Ruhrgebiet. Wegen Corona herrscht in vielen Krankenhäusern Besuchsverbot. Ausnahmen gibt es für Kinder und Sterbende. Eine Duisburgerin vermisst ihre Kinder.

Es war ein Tag im Januar, da knickten Maria T. die Beine weg. Erst wurden sie heiß, dann verlor sie das Gefühl, die Ärzte sprechen von einem Infarkt im Rückenmark. Es folgte, was die Familie eine „Odyssee“ nennt: Wochen in verschiedenen Kliniken, eine Operation, Frau T. lernt jetzt, sich im Rollstuhl fortzubewegen. Ganz allein, Besuch ist im Krankenhaus wegen Corona verboten.

„Meine Familie fehlt mir“, ihre Stimme klingt gepresst. „Meine Kinder nicht sehen, meinen Mann nicht sehen...“ So lange nun schon, und „wer weiß wie lange noch“: Es könnte noch Monate dauern, bis die 68-Jährige entlassen wird, und es ist längst nicht klar, ob sie, die früher mehrmals in der Woche Rad fuhr, je wieder laufen kann. Das meint Maria T. – die eigentlich anders heißt –, wenn sie sagt: „Es belastet mich Einiges.“ Ihr Sohn sagt: „Natürlich hadert sie mit der Diagnose.“

„Generelles Betretungsverbot“ hält Angehörige draußen

Maria T. (das Bild zeigt nicht sie) muss lernen, sich mit dem Rollstuhl fortzubewegen.
Maria T. (das Bild zeigt nicht sie) muss lernen, sich mit dem Rollstuhl fortzubewegen. © Getty Images | shapecharge

Darüber sprechen kann sie nur am Telefon, „die einzige Kontaktmöglichkeit“, klagt ihr Sohn. Er hört ja, wenn es ihr schlecht geht, aber er kann sie nicht trösten: „Ich komme vorbei.“ So gern würde er die Mutter einmal drücken, für sie da sein, und „eine Umarmung“ würde auch sie sich so sehr wünschen. Ihren Mann sah sie nur einmal, da hatte sie Geburtstag, die Tochter kurz, weil die in einer der Kliniken arbeitet, wo Frau T. operiert wurde. Erlaubt war aber auch das eigentlich nicht.

„Besuchsverbot!“ schreiben die Krankenhäuser seit Oktober wieder auf ihre Startseiten im Internet, manchmal auch „Betretungsverbot“, „grundsätzliches“ oder „generelles“, gern mit mehreren Ausrufezeichen. „Angeblich alles coronabedingt“, sagt Frau T. in Duisburg, und das ist es auch. Wie schon in der ersten Welle vor einem Jahr versuchen die Kliniken, ihre Mitarbeiter und Patienten vor Ansteckungen zu schützen. Man müsse „unnötige Risiken vermeiden“ heißt es bei einem Haus in Duisburg. „Wir müssen das tun“, sagt Burkhard Büscher, Sprecher des Universitätsklinikums Essen, „um die Häuser coronafrei zu halten.“

Minister: Infektionsgefahren für Patienten vermeiden

Es ist ja immer wieder vorgekommen, dass Krankenhäuser Corona-Ausbrüche melden mussten. Nicht auszudenken, sagt ein Kliniksprecher, eine Klinik hätte dann nicht alles unternommen, um das zu vermeiden. „Die Menschen“, sagt in Essen Burkhard Büscher, „dürfen nicht das Gefühl haben, dass sie ausgerechnet in der Klinik noch gefährdeter sind als anderswo.“ Das Besuchsverbot sei zwar unangenehm, werde aber gut angenommen.

Tatsächlich schreibt auch das Gesundheitsministerium in Düsseldorf in einer Allgemeinverfügung vom Dezember 2020: Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen seien „zur Vermeidung von Infektionsgefahren“ gemäß § 5 Absatz 1 der Corona-Schutzverordnung „verpflichtet, Besuche im Rahmen eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts zu regeln“. Denn dort seien Patienten durch einen Covid-Ausbruch „einem erhöhten Risiko für Gesundheit und Leben ausgesetzt“.

