Dortmund. Immer mehr Menschen sind zweimal gegen Corona geimpft. Warum sie von einem normalen Leben dennoch weit entfernt sind.
Sie ist Krankenschwester, hat bei ihrer Arbeit jeden Tag Kontakt zu (möglicherweise) infizierten Menschen. „Viele Kolleginnen hat es erwischt in den vergangenen Monaten, sagt Marion Schulte (Name geändert) aus der Nähe von Dortmund. Nun ist sie geimpft. Endlich. „Aber geändert“, sagt die Mittfünfzigerin, „hat sich im täglichen Leben so gut wie nichts.“
Gut zwei Wochen ist es jetzt her, dass sie die zweite Impfung bekommen hat. „Der Schutz ist jetzt da.“ Ja, Nebenwirkungen hat sie gehabt, obwohl sie den Impfstoff von Biontech/Pfizer bekommen hat. „Fast jeder bei uns in der Klinik hat was gespürt.“ Bei ihr waren es ein Ziehen im Arm, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Nicht schön, aber kein Problem, zumal die Beschwerde nach einem Tag schon wieder vorüber waren. „Alles besser als sich anzustecken“, sagt sie. „Ich habe so viele Kranke gesehen, ich weiß, wovon ich rede.“
Bekannte neidisch: „Du hast gut lachen“
Andere offenbar nicht. Seit der Impfe wird sie jeden Tag immer wieder angesprochen. Von Bekannten, die sie kaum kennen, aber auch von Freunden. Beim Einkaufen, auf der Straße, am Telefon. „Du hast gut lachen“, sagen sie ihr, obwohl Marion Schulte nicht lacht. „Du hast dein Leben wieder.“ Anfangs hat sie geschwiegen, hat das Thema gewechselt. Mittlerweile ist sie genervt. „Kannst ja gern im Krankenhaus anfangen“, antwortet sie manchmal. „Dann ist meistens Ruhe.“
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Von wegen Leben wieder. „Ich lebe ja nicht allein.“ Die Tochter – ebenfalls im medizinischen Bereich beschäftigt – ist mittlerweile auch „safe“, weil zweimal gepikt. Die Impfe für ihren Mann aber, ein paar Jahre jünger als sie, ist nicht in Sicht. Die Mutter, Mitte 80, bekommt die erste Impfung erst am Wochenende, die zweite zu Ostern. „Bis dahin beschränke ich den Kontakt auf das Nötigste. Und ohne Maske komme ich nicht in ihre Nähe.“
Bloß kein unnötiges Risiko eingehen
Denn noch weiß niemand, ob Geimpfte für andere nicht doch ansteckend sind. Im Krankenhaus gehen sie nicht davon aus. „Aber sicher ist noch nichts.“ Deshalb gilt auf der Arbeit auch: „Bloß kein Risiko eingehen.“ Die Regeln sind – auch wegen der Mutationen – eher strenger geworden. Immer Maske, oft im Vollschutz und Tests bei dem geringsten Verdacht. Und wer in den Pausen maskenlos zusammensteht zum Plaudern oder um eine zu rauchen, „der bekommt eine Abmahnung“.
Auch in der Freizeit ist alles beim alten. Selbst wenn feststeht, dass sie andere nicht infizieren kann, glaubt Schulte, wird sich daran so schnell nichts ändern. Jedenfalls würde sie auch dann nicht ohne Maske durch die Fußgängerzone gehen oder zum Einkaufen in den Lebensmittelmarkt. „Ich habe keine Lust, alle zwei Meter dumm angequatscht zu werden. Und genau das würde passieren.“
Privilegien wären jetzt noch „ungerecht“
Von Impfprivilegien jedenfalls spürt Schulte nichts. „Zum jetzigen Zeitpunkt“, sagt sie, „halte ich so etwas auch für total ungerecht.“ Wenn tatsächlich alle Menschen ein Impfangebot bekommen hätten, dann könne man über Beschränkungen für die reden, die eine Spritze gegen Corona ablehnen würden. „Aber bei dem Impftempo in Deutschland wird das wohl noch dauern.“
Dass ihr der Impfschutz im Alltag bis dahin nicht viel bringt, „damit kann ich leben“, sagt Schulte. An Kino-Besuchen hängt ihr Herz nicht, Shopping-Touren lassen sich verschieben. Nur die Ferne lockt. „Mein Mann und ich würden so unheimlich gerne mal wieder in Urlaub fahren. Letztes Jahr ist ja alles ausgefallen.“ Vorletzte Woche haben Schultes gebucht. „Zwei Wochen Lago Maggiore im Spätsommer. Bis dahin hofft sie, dass die ganze Familie geimpft ist und dass diese Impfung die Fahrt in den Urlaub erleichtert.
Einen Vorteil aber, sagt die Krankenschwester, habe ihre Impfung aber doch. „Wenn man fast sicher nicht schwer an Corona erkranken kann, ist das eine Erleichterung, das lässt sich kaum beschreiben.“