Rheda-Wiedenbrück. Die Schweinezucht ist durchgetaktet bis auf den Tag. Wenn der Schlachthof ausfällt, bleiben Schweine auf den Höfen. Dann wird es voll und teuer.
Der Himmel ist am Mittwochnachmittag über der Familie Diedam eingestürzt, zumindest fühlte es sich zuerst so an. „Tönnies muss schließen“ kam als Kurznachricht, und der Anruf eines Lkw-Fahrers dazu: „Eure Schweine sind die letzten gewesen, die noch reingegangen sind.“
Die unglücklichen Schweine dahinter mussten schon im Viehtransporter durchstehen bis Weißenfels, Weißenfels in Sachsen-Anhalt, 370 Kilometer. „Ich habe noch nie gesehen, dass ein Laster am Schlachthof wendet und beladen wieder fährt“, sagt der Landwirt Hubert Diedam: „Das war der Hammer.“
Hunderten Schweinezüchtern in Westfalen geht der Platz aus
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Hubert Diedam (58) und sein Sohn Martin Diedam (28) züchten Schweine in Rheda-Wiedenbrück. Zu Tönnies könnten sie die Tiere treiben, so nah ist der Schlachthof in Luftlinie, aber das machten die natürlich nicht mit. Doch die Lage ist alles andere als komisch: „Wenn Tönnies nicht schlachtet, fangen unsere Probleme an“, sagt Martin Diedam. Sie haben angefangen.
Denn es ist Stau im Stall. Ob Tönnies schlachtet oder nicht, die Sauen ferkeln. Pünktlich am 115. Tag. 116., allerspätestens 117 Tag. Und so geht hunderten Schweinezüchtern und -mästern in Westfalen gerade auf dem eigenen Hof der Platz aus. Ferkel kommen nach, doch die schlachtfertigen Schweine können nicht weg. „Wenn die Autoindustrie nicht verkaufen kann, mietet sie Parkplätze“, sagen die beiden: „Aber wir haben mit Lebewesen zu tun. Es gibt keinen Plan B.“
„Wenn man alles macht, macht man nichts hundertprozentig“
Der große, rote Hof liegt am grünen Stadtrand von Wiedenbrück. Schon im 19. Jahrhundert haben die Vorfahren hier angebaut, später gezüchtet: Kühe, Schweine, Hühner. In den 1970er-Jahren stieg die Familie komplett um auf Schweine. „Wenn man alles macht, macht man nichts hundertprozentig“, sagt Martin Diedam. Damals hatten sie 70 Sauen ständig am Hof, heute sind es 300. Und die ferkeln: 2,2 mal im Jahr, rein rechnerisch, durchschnittlich zehn Ferkel jedesmal, rein statistisch.
Die Schweinemast ist durchgetaktet, und wenn der junge Diedam sie beschreibt, geht es um exakte Daten. „Du fängst am Tag 0 der Besamung an.“ Ultraschall hat seinen festen Tag, Wachstumsphasen im Mutterleib haben ihre festen Tage; Sau und Ferkel lassen sie hier auf dem Hof etwas länger zusammen als vorgeschrieben, aber begrenzt ist es doch – und 15 Tage nach der Trennung ist für die Sau wieder Tag 0.
Andere Schlachthöfe haben nicht die Kapazitäten frei, Tönnies zu ersetzen
Und so sind bei den Diedams bereits jetzt, vier Tage nach dem Schlachtstopp bei Tönnies, 100 Schweine zuviel auf dem Hof. Donnerstag hätte der Viehhändler sie abholen und zum Schlachthof bringen sollen. Vielleicht gibt es nächsten Donnerstag eine Möglichkeit, sie zu einem anderen Schlachthof zu bringen.
Aber natürlich haben alle anderen Schlachthöfe zusammen nicht so große freie Kapazitäten, dass sie den Giganten Tönnies mit seinen 20 Prozent Marktanteil ersetzen könnten. „Die haben ja auch bisher nicht Däumchen gedreht.“
Die Tiere müssen länger gefüttert werden und wachsen über das Idealmaß hinaus
Es ist ja nicht nur der Platz. Es ist auch das Geld. Das ideale Schwein geht mit 120 Kilogramm vom Hof. Nun müssen die Tiere weiter gefüttert werden, was ins Geld geht, und sie wachsen über das Idealmaß hinaus: Der Verkaufspreis sinkt. „Die Schlachter sagen dir, sie zahlen weniger, und das tun sie dann auch“, sagt Hubert Diedam: „Die können ja selbst nicht anders, Aldi will ja auch keine großen Schnitzel.“
Auch auf Bauernhöfen geht es am Wochenende ruhiger zu. Aber nachher müssen Vater und Sohn noch eine Stunde zu den Schweinen. Füttern, alle Technik kontrollieren, gucken, ob Ferkel gekommen sind. Es sind immer Sauen nah an Tag 115. Und was machen Sie, wenn Tönnies lange zu hat? „Er muss aufmachen, sonst kriegen wir ganz große Probleme in der Landwirtschaft“, sagt Martin Diedam: „Er muss.“