Dortmund.. Straßenträumer heißt das Blatt, das derzeit in vielen NRW-Städten verkauft wird. Doch das vermeintliche Obdachlosen-Magazin ist ein plumpes Imitat. Dahinter stecken vermutlich Drücker-Banden. In Rheinland-Pfalz ist es bereits verboten.

Auf den Straßen des Ruhrgebiets wird derzeit ein Blatt verkauft, das ganz bewusst mit dem Leid einer Minderheit und dem guten Willen seiner Käufer spielt. „Strassenträumer“ steht auf dem dünnen A4-Heftchen geschrieben. 1,50 Euro kostet es . Geld, das angeblich einer Suppenküche und einer Kleiderkammer für Obdachlose zugute kommt. Doch dahinter stecken vermutlich Drücker-Banden. Und das Geld fließt auf das Konto eines dubiosen Darmstädter Vereins.

Das schadet vor allem dem Ruf der etablierten Obdachlosen-Zeitungen, die sich über Jahre das Vertrauen der Bürger erkämpft haben. Das Straßenmagazin „Bodo“ etwa, das in Dortmund und Bochum von Wohnungslosen auf der Straße verkauft wird. In der Bodo-Redaktion rufen derzeit häufig irritierte Bürger an. „Sie ärgern sich nicht nur über die mangelnde Qualität des Straßenträumers, sondern auch über die Verkäufer, die oft ziemlich massiv vorgehen“, klagt Bodo-Redakteur Bastian Pütter. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als zu versichern, dass sie mit dem plumpen Imitat nichts zu tun haben.

Immer wieder berichten Bodo-Verkäufer, dass sie sich von „Straßenträumern“ bedroht fühlen. Sozialarbeiter Pütter ist nur einmal in Kontakt mit ihnen gekommen – auf der Kortumstraße in Bochum. „Zwei Frauen haben sich immer näher an einen Obdachlosen gedrängt, der an eine Mauer gelehnt auf dem Boden saß“, erinnert sich Pütter. Schon ihre aggressive Art des Bettelns sei grenzwertig gewesen. Immer zu zweit ganz nah an die Passanten ran, direkt in den Weg gestellt, mit Körperkontakt. Als der bedrängte Obdachlose sich bei den Frauen beschwerte, tauchten plötzlich zwei Männer aus dem Nichts auf. Sie bauten sich vor ihm auf – bis ihm die Situation zu brenzlig wurde. Sogar zwei Mitarbeiter der Bochumer City-Streife hätten kapituliert und seien kopfschüttelnd weiter gegangen.

„Der Druck auf die Straßenträumer-Verkäufer ist enorm“

„Unsere Verkäufer wissen nicht, was sie in solchen Situationen tun sollen“, sagt Pütter. Und weil ihnen die „Aufpasser“ mit den meist schwarzen Kunstlederjacken nicht ganz geheuer seien, räumten sie lieber von allein das Feld. Und das sei auch genau richtig, sagt der Sozialarbeiter: „Ich weiß, wie unberechenbar Menschen sind, die unter Druck stehen. Und der Druck auf die Straßenträumer-Verkäufer ist enorm.“ Sie würden mit Kleinbussen durch ganz Deutschland gefahren und hielten sich immer ein paar Wochen lang in einer bestimmten Region auf, sagt Pütter. „Im Moment sind sie verstärkt bei uns.“ Beliebte Verkaufs-Punkte seien Plätze vor Supermärkten oder in der Fußgänger-Zone.

Auch in Duisburg machen die Straßenträumer-Banden derzeit Probleme. Hier wildern sie auf dem Terrain des Obdachlosen-Magazins „fiftyfifty“. Besonders ärgerlich für die Initiative: Sie setzt selbst Roma als Verkäufer ein. Die Verwechslungsgefahr ist da besonders hoch. „Am Anfang sind auch wir wegen unserer Zusammenarbeit mit den Roma kritisiert worden“, sagt fiftyfifty-Herausgeber Hubert Ostendorf. „Doch wir kümmern uns um die Menschen, vermitteln ihnen Wohnungen und sorgen dafür, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken.“

„Androhung von Schlägen üblich“

Der Straßenträumer arbeite dagegen mit rumänischen Banden zusammen, die ihre Leute wie Sklaven behandeln würden. „Sie werden mit üblen Umsatzvorgaben unter Druck gesetzt“, sagt Ostendorf. Auch die Androhung von Schlägen sei üblich. „Die Verkäufer, die mit dieser Zeitung auf der Straße stehen, sind ganz arme Socken“, sagt auch Pütter. „Die wahren Täter sind die Hintermänner.“

