Ruhrgebiet. Aus Angst vor dem Coronavirus werden Asiaten von Wirten und Ärzten abgewiesen. Ihr Halsweh machte eine Essener Studentin deshalb zum Notfall.

Hanjing Xie wäre gern zum Hausarzt gegangen: Halsschmerzen, Husten, leichtes Fieber, das Übliche im Winter. Aber dort durfte die Studentin nicht hin. Auch nicht mit Mundschutz und nicht, obwohl sie Deutschland seit dem Sommer nicht verlassen hat. Wegen des Coronavirus wies eine Praxis in Essen die 26-Jährige ab. „Zur Sicherheit“, sagte die Arzthelferin im Auftrag des Chefs. Weil Hanjing Chinesin ist.

Die junge Frau hat dann gepackt fürs Krankenhaus, „ich dachte, ich werde sofort isoliert“: Sie müsse in die Notaufnahme der Uniklinik, hatte man ihr gesagt. Wo auch Sprachlehrer ihre Schüler neuerdings hinschicken, vorsichtshalber. Das Team dort reagierte schockiert. „Nicht alle Chinesen haben das Coronavirus!“, sagt die leitende Oberärztin Dr. Carola Holzner, „die Chinesen sind nicht das Virus.“ Es sei „unmöglich“, so Holzner in einem eigens gedrehten Handyvideo, „alle Chinesen so zu behandeln, als seien sie aussätzig“. Zu Hanjing sagte sie: „Liebe Hanjing, du hast eine Erkältung!“ Kein Corona! Hanjing hat geweint, nicht wegen des Hustens, sondern vor Glück, „dass die Ärzte so gerecht“ waren.

Chinesen muss Pizzeria nach Beschwerde verlassen


Viele Asiaten erleben das derzeit anders. Ob Chinesen, Vietnamesen, Japaner, Koreaner: Über ihnen schwebt der Generalverdacht, krank zu sein und mithin ansteckend. Menschen auf der Straße machen einen großen Bogen um sie, rufen „Corona! Corona!“, wie am Montag in der Essener Straßenbahn 101, als zwei asiatisch aussehende Passagiere zusteigen – inzwischen Alltag für die Betroffenen. Hanjing Xie, die in Essen gerade ihren Master in Technischer Logistik macht, hat darüber das Wort „meiden“ gelernt. Sie fühlt sich hilflos: „Wir können uns doch nicht ins Gesicht schreiben, dass wir schon lange nicht mehr in China waren.“

Ihrem Mann ist es passiert, dass er in der Straßenbahn husten musste, einmal nur, da schrie ein Kind: „Der Mann ist krank! Der hat Corona!“ Ihr selbst zeigte ein Unbekannter auf der Straße den Mittelfinger, ein Freund begegnete in Duisburg einer Schülergruppe: „Guck mal, ein Chinese! Meine Mutter sagt, alle Chinesen sind krank.“ Ein anderer Chinese in Duisburg hat sich „entschieden, so viel wie möglich zuhause zu bleiben, damit keiner Angst von mir kriegt“. Eine Bekannte musste neulich ein italienisches Restaurant verlassen, Stammgäste hatten sich beschwert. Die Kellnerin brachte der Frau ihre Spaghetti zum Mitnehmen verpackt: „Sie sind hier nicht willkommen.“

Asiaten wehren sich: „Wir sind nicht alle aussätzig“

Hanjing Xie bot ihrem Arzt an, mit Mundschutz zu kommen. Doch auch das half ihr nicht.
Hanjing Xie bot ihrem Arzt an, mit Mundschutz zu kommen. Doch auch das half ihr nicht. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand


Und das sind nur die Geschichten aus dem Ruhrgebiet. In Köln wurde Yen Souw Tain bekannt, geboren in Deutschland: Im Asia-Laden seines Vaters zog ein Kind auf Geheiß der Mutter seinen Schal vors Gesicht. Auf die Frage des Kindes: „Sind denn alle Chinesen krank?“ versank der Supermarkt in Schweigen. Tain erzählte die Geschichte, erfand ein Hashtag dazu: „„Wir sind nicht der Virus!“ Einem Sohn chinesischer Eltern erklärten Verkäufer in Frankfurt: „Die Chinesen sollten alle unter Quarantäne gestellt werden, um die Pest nicht auf uns Deutsche zu übertragen.“

Im Internet sammeln sich solche Geschichten: Von Menschen, die in der U-Bahn den Jackenkragen hochschlagen, von Kindern, die mit asiatischen Kindern nicht mehr spielen dürfen, von einer Schauspielerin, die ihrer chinesischen Untermieterin kündigte. In Berlin soll eine chinesische Studentin von fremden Frauen sogar geschlagen worden sein. Hanjing in Essen versteht die Prügel nicht: „Das ist Speichel zu Speichel, Blut zu Blut, die haben doch Angst sich anzustecken?“ Es war der Tag, an dem Hanjings Freundinnen entschieden, das Haus nur noch zu verlassen, wenn es dringend nötig ist.

„Wir essen keine Fledermaus, und wir essen keinen Hund“

Sie selbst glaubt an eine unselige Spirale der Angst: „Die Deutschen haben Angst vor Asiaten. Die Asiaten haben Angst vor Chinesen. Die Chinesen vor Menschen aus Wuhan, die Menschen aus Wuhan vor der Krankheit.“ Hanjing fürchtet das Virus ja auch, aber seit 2016, seit sie in Deutschland ist, hat sie noch nie solche Diskriminierung erlebt: „Wir essen keine Fledermaus, wir essen keinen Hund und wir haben kein Coronavirus. Ich wünschte, wir könnten einfach zum Arzt gehen, weiterstudieren und in öffentliche Verkehrsmittel einsteigen.“

Auch asiatische Gastronomen und Geschäftsleute bekommen die Angst vor der Ansteckung zu spüren. Das Essener China-Restaurant „Rain“ klagt über massive Umsatzeinbußen, ebenso das vietnamesische Lokal „Tan Tan“. Inhaber Phuy Duy Tran klagt über den Verlust von Stammkunden: „Die Leute können Asiaten nicht unterscheiden und halten alle für Chinesen.“ Nicht nur bei ihm habe sich die Zahl der Gäste seit der Berichterstattung über Corona glatt halbiert. „Es ist ganz schlimm.“ Die Vietnamesin Lan Phan, die in Essen in Nagelstudio betreibt, sagt: „Ich habe mich in letzter Zeit gefühlt wie ein Affe im Käfig.“

„Wenigstens bin ich nicht krank!“

Hanjing Xie kann die Menschen sogar verstehen, die sie meiden, „aber es fühlt sich nicht gut an“. Trotzdem ist sie dankbar. „Wenigstens bin ich nicht krank!“ Und nicht nur in der Klinik hat sie Leute kennengelernt, die sich empören über das, was ihr widerfahren ist. „Ich danke Ihnen vielmals, dass Sie nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Herz geheilt haben.“