Düsseldorf. Berlin, Saarbrücken, Kiel - und jetzt Düsseldorf. Mit knapp acht Prozent sind die Piraten bei der vierten Landtagswahl in Folge erfolgreich. Bei der Wahlparty in einem Düsseldorfer Kulturzentrum freuten sich die Freibeuter über den Erfolg - und träumten vom Bundestag und einer Regierungsbeteiligung.

Selbst der bullige Michele Marsching muss sich an dem Podest mit der
Piratenfahne festhalten. Gerade hat er von der ersten Prognose erfahren: 7,5
Prozentpunkte.
Der Landesvorsitzende hat Tränen in den Augen. "Wenn ich mit
einem nicht gerechnet hätte, dann damit, dass ihr mich zum Weinen bringt", sagt
er. Gerührt von den rund 400 Piraten, die ihm auf
der Wahlparty im Kulturzentrum ZAKK zujubeln, schreit er: "Danke, Piraten und transsexuelle Eichhörnchen. Es war
geil!"

Dass aus der 1,6-Prozent-Partei von der Landtagswahl 2010 eine fast
8-Prozent-Partei bei dieser Wahl werde, mache ihn stolz. Er gehe natürlich davon
aus, dass die Piraten bis zum amtlichen
Endergebnis noch ein Prozent zulegen und damit vor der so unbeliebten FDP
liegen. Dann ruft der IT-Experte mit roten Wangen: "Wir haben Geschichte
geschrieben."

Piraten-Spitzenkandidat Joachim Paul will "morgen in den Bundestag"

Staatsmännischer tritt nach ihm Spitzenkandidat Joachim Paul auf. Er
richtet seine Worte nicht an "transsexuelle Eichhörnchen", sondern an die
"lieben Piraten, Demokraten und Mitmenschen". Der
erste Dank des Medienpädagogen geht an die Menschen, die die Stimmzettel
ausgezählt haben. Dann kommt Paul in Fahrt: "NRW-Piraten sind im Landtag, morgen ist der Bundestag dran."
Die Party-Stimmung erreicht ihren Siedepunkt als der 54-Jährige konstatiert:
"Ihr Wähler habt bestellt. Wir werden liefern."

Sein Bundesvorsitzender, Bernd Schlömer, spricht da schon von Regierungsverantwortung. "Wir
übernehmen mittelfristig Verantwortung für Entscheidungen und auch zum
Regieren", sagte er dem "Hamburger Abendblatt" (Montagausgabe). Die Piraten würden künftig auch in Nordrhein-Westfalen
zeigen, dass sie mit der Regierung stimmen, sofern Inhalte und Ziele identisch
mit den Piraten seien, hob Schlömer hervor.

Vor zwei Monaten war Paul noch weitgehend unbekannt. Jetzt gilt der
promovierte Biophysiker in NRW als die graue Eminenz der Partei. Ähnlich wie die
Basis in einer zweiminütigen Rede vor seiner Wahl zum Spitzenkandidaten vor zwei
Monaten von sich überzeugt hat und noch vor Marsching Spitzenkandidat wurde, so
verwandelt er den Saal auch dieses Mal in ein Tollhaus.

Piraten motzen über Personenkult bei der FDP

In einem seiner letzten Sätze kündigt er an, wofür die
voraussichtlich 18 Piraten im Landtag künftig
sorgen wollen. "Wer immer noch glaubt, dass es besser ist, die Menschen im Netz
zu kontrollieren, als die Finanzströme, der ist schief gewickelt." Den
politischen Mitbewerbern "gleich welcher Farbe" werde er die Hand reichen.

Als Paul die Wahlparty durch den Hinterausgang mit den künftigen
Landtagsabgeordneten verlässt und in den Bus zum Landtag einsteigt, relativiert
sich die Aussage. Angesprochen auf den überraschenden Erfolg der FDP sagt Paul
der Nachrichtenagentur dapd: "Wir müssen sehen, wie nachhaltig das ist, wenn der
Erfolg nur auf einer Person beruht."

Piraten-Kernthema Transparenz: Ab Montag soll geliefert werden

Dass ausgerechnet die Liberalen unter Spitzenkandidat Christian
Lindner seine Partei noch überholten, wurmt ihn. "Die FDP hat nicht nur ein
Personalproblem, sondern ein Inhaltsproblem", kritisiert er. Im Gegensatz zur
FDP beruhe der Erfolg bei den Piraten auf der
ehrenamtlichen Arbeit der Parteibasis.

Im Landtag angekommen, ist der Ärger über den politischen
Konkurrenten schon wieder verflogen. Paul entspannt mit den Polit-Neulingen bei
Bier und Currywurst in der Sonne auf der Terrasse des Landtages. "Einfach wow.
Jetzt kräftig feiern", sagt er. "Mein Ziel waren fünf Prozent plus x. Jetzt
haben wir deutlich mehr x." Ab Montag wollen sie anfangen, ihr Kernthema
Transparenz umzusetzen. Paul verspricht: "Ich werde mich dafür einsetzen, dass
Firmen, die in NRW ansässig sind oder für NRW tätig sind, ihre Verträge
offenlegen."

"DJ Dosenbier" sorgte für die Musik bei der Piraten-Wahlfeier

Für die Basis ist die ernste Landtagspolitik in diesem Moment ganz
weit weg. Sie feiert zur Musik von "DJ Dosenbier", als ob es kein Morgen gäbe.
Sie klatschen, lachen und tanzen Polonaise. Das Bild ist dabei vor allem eines:
bunt. Ein 64-jähriger Vorruheständler, der eine Bundeswehr-Schirmmütze trägt,
hat seine Hände auf den Schultern von Mittzwanzigern. Eine davon sieht mit einer
Piraten-Fahne auf dem Rücken aus wie Superman, ein
anderer mit Sakko, Stoffhose und Lederschuhen wie ein Geschäftsmann.

Trotz der offensichtlichen Unterschiede haben sie alle ein Ziel: "Es
ist der gemeinsame Wunsch, die Politik zu verändern", erklärt der nach dem
Landtagseinzug tiefenentspannte Wahlkampfkoordinator Lukas Lamla. Dafür kämpfen
die verschiedenen Charaktere bei den Piraten - von
Michele Marschings "transsexuellen Eichhörnchen" bis zu Joachim Pauls
"Demokraten und Mitmenschen" - nun gemeinsam. (dapd)