Der Mann hinter Straßenträumer heißt Gino Imbrogno und lebt in Darmstadt. Er hat Erfahrung im Geschäft: Schon seit Jahren bringt er dubiose Obdachlosen-Zeitungen wie „Food für you“, „StraMax“ oder „Streetworker“ auf den Markt. Die Namen wechseln, doch das Konzept bleibt immer das gleiche. Den Straßenträumer vertreibt Imbrogno seit 2009. Er ist Chefredakteur und Geschäftsführer zugleich und gilt als nicht besonders auskunftsfreudig. Auch beim Telefonat mit DerWesten schaltet er sofort auf Angriff. „Sie sind doch von der Konkurrenz. Ihnen muss ich keine Auskunft geben“, schimpft er.

In Rheinland-Pfalz darf der Straßenträumer nicht mehr verkauft werden

Dann plaudert Imbrogno doch drauf los. Der Straßenträumer werde in ganz Deutschland verkauft und habe eine Auflage von bis zu 30.000 im Monat. Von Drücker-Kolonnen will er nichts wissen. „Die Verkäufer arbeiten selbstständig“, sagt er. „Sie kaufen bei mir die Zeitung für 50 Cent pro Ausgabe und verkaufen sie auf der Straße für 1,50 Euro.“ Wer sein Blatt unter die Leute bringe, sei ihm letztlich egal. Wie viel verdient er mit dem Zeitungsverkauf? „Das ist unterschiedlich, das kann man nicht genau beziffern“, sagt Imbrogno. Das Geld fließe in eine Suppenküche und eine Kleiderkammer, die er persönlich in Darmstadt betreibe, behauptet er. Der Verein helfe mehr als 100 Obdachlosen in der Stadt.

„Unsere Recherche hat ergeben, dass Herr Imbrogno keine caritative Einrichtung unterhält und auch keine andere soziale Einrichtung unterstützt“, sagt dagegen Eveline Dziendziol, Sprecherin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz. In dem Bundesland darf der Straßenträumer seit 2010 nicht mehr verkauft werden. Für den Verein gilt ein Sammlungsverbot. Imbrogno hat Beschwerde eingelegt und ist damit vor dem Oberverwaltungsgericht Trier gescheitert. „Doch ich werde weiter kämpfen“, beteuert er. „Das lasse ich mir nicht gefallen.“

Plumpe Kopien von Wikipedia

Schon der Inhalt des 16 Seiten starken Blattes verrät: Selbstgeschrieben ist hier nichts. Witze, Gedichte und Sinnsprüche mit aus dem Netz kopierten Bildern füllen großflächig das Papier – dazu lange Texte über Reality-Shows oder den Nationalsozialismus, aber ohne jeglichen Autorenhinweis in Text oder Impressum. Als Quellen entpuppen sich schnell Wikipedia, private Blogs und Nachrichtenseiten. Nicht ein Buchstabe ist abgewandelt. Was auch Vorteile hat: In den offenbar per Copy&Paste eingefügten Texten steckt kaum ein Rechtschreibfehler – anders als in den wenigen beigefügten Eigentexten.

Derweil darf der Straßenträumer in NRW unbehelligt weiterverkauft werden. Dem Innenministerium sind die Hände gebunden: Anders als in Rheinland-Pfalz kann kein landesweites Verbot ausgesprochen werden. NRW hat das hierfür erforderliche Sammlungsgesetz 1998 gekippt, um unnötige Genehmigungsverfahren zu verhindern. „Deshalb sind in diesem Fall die Ordnungsbehörden in den Städten gefragt“, erklärt Jörg Rademacher vom NRW-Innenministerium.

„Bürger sollten sich dringend ans Ordnungsamt wenden“

Doch in Dortmund und Bochum sind die Ordnungsämter noch nicht alarmiert. „Wenn Bürger sich von Straßenverkäufern belästigt fühlen, sollten sie sich dringend ans Ordnungsamt wenden“, sagt Michael Meinders, Sprecher der Stadt Dortmund. „Erst dann können wir auch aktiv werden.“ Möglich ist es auch, die Verkäufer wegen aggressiven Bettelns bei der Polizei anzuzeigen.

In Mönchengladbach greift die Stadt bereits durch: Jedes Mal, wenn der kommunale Ordnungsdienst einen Straßenträumer-Verkäufer erwischt, ist ein Bußgeld von 35 Euro fällig. „Wir berufen uns darauf, dass sie keine Genehmigung für die Nutzung öffentlicher Wege-Flächen haben“, sagt Stadtsprecher Wolfgang Speen. Mit Erfolg: „Seitdem ist keiner mehr hier aufgetaucht.“