Bottrop. In Bottrop ist die größte Solarthermische Klärschlammtrocknungsanlage der Welt in Betrieb gegangen. Beim Reinemachen der Emscher helfen Schweine.
Manfred und Winfried, zwei von zweiunddreißig Schweinchen, wühlen im Dreck. Doch sie stinken dabei für Große, und auch sonst ist die vermeintliche Suhle groß, größer, ein Superlativ: Hier ist seit Freitag der wichtigste Teil von Deutschlands erster energieautarker Großkläranlage in Betrieb, mit 60.000 Quadratmetern Fläche die größte Solarthermische Klärschlammtrocknungsanlage der Welt. In Bottrop reinigt sich die Emscher, dieser Fluss, der noch in diesem Jahr ein klarer werden soll, zumindest teilweise selbst.
Solarthermische Klärschlammtrocknungsanlage, auch der Name ist groß, schrumpft aber in der Abkürzung gnädig auf STT. Gebaut in nicht einmal zwei Jahren, bei laufendem Betrieb. Man kann sie schon von der B 224 aus sehen, eine lange Reihe von Gewächshäusern, in denen weder Tulpen noch Tomaten wachsen, sondern andersherum: in der Dreck immer weniger wird. Gleich daneben stehen das Pumpwerk, das die Emscher ein vorletztes Mal nach oben pumpt, und die Faultürme der Kläranlage.
Der Geruch hängt noch Stunden in den Kleidern. Aber er bleibt drinnen
Drinnen wartet eine „olfaktorische Überraschung“, wie jemand sagt. In den bis zu 50 Grad heißen Hallen trocknet die Sonne unter Glas den Klärschlamm des Flusses: „Das riecht nicht nach Flora und Fauna“, wie der Ratsvorsitzende der Emschergenossenschaft, Frank Dudda findet, „sondern... ne?“ Also, wie es eben riecht, wenn vom Abwasser nur noch das Ab- übrig bleibt. Der Geruch hängt noch Stunden danach in den Kleidern. Aber normalerweise sind die riesigen Tore ja auch zu.
Dahinter ist nichts als 30, 40 Zentimeter hoher Matsch, der, um bis zu 65 Prozent Trocknungsgrad zu erreichen, regelmäßig gewendet werden muss. Und hier kommen Manfred und Winfried ins Spiel, Norbert I und II und Hans-Georg auch: Die sind gar keine „Schweinchen“, auch wenn sie so heißen, sondern Maschinen. Automatische Matschwender auf vier großen Rädern, die aussehen wie eine Mischung aus Mähroboter und VW Käfer im Autoscooter-Format. Unter dem Bauch haben sie ein „Paddelwerk“, sagt Betriebsingenieur Manfred Rüter, der damit nicht nur die Methode erklärt, sondern auch die Namen: Jedes Schweinchen trägt den Namen eines Ingenieurs, Nr. 31, das gerade mit fünf Piepsern startet, ist das von Rüter.
Ingenieure standen Pate für die „Schweinchen“
Seine Kollegen haben in Bottrop Pionierarbeit geleistet. Bislang nämlich wurde der Klärschlamm aus Bottrop, aber auch aus Dinslaken und Duisburg, hier verbrannt, mit Kohle, die aus bekannten Gründen aus Kolumbien kam. Nun wird die Biomasse, jährliche 220.000 Tonnen, die in den Faulbehältern der Kläranlage übrigbleiben, in die Hallen gekippt, der von der Sonne getrocknete Rest in Wirbelschichtöfen verbrannt, mit nur etwas Öl, aber viel heißer Luft aus eigener Energie. 850 Grad wird die heiß, Rauchgas und Wasserdampf bringen Dampfturbinen in Schwung, und ein Generator erzeugt wiederum Strom für die eigene Anlage. „Einfach ausgedrückt“, wie Dr. Alexander Knake, der Leiter der Klärschlammverbrennung, sagt. Ach, und aus der Asche wird noch Phosphor gewonnen, das man etwa für Düngemittel braucht.
Die Anlage ist weltweit ohne Beispiel und trägt sich energetisch selbst
Das gesamte „Hybridkraftwerk Emscher“, das einen Stromverbrauch hat wie eine Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern, trägt sich damit energetisch selbst. Es helfen seit etwa vier Jahren eine Windenergieanlage, ein Blockheizkraftwerk, eine Photovoltaikanlage, eine Dampfturbine und in der neuen STT 2000 Sensoren. Insgesamt können so im Jahr bis zu 70.000 Tonnen CO2 eingespart werden (plus drei Millionen Euro Betriebskosten), weshalb man in Bottrop am Freitag vor allem den „Beitrag zu Energiewende“ feiert. „Vorbildcharakter“, lobt das Umweltministerium, von einem „Symbol“ spricht Oberbürgermeister Bernd Tischler, von „entscheidender Rolle“ und „ökologischen Maßstäben“ ist die Rede. 80 Millionen Euro hat die STT gekostet, für die es weltweit kein Beispiel gibt.
„Wirklich einmalig“, sagt Ilias Abawi als Sprecher der Emschergenossenschaft, diesmal seien die Mitarbeiter, die ja schon den Emscherkanal und die neuen Pumpwerke „phänomenal“ fänden, „mega-stolz“. Und da stehen sie, Männer in blauen Arbeitsanzügen und die 32 Taufpaten in der zweiten Reihe hinter fünf Ehrengästen, die auch ein Schweinchen taufen dürfen (Hernes OB Dudda fotografiert gerade „Frank“). „Jeder kriegt sein Schwein“, bemerkt Manfred Rüter, der Ingenieur. Intern haben sie Wetten abgeschlossen: Welches die höchsten Wartungskosten hat. Und „welches am längsten durchhält“. Die Emscher sauberzukriegen, ist harte Arbeit.
>>INFO: DIE REGION BEKOMMT IHREN FLUSS ZURÜCK
30 Jahre lang hat die Emschergenossenschaft daran gearbeitet, das Flüsschen, das den Dreck des Ruhrgebiets seit 1850 von Ost nach West trug, sauber zu kriegen. Der Emscher-Umbau gilt als Jahrhundertprojekt ohne Beispiel: Ende 2021 soll kein Tröpfchen Schmutzwasser mehr in die Emscher fließen, es wird versteckt in einem 51 Kilometer langen Kanal und oberirdisch renaturiert.
35 Zu- und Nebenflüsse sollen dann in die klare Emscher und die ab Sommer 2022 durch eine neue Aue in den Rhein fließen. Für fast 5,5 Milliarden Euro hat die Emschergenossenschaft für dieses Ziel seit 1992 Klärwerke ge- und umgebaut, einen Abwasserkanal verlegt, Pumpwerke errichtet, Bachläufe renaturiert – und in Bottrop die weltweit größte Anlage für solarthermische Klärschlammtrocknung entwickelt. Finanziert haben das alles zu 20 Prozent das Land NRW und die EU, zu 80 Prozent die Mitglieder der Emschergenossenschaft: Bergbaugesellschaften und Industrieunternehmen, vor allem aber die Emscher-Kommunen über die Abwassergebühren.