Schleiden. In Schleiden im Kreis Euskirchen wird noch immer aufgeräumt. Bei der Spendenaktion der Funke-Mediengruppe sind 4,7 Mio Euro zusammengekommen.

Heike Arndt sitzt an dem Tisch auf der Terrasse des Hauses in Schleiden, das für sie zur Notunterkunft geworden ist, es gibt Kaffee und Waffeln mit Puderzucker, und sie erzählt von den Träumen, die sie nach acht Wochen nach der Katastrophe noch immer heimsuchen. Albträume, die zu einer schmutzigen, stinkenden und alles verschlingenden Flut eskalieren. Nach zwei Monaten sind die Wunden, die die Flut Mitte Juli in der Eifel aufgerissen hat, zu Narben geworden, aber diese Narben schmerzen.

Schleiden im Kreis Euskirchen. 18 Ortschaften, 13.500 Einwohner. Jeder Dritte, der hier lebt, ist ein Betroffener. Acht Wochen nach der Katastrophe sind die größten Schuttberge abgetragen, die Straßen geräumt, das THW und die Bundeswehr und die anderen Hilfsorganisationen weitgehend abgezogen. In der Urftseestraße im Stadtteil Gemünd, die es besonders hart getroffen hat, rattern Presslufthammer, der Wiederaufbau entlang der träge dahinfließenden und im Sonnenlicht glitzernden Urft hat begonnen.

Viele wollen nie mehr zurückkehren

Aber nicht in jedem Haus. Viele, die hier alles verloren haben, wollen nicht mehr zurückkehren, weiß Heike Arndt, der das letzte Haus auf der Urftseestraße gehört. „Auf Ebay-Kleinanzeigen suchen viele Menschen Wohnungen in Hochlagen“, erzählt die 53-Jährige in dem Haus in Schleiden, in dem sie nach der Flut untergekommen ist. Latina, ihre mächtige, schwarze, alte Cane-Corso-Hündin, streicht um den Tisch herum, sie ist seit der Katastrophe taub.

Arndts eigenes Haus ist möglicherweise nicht mehr bewohnbar, es steht noch ein Gutachten eines Bauchemikers aus. Aber das Wasser hat sich in der Dämmung nach oben gefressen. „Jedes Mal, wenn ich dort bin, fühlt es sich mehr nach Abschied an“, sagt sie.

Am Briefkasten des Schleidener Rathauses hängt noch ein Zettel. „Ausgefüllte Anträge (Soforthilfe, Spenden) bitte einwerfen“. Im zweiten Stock sitzt Bürgermeister Ingo Pfennings. Der schlanke, sportliche 36-Jährige hat sein Amt im Dezember 2018 angetreten. Schon damals erlebte die Stadt eine schwierige Zeit, ein Feuerteufel trieb monatelang sein Unwesen, legte sieben Brände und versetzte die Menschen in Angst und Schrecken. Dann kam Corona. Dann die Flut. „Die Flut war der Super-Gau“, sagt Pfennings.

Neun Menschen starben in der verhängnisvollen Nacht in Schleiden. Noch etwa 600 Menschen leben in Unterkünften, bei Verwandten, Freunden. Den Schaden allein an der städtischen Infrastruktur schätzt der Bürgermeister auf 170 Millionen Euro. Der jährliche Haushalt der Stadt liegt bei 40 Millionen Euro. Fünf Kindertagesstätten sind zerstört, eine ist schwer beschädigt. In zwei Grundschulen und einer Förderschule ist das Erdgeschoss kaputt, die Sporthalle der städtischen Grundschule ist nicht mehr benutzbar. Und dennoch: „Die Kinder können wieder in die Schule“, sagt Pfennings. Sie helfen sich in Schleiden.

Die Schäden sollen bis 2026 behoben sein

Die Kleinstadt berappelt sich langsam. „Die Leute stecken den Kopf nicht in den Sand. Sie sind zu einer Einheit geworden.“ Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommune, Schleiden nennt sich stolz „Nationalpark-Hauptstadt“. Zwar ist die neue Jugendherberge noch nicht nutzbar und auch nicht der erst einen Monat vor der Flut fertiggestellte Minigolf-Platz, aber möglicherweise kann der Tourismus wieder zur Oktober-Saison anziehen, hofft der Bürgermeister. Bis alles wieder so ist wie vor der Katastrophe, wird aber noch eine lange Zeit vergehen. „Bis 2026 sollen alle Schäden behoben sein“, sagt Pfennings.

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Es sind die sichtbaren Schäden, von denen er spricht. Die Verwundungen an den Seelen vieler Menschen werden länger brauchen, bis sie geheilt sind. Dutzende Psychologen sind im Einsatz, kümmern sich um Helfer, die schlimme Szenen erleben mussten, um die Menschen, die verängstigt in ihren Häusern ausharrten, nicht wissend, ob sie lebend herauskommen, um die, die ihre Nachbarn um Hilfe schreien hörten, um die Kinder. „Von meinen Mitarbeitern kennt jeder jemanden, der gestorben ist“, sagt der Bürgermeister.

An der Gemünder Straße am Ortseingang von Schleiden haben sie auf dem Gelände des Caritas-Verbandes Eifel Container aufgebaut. Die Zentrale des Verbandes ist eine Baustelle, auch sie wurde von der Flut hart getroffen, das Erdgeschoss ist zerstört worden. In den Containern arbeiten Geschäftsführer Rolf Schneider und seine Leute jetzt, ein Schwerpunkt: Die Hilfe für die von der Flut Betroffenen.

1100 Anträge für Soforthilfen sind ihrem Zuständigkeitsbereich bislang bewilligt worden. Jetzt wollen sie Berater einstellen, die die Menschen aufsuchen, sie bei Problemen mit ihren Versicherungen unterstützen, ihnen psychologische Hilfe organisieren, ihnen bei Anträgen auf Wiederaufbauhilfe zur Seite stehen. „Wir unterstützen vor allem Privatleute“, sagt Schneider.

Ein kleines Bild, ein kleines Wunder

Heike Arndt hat das, was sie retten konnte, und was ihr wichtig war, in einem kleinen Zimmer in dem Haus in Schleiden zusammengetragen. Darunter ist ein kleines Bild in einem Holzrahmen, ein Schwarz-Weiß-Foto, auf dem sie und ihr Sohn Hagen zu sehen sind. Auf dem Bild klebt noch ein wenig Dreck. „Das Bild hat mir ein Mädchen vorbeigebracht. Seine Mutter hatte es in einem Gebüsch in der Nähe unseres Hauses gefunden, und sie hat mich darauf erkannt.“

Manches geschieht einfach, weil es geschehen muss, glaubt sie.

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Bei der gemeinsamen Spendenaktion der Funke Mediengruppe mit Caritas International für die Flutopfer sind insgesamt 4,7 Millionen Euro zusammengekommen.

In den vergangenen Tagen sind noch 50.000 Euro des niederländischen Unternehmens Gartenlüx dazugekommen, das von allen Verkäufen im August fünf Prozent des Umsatzes gespendet hat.

Wir danken allen Leserinnen und Lesern herzlich für die Unterstützung.