Ruhrgebiet. Die Gastronomie darf wieder öffnen. Ihre Gäste und ihre Servicekräfte sind glücklich. Doch am ersten Tag macht nur eine Minderheit der Wirte mit.
Adrian Dellwig war ja ein bisschen skeptisch, ob die Gäste sofort wiederkommen würden: Denn das Publikum seines Lokals „Mutter Wittig“ ist schon etwas älter, ist Risikogruppe. Und jetzt das: Gegenüber der Theke sitzt der älteste Stammgast überhaupt, mit 98 Jahren; in der Ecke trinken Ursula und Isolde („zwischen 65 und 70“) ihr Bierchen; und auch Horst Kühne ist gekommen: „War mir wichtig“, sagt der 81-Jährige, „ich bin Single und kann nicht kochen, noch nicht einmal ein Ei braten“. Was darf es sein am ersten Tag? „Hähnchenbrust.“ Tschüss, Essen auf Rädern.
Alles wie früher in den Restaurants? Beileibe nicht. Da sind die markierten Abstandstische, an die sich niemand setzen darf. Die Namenslisten, die die Gäste ausfüllen müssen, um später eventuell nachvollziehen zu können: Wer war mit wem in einem Raum? Desinfektionsmittel, Handschuhe, die Masken natürlich. Das Platzieren der Gäste. Und doch sagt Kellner Peter Kebrle, der 40 Jahre im Betrieb ist: „Die Wochen waren wie Isolation. Jetzt fühle ich mich befreit. Und alle meine Gäste freuen sich natürlich auch.“ Soviel Maske kann gar nicht sein, dass man nicht sehen könnte, wie sehr er strahlt.
Vieles ist noch zu: Verhinderte Gäste irren mit suchendem Blick umher
Die Gastronomie hat wieder geöffnet. In kleineren Teilen zunächst. Das ist ja nicht ohne Charme, dass eine mehr als 100-jährige, traditionelle Speisegaststätte wie „Mutter Wittig“ („Heringsstipp Hausfrauen Art mit Röstkartoffeln“) in Bochum am ersten Tag wieder am Start ist, während sich in den Szeneläden des nahe gelegenen Bermuda-Dreiecks fast nichts Erkennbares tut. Manche offensichtlich verhinderten Gäste irren mit suchendem Blick umher, doch tatsächlich geöffnet sind am Montagmittag im Kneipenviertel nur die vietnamesischen Lokale. Überrascht uns das? Nein. An einem anderen Lokal steht: „Wir sind wieder da.“ Naja, nicht so ganz: „Eröffnung Mittwoch 13. Mai 16 Uhr.“
In vielen Ruhrgebietsstädten halten sich die Gastronomen an diesem ersten Tag also noch zurück. „Bis zum 18. Mai wird unser Restaurant erst nur unseren Hotelgästen offenstehen“, sagt Hans-Georg Riepe („Parkhotel“) in Witten; oder in Gelsenkirchen Suat Mijedinovic („Haus Dahlbusch“): „Ich bin skeptisch.“ Bis Dienstag wartet er noch, dann unterwirft er sich der betriebswirtschaftliche Logik: Bei gleichbleibenden Ausgaben wenigstens wieder geringe Einnahmen zu erzielen, statt gar keine.
Wirte beklagen zu wenig Zeit für eine vernünftige Vorbereitung
Bei manchen ist der Montag einfach der traditionelle Ruhetag. Andere finden die Zeit zu kurz, sich und das Lokal vernünftig vorzubereiten, da das Land die Regeln erst Samstagmorgen übermittelt hat. Wieder andere haben mit Blick auf die Wettervorhersage für diesen eisheiligen Montag entschieden: Wir warten noch. Gastronomie macht auf, Frühling macht zu? Schwierig. Gerade der Platzvorteil namens ,Biergarten’ zieht an diesem Tag nicht so richtig.
Aber die gekommen sind! Die sind bester Dinge. David Kaufmann, Stammgast im Duisburger Café „Fino“, nippt selig an seiner Tasse: „Endlich wieder guter Kaffee!“ Normal trifft er sich hier jeden Morgen mit anderen, das muss noch warten. Doris Lange und Manfred Wolter aus den berühmten zwei verschiedenen Haushalten haben sich auch lange nicht gesehen. Jetzt gibt es erst mal Tee. Draußen geht ein Bekannter vorbei, Mund und Nase sind bedeckt, zum Gruße lupft er seine Brille.
„Wir wollen alle, dass es wieder so wird, wie es war“
Im „Dobbelstein“, ebenfalls in Duisburg, passt schon die Chefin auf, das jedermann sich an die Regeln hält; die Angst ist zu groß, sonst wieder schließen zu müssen. „In den ersten Tagen nach der Schließung haben meine Familie und ich uns nur von Fleischwurst und Kartoffelsalat ernährt, weil wir noch Vorräte für das Café hatten“, erinnert sich Heike Dobbelstein an eine schräge Zeit. Jetzt, Fleischwurst und Kartoffelsalat sind hoffentlich längst alle, kehrt man zurück in eine Art Normalbetrieb auf Abstand. Über die Maskenpflicht für Servicekräfte sagt Vera Cacic jedenfalls: „Man gewöhnt sich daran.“
Sechs, sieben, acht besetzte Tische Montagmittag bei der „Mutter Wittig“, da ist Adrian Dellwig sehr zufrieden: „Ich habe 150 Jahre Familien-Gastronomie auf dem Rücken.“ Für Dellwig, den 44-jährigen geschäftsführenden Gesellschafter des Hauses, stand nie in Frage, am Montag zu öffnen: „Wir wollten anfangen. Wir wollen alle, dass es wieder so wird, wie es war, da gehe ich jeden Schritt sobald als möglich.“ Dazu sei man auch „zu nah am Überlebenskampf“. Hinten rechts bestellt sich ein Paar Wiener Schnitzel. Alles richtig gemacht.