Frau T. fühlt sich „wie im Gefängnis“

Allein auf weitem Flur: Patienten in Krankenhäusern seit Oktober keinen Besuch bekommen.
Allein auf weitem Flur: Patienten in Krankenhäusern seit Oktober keinen Besuch bekommen. © Getty Images/iStockphoto | shironosov

Frau T. aber sagt, sie fühle sich „wie im Gefängnis“. Nach all den Wochen, spätestens seit sie nach ihrem Eingriff auch noch in Quarantäne musste. Sie bekam sogar schriftlich, dass sie sich an die Regeln zu halten habe, unter Androhung von Sanktionen. Ihre jüngste Bitte, Besuch empfangen zu dürfen, wenigstens einmal, sagt Maria T., habe ein Oberarzt Anfang der Woche so beschieden: „Das sähe anders aus, wenn sie sterben würden.“

Tatsächlich machen die meisten Krankenhäuser nur in diesem Fall eine Ausnahme. „Klar definiert“ muss die sein, ein „begründeter Einzelfall“, vom Chefarzt genehmigt oder „durch Klinikärzte aus medizinischen Gründen indiziert“. Darunter fallen „Schwerkranke am Lebensende“, wie es etwa bei Helios in Duisburg heißt und fast überall die Palliativstationen, also jene Bereiche, auf denen Sterbende begleitet werden. „Die Angehörigen“, sagt Ines Schulte, Pflegebereichsleiterin der HNO-Klinik am Klinikum Dortmund, „sollen ja Abschied nehmen dürfen, wie sich das gehört.“ Und wichtiger noch: „Wir möchten nicht, dass jemand allein stirbt.“

Halbstündige Besuche ab dem sechsten Tag

Auch allein sein sollen die Menschen nicht. In Dortmund nennen sie ihre Regel deshalb lieber „Besuchsbeschränkung“ (wobei ein Kliniksprecher in einer anderen Stadt sagt, es müsse schon „Verbot“ heißen, damit es die Menschen verstehen). Auch auf den Krebsstationen darf ein Patient einmal am Tag einen Besucher empfangen, ansonsten entscheiden Ärzte von Fall zu Fall: „Wir merken ja“, sagt Ines Schulte, „wenn jemand besonderen Bedarf hat.“ Ohne Kontakt, fürchtet Sohn T., „kommt zur körperlichen am Ende auch noch eine psychische Erkrankung hinzu“.

Die meisten Häuser erlauben Besuche bei Gebärenden, in jedem Fall auf den Kinderstationen, wo die kleinen Patienten ohne ihre Eltern nicht sein können. Oder sie handeln nach dem Vorschlag aus dem Ministerium: Das hatte gemahnt, ein Besuchskonzept dürfe nicht „zu einer vollständigen sozialen Isolation der Betroffenen führen“. Ab dem 6. Tag eines Klinikaufenthalts könne man deshalb an halbstündige Besuche am Krankenbett erlauben.

Warum keine Schnelltests wie im Seniorenheim?

Das Moerser Krankenhaus Bethanien gestattet das seit Anfang März, nach dem fünften Tag und grundsätzlich bei Demenzkranken. In Bochums Bergmannsheil dürfen Patienten ab dem 6. vollstationären Behandlungstag eine Besuchsperson pro Tag und Patient empfangen. Die Dauer ist meist auf eine halbe bis Stunde beschränkt – und immer abhängig vom Infektionsrisiko des Kranken. Über Ausnahmefälle entscheiden muss deshalb immer ein Arzt.

In Moers müssen Besucher sogar einen negativen Test vorlegen. Ein Vorbild? „Wieso kann man Schnelltests nicht als Instrument nehmen“, fragt der Sohn von Maria T. In den Seniorenheimen sei das doch auch gegangen, „die alten Menschen waren seither nie so interniert wie Kranke“. Doch viele Krankenhäuser winken ab: zu viel Aufwand, zu viel Kontrolle, zu viele Patienten auch. Schon jetzt müssten sich Besucher anmelden, Namenslisten geführt werden, „der Andrang“, ahnt eine Krankenschwester, „würde viel zu groß“.

Wie wichtig soziale Kontakte grundsätzlich sind, weiß das Klinikpersonal natürlich. „Besuche können auch der Genesung dienen“, sagt Ines Schulte am Klinikum Dortmund. Corona aber hat auch ihre Kollegen auf Abstand gezwungen, die früher häufiger am Bettrand eine Hand hielten. Deshalb suchen sie immer wieder nach Kompromissen. „Wir müssen Menschlichkeit bewahren bei aller Vorsicht.“