Ruhrgebiet. Weil sie aus Sorge immer wieder Tauben gefüttert hat, steht eine Frau aus Emsdetten vor Gericht. Auch im Ruhrgebiet schlagen Tierschützer Alarm.
Sie hat sich nicht beirren lassen, ist immer wieder gekommen. Die Taschen voller Körner, hat eine Frau in den vergangenen Jahren die Tauben in der Emsdettener Innenstadt gefüttert, obwohl das dort verboten ist. Bußgeld um Bußgeld hat sie dafür kassiert, aber immer weitergemacht. Deshalb steht sie nun vor Gericht, nächsten Monat soll das Urteil fallen. Ohne Fütterung, sagt sie, würden die Tauben verhungern. Tierschützer im Ruhrgebiet sehen das ähnlich. Die meisten Städte im Revier haben dennoch seit Jahren Fütterungsverbote verhängt.
Sind Stadttauben Haus- oder Wildtiere?
Die Kluft ist tief, und die Städte stehen meist mittendrin. Für die einen sind Stadttauben die „Ratten der Lüfte“, andere nennen sie „Fliegende Schönheiten“. Für den Deutschen Tierschutzbund in Bonn sind Stadttauben „Nachkommen entflogener Haustauben, für deren Wohlbefinden der Mensch die Verantwortung trägt“, sagt Sprecherin Hester Pommerening. Für die Behörden dagegen sind sie offiziell Wildtiere, die nicht gefüttert werden dürfen.
Auch damit sie sich, gerade in den Innenstädten, nicht so stark vermehren. „Das offizielle „Projekt“ der Stadt Bochum zur Regulierung des Taubenbestandes ist das seit Jahren verankerte Taubenfütterungsverbot“, heißt es etwa auf Anfrage bei der Stadt Bochum. Das habe, so Stadtsprecher Peter van Dyk, schon vor Jahren ein Gutachten der „Biologischen Station östliches Ruhrgebiet“ ergeben.
Die Zahl der Verstöße gegen das Fütterungsverbot bewegt sich in den meisten Revierstädten im unteren zweistelligen Bereich jährlich. In Essen gab es beispielsweise im laufenden Jahr bisher 27 Fälle, in Bochum waren es 15. Die Geldbußen dafür pendeln – je nach den Umständen zwischen fünf und 1000 Euro.
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Für den Tierschutzbund ist solch ein „grundsätzliches Fütterungsverbot ohne ausreichendes alternatives Nahrungsangebot tierschutzwidrig“. „Das allein funktioniert nicht“, fürchtet auch Carina Graf von der Initiative Stadttauben in Witten. „Dann verhungern viele Vögel tatsächlich.“ Helfen können Taubenhäuser, -oder betreute Taubenschläge. Dort können nicht nur verletzte und geschwächte Tiere wieder „aufgepäppelt“ werden, dort erhalten die Vögel auch Futter, das sie vertragen. „Nicht die Reste aus den Fußgängerzonen, die sie krank machen“, sagt Graf.
Mit Taubenschlägen raus aus der Innenstadt
„So sind die Tauben nicht mehr gezwungen, in den Innenstädten nach Futter zu suchen und zu betteln“, erklärt Jennifer Dorp von der Taubenhilfe NRW in Bochum. Ohne Pommes und Brötchenreste sei dann auch Schluss mit dem von Geschäftsleuten und Denkmalspflegern so gefürchteten flüssigen, großflächigen „Hungerkot“, so Dorp. „Erhalten Tauben artgerechtes Futter setzen sie Kot in kleinen, festen Häufchen ab.“
Zudem können die Vögel in den Schlägen auch brüten. Wobei Helfer die Eier dabei gegen Gipseier austauschen. „So verringert sich die Population“, sagt Graf. In Stuttgart sind so in einem Jahr knapp 3800 Jungtauben gar nicht erst geboren worden. „Und wenn Taubenschläge zur Verfügung stehen, ziehen die Vögel dorthin um“, ergänzt Dorp. Weg aus der City.
„Viele Städte stehlen sich aus der Verantwortung“
Immerhin, ansatzweise wird die Idee in vielen Revierstädten verfolgt oder angedacht. In Witten gibt es seit 1999 den Taubenturm, in Bochum steht nahe der Uni seit knapp zwei Jahren ein vom „Verein Stadttauben Bochum“ betreuter Taubenbauwagen, den die Stadt eine „Pilotprojekt“ nennt, „dessen Erfolg noch geprüft wird“. Gelsenkirchen hat ein Taubenhaus, plant ein zweites, in Dortmund sind es schon zwei, in Gladbeck hat gerade eines aufgemacht, und in Essen gibt es zumindest „Projekte zum Thema Stadttauben“.
Meist stellen die Kommunen Räumlichkeiten zur Verfügung, betrieben und betreut werden die Taubenhäuser und -schläge in allen Städten aber von Tierschutzvereinen und anderen Ehrenamtlern. Die meisten sprechen von „einem guten Verhältnis zur Stadt“, vermissen aber echte Hilfe und Initiative seitens der Behörden.
„Die Einrichtungen, die wir im Ruhrgebiet haben, reichen nicht mal ansatzweise, um das Problem zu lösen“, sagt Dorp. „Und nur mit privaten Helfern ist das ohnehin nicht zu schaffen.“ Das sieht der Tierschutzbund ähnlich und findet: „Viele Städte stehlen sich aus der Verantwortung.“
„Tauben haben hier keine Lobby“
Einige tun das nicht. Namen wie Aachen, Karlsruhe, Stuttgart, Erlangen oder Wuppertal fallen immer wieder – und fast jeder Taubenschützer schwärmt vom „Augsburger Modell“. In der 300.000 Einwohner zählenden Stadt gibt es mittlerweile zehn betreute Taubenschläge und zwei Taubentürme. Davon können Tierschützer im Revier nur träumen.
„Tauben haben hier keine Lobby“, sagt Dorp. Zumindest in Teilen der Bevölkerung. „Es sind vor allem ältere Menschen, die sich aufregen“, wundert sich die Bochumerin. „Und das ausgerechnet im Ruhrgebiet, wo die Vögel eine so lange Tradition haben.“
„Es gibt“, räumt der Tierschutzbund ein, „in einigen Städten zu viele Tauben.“ Das sei aber für keinen schlimmer als für die Vögel. „Die Tiere“, sagt Pommerening, „leiden selbst am meisten unter ihren Lebensbedingungen.“