulturell“, sagt Rebecca Dunker in Gelsenkirchen. Der Einfluss der Kulturen bringe der Mode einen „Farben- und Mustermix“, mache sie bunt, fröhlich, „locker und nicht ganz so ernst“. In München, um den Vergleich noch mal zu bemühen, seien die Menschen „zugeknöpft“, um einen Einheitslook bemüht, beim Ruhri dagegen sei „alles frei Schnauze, und so tragen wir auch unsere Klamotten“.

Urbaner Schick junger Designer

Oder man erklärt es so wie die Dortmunder Zwillinge: Die sehen die Trends vor allem in der Skaterszene des Reviers entstehen, die Straßenkultur à la „Urbanatix“ zum Anziehen. Kappen, Shirts, weite Hosen, von kleinen Labels entworfen und genäht, „das schwappt alles rüber in die Mode“, sagt Jana Wernicke – urbaner Stil aus den Werkstätten junger Designer. „Man sieht hier viele Menschen, die sich Gedanken machen, was sie tragen. Modeaffine Leute.“

Und auch, wenn sie gern mal den Förderturm auf der Brust tragen oder das Dortmunder „U“ auf der Handtasche: „Pottlinge“ sind vielleicht traditionsbewusst, aber nicht altbacken, wie Helene sagt. Manchmal ist der 36-Jährigen das Ruhrgebiets-Retro zwar „etwas zu vernostalgisiert“. Aber die Identifikation mit dem bodenständigen Revier sei auch bei den Klamotten groß, gut und wichtig: „Wir zeigen, was wir haben.“

Mehr als Jogginghosen.