An Rhein und Ruhr. Für Obdachlose ist die Coronakrise besonders schwierig, die Zahl steigt weiter. Das passiert in den Städten, um den Menschen zu helfen.
„Wir sehen definitiv wesentlich mehr Menschen auf der Straße seit Beginn der Pandemie“, sagt Helmut Schenk. Corona, so der Vorstandsvorsitzender des ehrenamtlichen Kölner Vereins „Helping Hands Cologne“, treffe die Obdachlosen am härtesten von allen. Mehr als 6000 Obdachlose gibt es laut Wohungslosenstatistik in der größten Stadt Nordrhein-Westfalens (Stichtag 30. Juni 2019), Schenk schätzt, dass die Zahl in Wirklichkeit noch höher ist. In der Coronakrise fehlen ihnen die Einkünfte durch das Sammeln von Flaschen und den Verkauf von Zeitungen, in den Fußgängerzonen sind kaum Menschen unterwegs, die Touristen bleiben aus. „Auch Geschäfte und Restaurants, wo Obdachlose schon mal ein Brötchen oder ein heißes Getränk bekommen, haben geschlossen“, so Schenk.
Für 34 Obdachlose hat der Verein eine vorübergehende Lösung in dieser schwierigen Zeit gefunden: Seit Anfang Januar wohnen sie in der Nähe des Hauptbahnhofs in der Jugendherberge "Pathpoint Cologne" in Einzelzimmern. "Wir konnten vor Weihnachten nicht wie sonst eine Feier veranstalten. Die Spenden waren aber da und so kam die Idee, Zimmer in der Jugendherberge, die ja gerade keine Gäste empfangen kann, zu mieten", erklärt Schenk. Der Leiter der Jugendherberge sei sofort begeistert von der Initiative gewesen und auch die Stadt Köln habe schon nach vier Stunden die Erlaubnis gegeben.
Tränen in den Augen der Wohnungslosen
"Als die ersten eingezogen sind, hatten sie Tränen in den Augen", erzählt Schenk. Viele hätten seit Jahren, teils Jahrzehnten, keinen Raum mehr für sich gehabt, nun gibt es neben Privatsphäre für jeden ein Bett und eine Dusche. "Die Zwischenbilanz ist durchweg positiv, es gibt keine Probleme", sagt Schenk. Auch im Februar, möglicherweise noch bis in den März hinein, sind die Zimmer weiter angemietet. Für die Obdachlosen gebe es in der Jugendherberge natürlich Regeln, an die sich bisher aber alle halten würden. Nur Menschen ohne Suchtprobleme dürfen hier wohnen, wer möchte, kann die Beratung einer Sozialarbeiterin wahrnehmen. "Das haben bereits einige gemacht, für uns ist es schon ein Erfolg, wenn hier jemand seinen Personalausweis beantragen will", erzählt der Vorsitzende.
Ziel der Initiative sei es auch wachzurütteln, die Probleme dieser Menschen in der Vordergrund zu rücken. Eine 80-jährige Frau habe beispielsweise das letzte freie Zimmer bekommen, ein 72-jähriger Mann, der seit 35 Jahren auf der Straße lebe, habe seinen Platz hingegen nur mit der Aussicht auf eine heiße Dusche angenommen. "Für ihn war es am wichtigsten, dass er weiterhin kommen und gehen kann, wie er möchte. Und jetzt hat er sich sogar nach einer festen Wohnung erkundigt", so Schenk. Genau darum geht es dem Verein: "Wenn nur ein einziger durch diese Aktion einen Schritt ins normale Leben macht, hat sie sich schon gelohnt", so Schenk.
"Ich habe noch nie gesehen, dass Menschen so viel Hunger haben"
In der Jugendherberge können die 34 Bewohner auch Kaffee und kleine Snacks bekommen, warme Mahlzeiten gibt es rund um den Hauptbahnhof in den Suppenküchen. „Da sind wir in Köln glücklicherweise gut aufgestellt, so dass für alle genug da ist“, sagt Schenk. Anders habe das im ersten Lockdown ausgesehen, als die meisten Anlaufstellen, auch die kirchlichen, und Suppenküchen geschlossen hatten. Teilweise zwei Mal täglich seien die Helfer rumgegangen, um Essen auszugeben. Ein prägendes Erlebnis: „Ich mache diese Rundgänge seit fünf Jahren und habe noch nie gesehen, dass Menschen so viel Hunger haben“, beschreibt er.
Ähnlich sieht auch Cristina Arroyo in Essen die Lage. Sie ist für das Bündnis "Essen packt an" tätig und setzt sich vor allem für Obdachlose ein. "Es ist für sie in den letzten Monaten viel schwieriger geworden", sagt sie. Jetzt komme noch die Kälte dazu. Dienstags und samstags, wenn an der Marktkirche in der Innenstadt warme Mahlzeiten ausgegeben werden, würden sich lange Schlangen bilden. "Da kommen immer mehr und längst nicht mehr nur Obdachlose, auch Hartz IV-Empfänger und andere, die einfach kein Geld haben", erzählt Arroyo.
Zweites Mini-Mobil wird wohl eher nicht angeschafft
Vor genau einem Jahr schaffte "Essen packt an" mithilfe von Spenden das Mini-Obdachlosenmobil an, zwei Quadratmeter Platz für Bett, Dusche, Toilette, Waschmaschine und Kühlschrank. Alles ist zum ein- und ausklappen, auch ein Telefon und einen Briefkasten gibt es. "Wir sind sehr zufrieden mit der Anschaffung, weil damit eine Person runter von der Straße ist", so Arroyo. Der Bewohner, ein Mann, fühle sich wohl und freue sich über die ungewohnte Privatsphäre, die Dusche und das Bett. Perspektivisch sei aber immer eine eigene Wohnung angedacht. "Das dauert beim jetzigen Bewohner aber noch etwas", erklärt Arroyo. Das Essener Bündnis zögert noch, ein zweites Mini-Mobil anzuschaffen: Zum einen fehlt dafür das Geld, zum anderen bestehe eben der Wunsch, die Obdachlosen direkt in eine Wohnung zu vermitteln.
Dazu kommt die Stellplatzfrage, das Mini-Mobil darf nach Angaben der Stadt nur auf privaten Flächen stehen, im öffentlichen Raum gilt ein Übernachtungsverbot. Bislang steht das Mini-Mobil privat in einem Garten. "Dazu hat sich ein Unterstützer bereit erklärt und das klappt auch gut", so Arroyo. Fraglich sei aber, ob man für ein zweites Mobil auch einen passenden Ort finden würde. Trotzdem sei die Anschaffung sinnvoll gewesen. "Das Leben im Mini-Mobil kann Wohnungslose wieder auf ein Leben mit einer festen Bleibe vorbereiten."
Zahl der Obdachlosen steigt durch Corona
In Essen gibt es laut Statistik fast 1200 Wohnungslose, in ganz NRW sind es mehr als 46.000 (Stichtag Juni 2019). Zahlen für 2020 gibt es nicht vor August diesen Jahres. Experten rechnen damit, dass sie um bis zu ein Drittel steigen könnten. Auch in anderen Städten können Obdachlose mittlerweile in Hotels oder Hostels übernachten. Mit diesen Unterkünften soll die Belegungsdichte in den anderen Übernachtungsstellen entzerrt werden, was besonders im Hinblick auf das Coronavirus wichtig ist. In Dortmund haben sich drei Initiativen zusammengeschlossen und seit dieser Woche die Übernachtung in einem Hotel in der Innenstadt ermöglicht. Der Aufenthalt wird von der Initiative und aus Spenden finanziert.