Essen./Gelsenkirchen. Den deutschen Staat soll sie abgelehnt haben, dennoch hatte die 64-Jährige laut Anklage von ihm eine “Leibrente“ erschleichen wollen..

Die Idee schien einfach: Weil für die Mitglieder des Gelsenkirchener Vereins "Agape" der deutsche Staat nicht existiert, meinten sie Anspruch auf eine "Leibrente" zu haben - gezahlt von öffentlichen Einrichtungen wie dem Finanzamt. Weil die Behörden nicht mitspielten, sitzt eine 64-Jährige aus Castrop-Rauxel seit Freitag vor der VII. Strafkammer am Landgericht Essen. Betrug ist angeklagt.

Drei andere Vereinsmitglieder sind vom Landgericht bereits zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Ebenso wie die Angeklagte werden sie von der Staatsanwaltschaft der Reichsbürgerszene zugeordnet. Das streiten sie allerdings alle ab. Auch die 64-Jährige betont am Freitag, dass sie dieser Szene nicht angehöre. Sie sei vielmehr Teil der Friedensbewegung.

Geburtsurkunde als Aktie für Leibrente

Was sie auf die Anklagebank gebracht hat, erinnert aber stark an die Ideologie der Reichsbürger. Weil der deutsche Staat nicht existiere, so habe der 42 Jahre alte Chefdenker der Gruppe gesagt, habe man ein Recht auf eine Art Schadenersatz. Wörtlich soll er gesagt haben: "Die deutsche Geburtsurkunde ist wie eine Aktie. Sie kann mit fünf Millionen beliehen werden. Deshalb ist eine Leibrente möglich."

Heute wisse sie nicht mehr, wie das funktionieren solle. Damals habe das aber alles "plausibel" gewirkt. Irgendwann seien ihr aber Zweifel gekommen, und deshalb sei sie ausgestiegen.

Geld vom Finanzamt

"Agape", der Vereinsname, ist dem Ur-Christentum entnommen und bedeutet die selbstlose Liebe. Ganz so selbstlos war es aber nicht, was die Angeklagten versucht hatten. Über Online-Banking reichten sie Lastschriften bei Banken ein, um so an das Geld des Gelsenkirchener Finanzamtes oder der Bundesanstalt für Arbeit zu kommen.

Meist zogen sie in den Jahren 2015 und 2016 Beträge in Höhe von 6000 Euro ein, manchmal auch höhere, etwa 140.000 Euro. Angestrebt hatten sie laut Anklage einen Betrag von insgesamt rund 600.000 Euro. Doch der Großteil der Gelder lag nur kurz auf dem Vereinskonto, dann fiel der Betrug auf und das Geld wurde rückgebucht.

"Dem Kaiser, was des Kaisers ist"

Rund 30.000 Euro landeten aber unwiderruflich bei dem Verein. Eine gewisse Originalität ist den Geldtransaktionen nicht abzusprechen. Als Verwendungszweck stand da manchmal: "10 Prozent Steuer an den König von Preußen - Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und Gott, was Gottes ist." Es folgte die Fundstelle im Markus-Evangelium in der Bibel: "Mk 12,17".

Immerhin war die 64-Jährige im Vereinsregister als erste Vorsitzende eingetragen. Doch so richtig will sie das alles nicht mitbekommen haben. Heute, versichert sie reumütig, "weiß ich, dass das nicht rechtens war". Zuvor hatte schon ihr Verteidiger Tobias Eskowitz ein pauschales Geständnis für sie abgelegt.

Illegal Telefonate aufgezeichnet

Ein zweiter Anklagekomplex betrifft das illegale und heimliche Mitschneiden von Telefonaten. Als die Gelsenkirchener Polizei in dem Betrugsfall zu ermitteln begonnen hatte, rief die Angeklagte mehrfach auf der Wache an und erkundigte sich nach dem Stand. Damit sie Auskunft bekam, gab sie sich als "Rechtskonsulentin von Schwarzach" aus.

Ein Fantasietitel und -name, in dem "Schwarzach" lediglich ihren Geburtsort angibt. Die Polizisten hinterfragten dies nicht, gaben zum Teil Auskunft. Dass die Angeklagte die Gespräche aufzeichnete, bekamen sie ebenfalls nicht mit.

Die Angeklagte räumt auch diese Tat ein, gibt sich wieder reumütig. Auch hier wisse sie mittlerweile, dass sie sich nicht richtig verhalten habe. Sie zeichne heute keine Telefonate mehr auf, sondern bediene sich einer anderen Technik, um die Gesprächsinhalte in Erinnerung zu behalten. Welche? "Ich schreibe das danach auf." Der Prozess wird fortgesetzt.