Heimbach.. Auch das ist NRW: uralte Buchenwälder, geheimnissvolle Moorlandschaften, Feuchtwiesen, Seen und Bäche. Die NRZ stellt sie vor, die wildesten und schönsten Ecken unseres Landes – in der Serie „Wildes NRW“.

Das hätte sich Hermann Josef Jöpen (46) nicht vorstellen können, als er noch in seinem alten Revier Fichten schlug: „Früher haben wir alles schön aufgeräumt. Und heute lassen wir alles liegen!“ 2004, im Gründungsjahr des Nationalparks Eifel, tauschte der Forstwirt aus Heimbach Motorsäge und schweres Gerät gegen ein paar gute Wanderschuhe und die braune Ranger-Uniform, um seitdem Besucher durch die Natur zu führen, den Wildbestand zu beobachten, Veränderungen zu protokollieren. Nun stehen wir mit Jöpen am Fuße eines bewaldeten Hangs mitten im einzigen NRW- Nationalpark, um knapp sechs Kilometer auf dem „Schöpfungspfad“ zu wandern, einem von vielen Wanderwegen, den der Park zu bieten hat. Zehn Stationen laden mit Schautafeln zum Nachdenken über Gott und die Natur ein. An vielen Stellen sei der kurze Pfad schon „so mit das Wildeste, was wir hier zu bieten haben“, sagt Jöpen.

Hier plätschert nur der Mühlbach

Nur 60 Kilometer vom Nationalpark Eifel entfernt liegt der Köln-Bonner-Raum als Einzugsgebiet von mehreren Millionen Menschen mitsamt Industrie, Autobahnen, Flughäfen, mitsamt Lärm, Staus, Staub und Stress. Und nun ist man hier, wenige Schritte vom Dorf Erkensruhr entfernt, und ein Wunder tut sich auf. Es plätschert nur der Mühlbach und das erscheint einem schon laut. Je höher wir steigen, um so stiller wird es. Die Luft fühlt sich an wie klares Glas und immer wieder blinzelt die Sonne durch die Bäume.

Während wir steil bergan laufen, erzählt der Eifeler Ranger von der Dreiborner Hochfläche, über die wir später blicken werden und vom traurigen Dorf Wollseifen, dass 1946 von den Engländern innerhalb von drei Wochen geräumt wurde.

Danach wurde das riesige Gelände der Dreiborner Hochfläche zum Truppenübungsplatz für die Belgier. Bei Manövern wurden die Umgehungsstraßen gesperrt, um aus 20 Kilometern Entfernung Wollseifen beschießen zu können. Das gespenstische Wollseifen wird gerade von der Natur zurückerobert, in der benachbarten ehemaligen „Ordensburg“ Vogelsang, einem schaurigen Nazi-Klotz, wird gerade das Besucher- und Bildungszentrum umgebaut.

Das Schild an der Station 2 sagt: „Eintönigkeit ist die Mutter der Langeweile.“ Sind wir gerade noch durch einen Buchenwald gewandert, stehen wir nun vor dem finsteren Fichtenwald, in dem Bäume, gerade gewachsen wie Stricknadeln und aufgereiht wie mit dem Lineal gezogen. „Das ist kein Wald, das ist mehr eine Plantage“, stellt Jöpen fest.

Vor rund 200 Jahren begann man, abgeholzte Buchen-Eichen-Mischwälder durch schnell wachsende Fichten zu ersetzen, auch weil der Bedarf an Holz immer größer wurde. „Aber“, sagt Jöpen: „Die gehört nun mal nicht hierhin!“.

Im Nationalpark überlässt man nun die anfälligen Fichtenmonokulturen Sturm, Witterung und Borkenkäfern und hofft, dass sich die Buchenmischwälder ihren Platz rückerobern – so wie die Millionen wilder Narzissen, die gerade in den entwaldeten Tälern des Nationalparks blühen und eine Touristenattraktion geworden sind.

Schiefer wurde im Stollen abgebaut

Jöpen überquert einen Bachlauf.
Jöpen überquert einen Bachlauf. © Kai Kitschenberg | Unbekannt

Wir sind ziemlich weit oben angelangt, an der Station 5, „Hindernis und Schutz“. Ein zugeschütteter Eingang führte damals in eine Mine, in der Schiefer abgebaut wurde, um Material für Fassaden und Dächer der Eifeler Häuser zu bekommen.

Heute sind die Höhlen nur noch für Fledermäuse reserviert. Hier oben ragen bizarre, über und über bemooste Felsformationen empor, Baumstümpfe und Totbäume rotten in verschiedenen Stadien vor sich hin, der Zunderschwamm, der so heißt, weil die Menschen ihn früher getrocknet als Heizmaterial verwendeten, klebt an den Stämmen.

Hier ist es nun wirklich wild, hier oben mag sich auch die Wildkatze wohl fühlen, von denen es etwa 50 Tiere im Nationalpark gibt, wie man anhand von Kamerafallen feststellen konnte. 8000 Tier- und Pflanzenarten beherbergt der Park, erzählt Herr Jöpen, darunter Waldbewohner wie Schwarzstorch, Uhu, Rotwild, wilde Mufflonschafe und – Wildschweine. Die allerdings machen auch Ärger, weshalb sie, ebenso wie das Rotwild, gejagt werden. „Wildbestandsregulierung“ heißt das, Jöpen zeigt auf Waldböden, die aussehen, als sei ein Trecker durch den Boden gepflügt. „Das waren Wildschweine auf der Suche nach Würmern und Käfern.“

Wir wandern durch ein Birkenwäldchen und sind auf der Hochebene Leykaul mit wunderbarem Rundblick, 546 Meter hoch. Station „Ruhezeit“. Hier oben, erzählt Jöpen eine weitere wunderbare Geschichte, wurde ein ukrainischer Zwangsarbeiter im Krieg einem Einödhof mit zwei Schwestern zugeteilt. Er blieb auch nach dem Krieg, erbte später das Gehöft von den Schwestern, bis er von ein paar Jahren selbst starb. Das Land NRW kaufte den Hof den Erben ab, musste aber eine Gedenkstätte für die Bauersfamilie errichten.

Von hier aus kann man über das ehemalige Truppenübungsgelände der Dreiborner Höhe blicken. Wo früher die Panzer das Gelände durchpflügten, hat sich Ginster breit gemacht, der bald blüht. Vielleicht wachsen hier demnächst die ersten kleinen Birken in diesem sehr jungen Nationalpark. 30 Jahre dauert die „Gründungsphase“, dann müssen 75 Prozent der Fläche sich selbst überlassen sein, weiß Jöpen.

Wie es hier oben einmal aussehen wird, darüber mag er nicht spekulieren: „Wir werden es nicht mehr erfahren“, sagt er. Vielleicht wird auch hier oben wieder ein Buchenwald entstehen, in ein-, zwei-, dreihundert Jahren....

Für die Natur sind wir Menschen eben nicht mehr als Eintagsfliegen.

Der Nationalpark Eifel wurde als 14. von 16 deutschen Nationalparks 2004 gegründet und ist 110 km² groß. 240 Kilometer Wanderwege können auf eigene Faust oder aber von Rangern geführt erwandert werden. Neu ist der Wildnis-Trail mit der Wildkatze im Logo, 85 Kilometer führt er in vier Etappen quer durch den Park. An den fünf Nationalpark-Toren an allen Parkeingängen gibt es Infomaterial und Tipps. Vom Rhein-Ruhrgebiet aus sind es ca. anderthalb bis zwei Stunden Anfahrtsweg, um zum Nationalpark Eifel zu gelangen.