Abwasserfrei bis Jahresende: Großes Finale für die Emscher
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Ruhrgebiet. Köttelbecke adé! Die Emscher stinkt bereits jetzt weniger, doch Ende 2021 soll nur noch klares Wasser fließen. Das ist der Fahrplan.
Es soll das Jahr der Emscher werden. Nach drei Dekaden der Sanierung soll die Kloake des Reviers Ende 2021 ein klarer Fluss sein, während das Abwasser in einem neuen Kanalsystem unter der Erde verschwindet. Doch bis dahin sind noch einige Hürden zu nehmen. Und auch danach ist der Umbau des Flusssystems längst nicht abgeschlossen. Dies ist der Fahrplan.
Der „finale Baustein“ ist das Pumpwerk in Oberhausen, erklärt der Sprecher der Emschergenossenschaft Ilias Abawi. Der „Abwasserkanal Emscher“ davor und dahinter liegt bereits, das Kernruhrgebiet haben sie dafür komplett untertunnelt, man könnte mit einem Auto hindurchfahren. Da der Kanal ein Gefälle von 1,5 Promille hat auf 54 Kilometern, käme das Abwasser 80 Meter unter dem Niveau des Rheins an, würde man diesen Strom nicht an drei Stellen in riesigen Pumpwerken empor hieven. In Gelsenkirchen und Bottrop pumpen sie schon seit 2018, in Oberhausen wird noch gearbeitet - bis „höchstwahrscheinlich August“. Maschinen und Elektrotechnik verbauen sie gerade, und einige Testläufe sind danach nötig, sagt Abawi, denn „ein solches Pumpwerk gibt es noch nicht“.
Die Bäche werden nicht alle fertig
Von der Quelle in Holzwickede bis zur neuen Mündung in Dinslaken hat die Emscher dann einen unterirdischen Zwilling. Doch da sind ja noch die Zuflüsse, 35 Bäche, die zum Teil weiterhin Abwasser führen. Auch hier haben die Emschergenossen ein unterirdisches Kanalnetz geschaffen, 423 Kilometer lang. Oder vielmehr bauen sie noch hier und dort, etwa an der Berne und am Borbecker Mühlenbach im Essener Norden. Erst 2022 werden hier die letzten Abschnitte fertig. Doch die Kanäle an den Unterläufen des Bernesystems seien bereits fertig, so Abawi, so dass zum Ende des Jahres „kein Tropfen Abwasser mehr in die Emscher fließt“.
Viele Zuläufe wie der Recklinghäuser Hellbach oder der Dortmunder Nettebach sind bereits angeschlossen. „Die Anwohner sagen, die Emscher stinkt seitdem deutlich weniger.“ Doch zum Beispiel der Läppkes Mühlenbach und der Hauptkanal Sterkrade in Oberhausen fehlen noch, der Sellmannsbach und der Schwarzbach im Bereich Gelsenkirchen oder das Hertener Holzbachsystem (mit Mündung ebenfalls in Gelsenkirchen) ebenso. Es macht Sinn, das neue Pumpwerk schrittweise zu belasten, doch strikt nach Größe geht es nicht, auch wenn der Hüller Bach als größter Zulauf wohl als letztes angeschlossen. Er mündet hinter dem Gelsenkirchener Zoom.
Die Wasserralle sorgte für fünf Jahre Baustopp
Bis zum Weltwassertag am 22. März soll Klarheit herrschen über die Reihenfolge, in der die Zuläufe an den zentralen Kanal kommen, erklärt Abawi. Langsame Genehmigungen, aktuelle Anforderungen an den Klimaschutz, ein neues Grubenwasserkonzept der RAG — und dann hat Corona die Bauarbeiten noch einmal durcheinander gebracht. Zwischenzeitlich konnten Arbeiter aus Polen und Belgien nicht einreisen, die zum Beispiel die Arbeiten am Holzbach hätten voran treiben sollen. Doch so mühsam die Corona-Auswirkungen auch sind, die gravierenden Verzögerungen lagen davor. Die Wasserralle, ein seltener Vogel, hatte sich am Borbecker Mühlenbach niedergelassen. Die Vogelsichtung hatte die Arbeiten dort für fünf Jahre gestoppt.
Vor allem aber musste die Gestaltung von Dutzenden Regenüberlaufbecken mit den Bezirksregierungen geklärt werden, nachdem sich die Vorgaben geändert hatten. Die Becken sind ein Puffer, damit das Wasser von der Straße und aus der Kanalisation dosiert in den Fluss gelangt. Regnet es so stark, dass ein Becken gefüllt wird, läuft Wasser über und gelangt ungeklärt in den sauberen Fluss, allerdings durch den Regen sehr stark verdünnt. Es ging in jedem Einzelfall um die Frage, ob weitere Becken- und Klärkapazitäten gebaut werden mussten. Antwort: Mal ja, mal nein, in manchen Fällen hält die Emschergenossenschaft nun den Platz vor. So musste die Emschergenossenschaft ihr ehrgeiziges Ziel 2020 auf den letzen Metern um ein Jahr verschieben.
Fertig ist der Umbau mit der Abwasserfreiheit Ende 2021 ohnehin noch nicht. Die Renaturierung vieler Abschnitte kann dann erst starten. Bis 2027 soll die Emscher laut EU-Wasserrahmenrichtlinie in einem „guten ökologischen Zustand“ sein - in diesem Jahr präsentiert sich die auf Blau und Grün gekrempelte Industrieregion der Welt mit einer Internationalen Gartenausstellung. Auch das neue Emscherdelta in Dinslaken steht hier im Fokus. Hinter dem Rheindeich entsteht hier in einem Dreieck mit zwei weiteren Dämmen eine naturnahe Auenlandschaft. Modelliert ist sie bereits zum größten Teil. Ihr Herzstück ist die Sohlgleite, eine Art Fischtreppe. Wie eine Stromschnelle liegen die Stufen mitten im Fluss, Fische können sie emporschwimmen. Momentan stoßen sie einige hundert Meter versetzt auf einen Wasserfall in Beton.
Im Sommer 2022 soll der Rheindeich geöffnet werden, dann darf das Mündungsdreieck auch überschwemmt werden. Die Natur wird entscheiden, welche Pflanzen sich hier ansiedeln - genau wie auf den anderen Emscherabschnitten. Es mag sein, dass der Fluss hier und da zuwuchert, doch sieben bis zehn Jahre will die Emschergenossenschaft nicht größer eingreifen. So lange wird es dauern, bis sich überall eine stabile Pflanzengemeinschaft etabliert hat. Erst dann beginnt die reguläre Gehölzpflege. Aber ob der Umbau im Jahr 2030 abgeschlossen sein wird? Klimaanpassungen, neue Umweltrichtlinien, Bäche, die sich zu tief eingraben, Geländeabsackungen … „Einen Endzustand gibt es wohl nicht“, sagt Abawi, „eher ist es ein endloser Zustand.“
Der rund 100 Kilometer lange „Emscher Radweg“ ist derzeit noch geprägt von Baustellen und Umleitungen. Ab 2022 soll er überall ausgebaut und schön gemacht werden. Auch weitere Betriebswege will die Emschergenossenschaft öffnen.
Touristische Herzstücke sollen die vier Emscherhöfe an der Quelle, der Mündung, in Castrop-Rauxel und in Bottrop werden. Am dortigen Bernepark wird man das einzige Stück Köttelbecke finden, das übrigbleibt — Betonwannen als Denkmal.
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