Dortmund. Immer öfter beschäftigen Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung die Gerichte im Ruhrgebiet. Meist geht es um Bußgeldbescheide.

Er kommt mit Maske aber ohne Anwalt. Zu teuer. „Ich habe ja nichts gemacht“, sagt Armin (alle Namen geändert). Um das klar zu stellen „bin ich heute hier“, sagt der 22-Jährige. Denn die Leute vom Ordnungsamt haben ihn angezeigt, weil er sich im April mit Kumpeln in einem Park getroffen haben soll. Was im April laut Corona-Schutzverordnung verboten war.

Deshalb hat Armin einen Bußgeldbescheid bekommen. 200 Euro soll er zahlen. Dagegen hat Einspruch eingelegt. Er ist arbeitslos, knapp bei Kasse. Und wie gesagt. „Ich hab ja nichts gemacht.“

„Zufällig ein paar Bekannte getroffen“

„Erzählen sie mal“, sagt der Richter. Armin nickt, erzählt wie er von zu Hause zum Kiosk gegangen ist „um Zigaretten zu holen“. Durch den Park, vorbei an einem Spielplatz, denn „das ist der schnellste Weg“. Aber da trifft er zufällig drei Bekannte. Die hat er gegrüßt, „ganz kurz im Stehen“ und aus fünf bis acht Metern Abstand. „Mindestens.“


Angaben, die zwei Mitarbeiter des Dortmunder Ordnungsamtes nicht bestätigen können. Das Quartett habe längere Zeit ohne Abstand zusammengesessen, sagen sie. So verurteilt der Richter den jungen Mann dann auch zu einer Geldbuße in Höhe des Bescheides. Armin fühlt sich zwar „vom deutschen Staat irgendwie verarscht“, will das Urteil aber annehmen. „Wird ja sonst nur teurer.“

Nicht einsichtig - mittlerweile sind 1200 Euro fällig

Für Sabine spielt Geld ein paar Verhandlungen später keine Rolle. „Ich zahl keinen Cent“, stellt die 46-Jährige zu Beginn klar, will ansonsten aber „hier nix sagen“. Mehrfach ist sie aufgefallen, wie sie sich in der Corona-Frühphase mitten in der Stadt mit Leuten aus der Alkohol- und Drogenszene getroffen hat. Umarmen, Bierchen trinken, auch Geburtstag feiern, wie die Gruppe damals dem Ordnungsamt erzählt hat.

Stimmt der Abstand? Im Frühjahr kontrollierte das die Polizei.
Stimmt der Abstand? Im Frühjahr kontrollierte das die Polizei. © FUNKE Foto Services | Martin Möller


1200 Euro sind für die Hartz IV-Empfängerin mittlerweile angefallen. Der Richter verurteilt sie am Ende zu 170 Euro, zahlbar in Raten zu 25 Euro – auch weil er findet, dass es nichts bringe, so hohe Geldbußen zu verhängen, „dass man weiß, die können nie bezahlt werden“. Sabine ist der Nachlass egal. „Ich gehe in Berufung.“

Staatsanwaltschaften stellen bei Einspruch nicht ein

Fälle wie diese beschäftigen derzeit immer öfter die Amtsgerichte im Revier. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil Corana-Ordnungswidrigkeiten meist nicht von anderen Ordnungswidrigkeiten getrennt erfasst werden. Ein Anhaltspunkt ist allerdings die Zahl der Widersprüche gegen Corona-Bußgeldbescheide. Allein in Dortmund sind es 312, in Duisburg sogar 570.


All diese Fälle landen zunächst bei den jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften. „Nach dem Gesetz dürfen wir zwar die Verfahren einstellen“, sagt die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk. „In der Praxis aber tun wir das nicht. Sie dürfen daher davon ausgehen, dass alle Widersprüche auch zum Gericht gehen.“ Die Staatsanwaltschaften in Dortmund oder Duisburg verfahren ähnlich „Viel Arbeit“, sagt ein Amtsrichter aus Dortmund. „Aber das wird die Gerichte nicht lahm legen.“

Manchmal über das Ziel hinausgeschossen

Wie viele Verfahren später von den Richtern eingestellt werden ist ebenfalls unbekannt. Der Gelsenkirchener Rechtsanwalt Arndt Kempgens vermutet, dass es nicht wenige sind. „Bei meinen Mandanten hat es in solchen Fällen bisher kein Urteil gegeben.“

Entweder werde wegen Geringfügigkeit eingestellt oder aber weil die Ordnungsämter über das Ziel hinaus geschossen seien. So wie bei den drei 15- und 16-Jährigen Jungs, von denen jeder 200 Euro zahlen sollte, weil sie zusammen joggen gegangen waren. „Völlig unverhältnismäßig“ habe das Gericht diese Bußgeldbescheide genannt, erzählt Kempgens. Ein Hinweis auf das Fehlverhalten hätte es zunächst auch getan.

Fälle aus der „Frühzeit“ von Corona

Manchmal aber hat auch der Gesetzgeber möglicherweise Fehler gemacht. In Saal 1257 des Dortmunder Amtsgerichtes hat Andrea S. Platz genommen. Sie hat einen Bußgeldbescheid bekommen, weil sie sich Mitte Mai am Rande einer Demo gegen die Corona-Regeln mit mehreren Personen getroffen haben soll.


„Wollten Sie dort demonstrieren?“, fragt der Richter. Nein, sagt die 61-Jährige. Sie halte zwar nichts von den Regelungen und der Mundschutz sei eher gefährlich als nützlich, aber zu einer Demo würde sie nicht gehen. Und auch nicht ihr Bekannter, der ein T-Shirt trägt, das aussieht wie die Deutschland-Fahne.

Keine höchstrichterlichen Entscheidungen

Das Gericht glaubt ihr nicht. Und das ist ihr Glück. Zwar sind Demos Mitte Mai laut Corona-Schutzverordnung verboten, der Richter hält es aber nicht für möglich, dass eine simple Rechtsverordnung ein Grundrecht wie die Versammlungsfreiheit komplett außer Kraft setzen kann. Er spricht S. frei.

Die Dortmunderin ist hoch erfreut und fragt, ob die Sache damit für ihren Mann, der in selber Angelegenheit zahlen soll, auch erledigt sei. Ist sie nicht. Es gebe noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage, erklärt der Mann in der Robe. „Kann sein, dass der Kollege, der den Fall ihres Mannes bekommt, anders urteilt.“