An Rhein und Ruhr.. Der Pegel des Flüsschens ist gesunken. Komplette Entwarnung geben Experten aber noch nicht. In Zukunft werden die Starkregen-Ereignisse in NRW zunehmen.

Ruhig ist es am Freitag in Hamminkeln. Nur wenige Menschen sind am Morgen unterwegs. Beinahe idyllisch fließt die Issel in ihrem Flussbett. Nur die zu Tausenden aufgestapelten Sandsäcke zeugen davon, dass es tags zuvor hier ganz anders ausgesehen hat – als das Wasser noch knapp anderthalb Meter höher stand. Mehr als 30 Stunden lang waren die Bürger im Dauereinsatz und kämpften gemeinsam mit den herbeigeeilten Katastrophenhelfern aus ganz NRW dafür, dass ihre Stadt von den Fluten verschont blieb. Erst in der Nacht zum Freitag konnten sie wieder ein wenig zur Ruhe kommen.

Insgesamt rund 60 000 Sandsäcke sind im Stadtgebiet an den verschiedensten Stellen verbaut. Sie sichern Deichkronen und verstärken Deichkörper, sie liegen vor Haustüren und Kellerschächten, sie schützen Industrieanlagen vor dem Wassereinbruch. Am Donnerstagnachmittag drohte der Einsatz noch vergebens zu sein. Starker Regen hatte eingesetzt. „Hoffentlich geht das schnell vorbei“, beschreibt Bürgermeister Bernd Romanski seine Gedanken von Donnerstagnachmitttag. „Zwei Stunden länger hätten wir solchen Regenmengen nicht standhalten können.“

An einer Stelle außerhalb bewohnten Gebietes konnte der Deich dem Wasserdruck tatsächlich nicht mehr Paroli bieten, hier klafft ein anderthalb Meter breites Loch im Wall. Ein angrenzendes Feld ist komplett vollgelaufen. An anderen Stellen verstärken die Feuerwehrleute weiterhin die Schutzmaßnahmen. Noch bis zum Sonntag sind Unwetter möglich. Auch in Hamminkeln. Sie wollen vorbereitet sein, falls das Wasser wiederkommt.

Umweltminister: Kommunen räumen dem Wasser zu wenig Raum ein

Starkregen wird es zukünftig häufiger geben, sagen die Experten. Und damit Szenen wie diese in Duisburg-Meiderich.
Starkregen wird es zukünftig häufiger geben, sagen die Experten. Und damit Szenen wie diese in Duisburg-Meiderich. © Funke Foto Services | Funke Foto Services

Nach dem Hochwasser am Niederrhein kritisiert das Landesumweltministerium die Kommunen in NRW. Viele täten sich trotz zur Verfügung stehender Fördermittel schwer, den Gewässern Platz zu verschaffen. Dies aber betrachten Experten als eine der wichtigsten Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Die Lage im Hochwassergebiet im Kreis Wesel entspannte sich gestern leicht.

Bei dem Hochwasser war das Wasser der eigentlich nur knietiefen Issel durch sintflutartigen Starkregen rasch auf über zwei Meter angestiegen. „Durch den ungebremsten Klimawandel werden Starkregenereignisse wie jetzt am Niederrhein oder vor zwei Jahren in Münster häufiger vorkommen“, so Landesumweltminister Johannes Remmel (Grüne) gegenüber der NRZ. Der Klimawandel sei „kein abstraktes Gebilde, sondern er ist für uns in NRW sehr konkret“, so Remmel weiter. „Daher bereiten wir uns darauf vor, mit Maßnahmen bei der Klimaanpassung, aber auch durch Investitionen in den Hochwasserschutz.“ 295,5 Millionen Euro seien zwischen 2010 und 2015 für den Hochwasserschutz an den großen Gewässern ausgegeben worden.

Bei großen Flüssen wie dem Rhein können Hochwasser mehrere Tage im Voraus vorhergesagt werden, so Henning Werker, Geschäftsführer des Hochwasser Kompetenz Centrums (HKC) in Köln. Anders bei kleinen Flüssen, die nach Starkregenereignissen rasant anschwellen und, wie in Bayern geschehen, zu gefährlichen Schlammlawinen werden können. „Man muss wassersensibler denken und den Flüssen mehr Raum zur Ausdehnung verschaffen“, so Hochwasserexperte Werker im Gespräch mit der NRZ.

Die sogenannte Wasserrahmenrichtline der EU sieht vor, dass Europas Flüsse bis 2027 renaturiert werden. „Das kann im Wesentlichen nur erreicht werden, wenn den Gewässern mehr Raum zur Verfügung steht“, was auch dem Hochwasserschutz diene, so das Landesumweltministerium.

Allerdings würden diese Maßnahmen durch die dafür verantwortlichen Kommunen bislang „nur zögerlich“ umgesetzt. Die zur Verfügung stehenden Fördermittel seien bislang nicht vollständig abgerufen worden. Werde das Umsetzungstempo nicht „erheblich“ gesteigert, bestehe das Risiko, dass die vorgegebenen Ziele bis 2027 nicht erreicht würden, so das Ministerium.

Die Böden sind gesättigt – und es kommt noch weiterer Regen

Für Entwarnung ist es trotz der Entspannung noch zu früh, sagten Meteorologen und das Landesumweltamt (Lanuv) gestern. Aufgeweichte Deiche, vollgesogene Böden und drohende Gewitter waren weiterhin ein Risiko. „Die Böden sind gesättigt, da dringt nichts mehr ein. Was an Regen runterkommt, fließt direkt in die Flüsse“, sagte eine Sprecherin.

Perspektivisch werden sich die Menschen in NRW häufiger auf solche Szenarien einstellen müssen. Es wird aufgrund des Klimawandels wärmer und nasser. „Mehr Wärme bedeutet mehr Wasserdampf. Trifft der auf kühlere Luftschichten, regnet es“, so Henning Werker, Geschäftsführer des Hochwasser Kompetenz-Zentrums in Köln. Daten des Lanuv belegen das: Zwischen 1901 und 2008 hat die mittlere jährliche Niederschlagsmenge in NRW von 806 auf 916 Litern pro Quadratmetern zugenommen.

Auch wenn der Hochwasserschutz noch so gut ausgebaut wird und den Flüssen der benötigte Raum geschaffen wird: Ganz vor Überschwemmungen werden die Bürger nicht gefeit sein. Werker rät den Menschen deswegen, sich beispielsweise unter hochwasser-pass.com zu informieren, ob und mit welchem Ausmaß die eigene Immobilie gefährdet ist – und wie man sie schützen kann.