Ruhrgebiet. Während die Älteren „wie wild Mallorca buchen“ müssen viele junge Menschen vermutlich noch Monate auf die Corona-Impfung warten. Ist das fair?
Rund 1,8 Millionen Menschen haben in Nordrhein-Westfalen (Stand: 15. Mai) laut Robert-Koch-Institut (RKI) den vollen Impfschutz, darunter knapp 1,2 Millionen Menschen über 60 Jahre. Viele junge Erwachsene werden vermutlich erst in Monaten vollständig geimpft sein. Während sich die Älteren angesichts der bevorstehenden Urlaubssaison über die Sonderrechte für Geimpfte freuen, sieht die Stimmung bei ihnen anders aus.
Keine Ausgangssperre, keine Kontaktbeschränkungen, keine Quarantänepflicht nach Auslandsreisen – „Es ist gerecht, aber unfair“, sagt Henning Wiemer aus Dortmund. Wer geimpft sei und keine Gefahr für sich oder andere darstelle, dürfe in seinen Grundrechten auch nicht beschränkt werden. Die Maßnahmen für vollständig Geimpfte und Genese zu lockern sei daher „alternativlos“, so der 26-jährige Masterstudent. Aber: „Dass es unfair ist, steht außer Frage.“ Wie unfair, hänge davon ab, wie lange es nun dauere, bis alle Menschen einen Impftermin vereinbaren können.
Und auch in den sozialen Netzwerken teilen gerade junge Menschen die Ansicht, wieder einmal zurückstecken zu müssen: „Ich verzichte mehr als ein Jahr auf viele Aktivitäten und verpasse damit einen Teil meiner Jugend, um ältere Menschen zu schützen. Trotzdem dürfen sich die alten Menschen bald schon wieder mit vielen Leuten ohne irgendwelche Beschränkung treffen und ich muss weiterhin zuhause bleiben“, heißt es unter einem Instagram-Post der Tagesschau. Und auch auf Facebook schreibt Julian Kull, stellvertretender Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen Köln, unter einem Beitrag der WAZ: „Jugendliche sind die, die sich für die Ältesten am meisten zusammenreißen. Es sind auch diejenigen, die am längsten auf ihre Freiheiten warten müssen.“
Lockerungen für Geimpfte: „Das hätte schon viel früher passieren müssen“
Dass vor allem Studenten in der Corona-Krise vergessen worden sind, der Meinung ist auch Bochumer Yannik Krause: „Für Universitäten gibt es keinerlei Öffnungsperspektive“, beschwert sich der 22-Jährige. Sämtliche Bibliotheken seien seit Monaten geschlossen, was die Prüfungsvorbereitung enorm erschwere. Und dennoch befürwortet er die seit Anfang Mai in NRW geltenden Lockerungen für Geimpfte und Genesene: „Das hätte schon viel früher passieren müssen. Da wurde viel zu spät gehandelt.“
Es gäbe keinen Grund, Geimpfte weiter in ihren Freiheiten einzuschränken, sagt Yannik Krause. „Warum sollen die Menschen in Altersheimen nicht wieder zusammen essen dürfen? Das verstehe ich nicht.“ Auch bei der Maskenpflicht in Bus und Bahn müsse es für Geimpfte Ausnahmen geben, fordert der Student – „wobei das wahrscheinlich schwierig zu kontrollieren ist.“
Impftermin in Aussicht: „Ich habe wenigstens eine Perspektive“
Auch Lara Meneghinello findet es richtig, dass sich Menschen mit vollständigem Impfschutz wieder in größeren Gruppen treffen dürfen. „Irgendwann muss es ja wieder normal werden“, so die 20-Jährige. Dass aber die Testpflicht beim Friseur, in Geschäften oder Restaurants für Geimpfte wegfällt, sehe sie „eher kritisch“. So befürchtet die Studentin aus Ratingen, dass sie das Virus dennoch weiter übertragen könnten. Zwar schätzten Experten das Risiko gering ein, „erwiesen ist es aber nicht“.
Anders als viele andere Menschen in ihrem Alter gehört Lara Meneghinello zu denjenigen, die im Mai einen Impftermin vereinbaren dürfen – theoretisch. „Einen Termin habe ich noch nicht“, erzählt die angehende Erziehungswissenschaftlerin, die neben dem Studium in einer Bäckerei jobbt. Bis zu 20 Mal am Tag rufe sie die Seite der Kassenärztlichen Vereinigung auf, doch freie Termine gebe es keine. „Obwohl ich einen Termin in Aussicht habe, klappt es nicht“, bedauert sie. „Aber ich habe wenigstens eine Perspektive.“
WEITERE INFORMATIONEN
■ Menschen, deren zweite Corona-Impfung mindestens 14 Tage zurückliegt, gelten in NRW als „vollständig geimpft“. Ihren Impfstatus können sie mit dem Impfpass nachweisen.
■ Genesene müssen einen positiven PCR-Test vorlegen, der mindestens 28 Tage alt sein muss, aber nicht älter als sechs Monate sein darf. Wessen Erkrankung mehr als ein halbes Jahr zurückliegt, muss zudem eine Impfung nachweisen, die mindestens 14 Tage her ist.