Essen/Witten. Eine Sonderausstellung zeigt besondere Exponate der Fußball-Historie im Revier. Zwei alte Weggefährten erinnern sich an den „Boss“.

Als sie der Anruf erreichte, brachen Horst von Pigage und Bernhard Alshut ihren Urlaub ab. „Macht euch keine Sorgen, ich komme“, sagte Alshut damals im Hunsrück. Der 71-Jährige sitzt in seinem Haus in Witten. Von hier aus kann er einen Wasserturm sehen und den Horizont des Ruhrgebietes. Irgendwo da muss Essen sein, irgendwo da seine frühere Gemeinde.

Helmut Rahn ist tot, sagte ihm die Stimme am Telefon. Als Pfarrer der katholischen Kirche war Alshut für Beerdigungen zuständig, im Urlaubsfall gibt es eine Vertretung. Doch die, sagt Alshut, habe „überhaupt keine Ahnung gehabt“.

500 Wegbegleiter kamen zur Beerdigung

Alshut packte die Koffer. Er hatte Helmut Rahn, den WM-Helden von 1954, als Gemeindemitglied gekannt, als „Opa mit der Mütze“. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde Alshut, ein kleiner Mann mit einem runden Bauch, Pfarrer der St. Elisabeth-Gemeinde in Frohnhausen. „Ich habe immer einen älteren Herrn gesehen, der in der Kirche Kerzen anzündete. Irgendwann habe ich den Küster gefragt, wer der Opa mit der Mütze sei. Da hat er angefangen zu lachen.“

Alshut kannte den Ex-Spieler von Rot-Weiss Essen und vom MSV Duisburg. Aber der Mann, der seine Kirche besuchte, war von langer Krankheit gezeichnet. „Er war dement. Manchmal hat er nicht mehr nach Hause gefunden. Dann haben ihm die Leute geholfen.“ Am 14. August 2003 starb Helmut Rahn in seiner Essener Wohnung.

Zur Beerdigung kamen 500 Wegbegleiter und Bewunderer, hochrangige Funktionäre des Deutschen Fußballbundes sowie die Weltmeister von 1954 Horst Eckel, Hans Schäfer und Ottmar Walter. Für sie wie für die ganze Republik war Helmut Rahn der „Held von Bern“, derjenige, der mit seinem Tor zum 3:2 über Ungarn Nachkriegsdeutschland wachgeküsst hatte.

Doch Bernhard Alshut erinnerte in der Trauerrede daran, dass Rahn nicht nur das Tor war, sondern auch Großvater und Gemeindemitglied. Einige strenge Katholiken hätten ihm das übel genommen, erinnert sich Alshut. Rahn, sagt er, „war kein Kirchgänger. Aber er hat immer eine Kerze angezündet. Er war volksgläubig.“ Die gläubige Seite Helmut Rahns ist wenig bekannt. Von ihr zeugt das Kohlekreuz aus seinem Nachlass, das in der Sonderausstellung „Schichtwechsel“ des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund ausgestellt ist. Eines von insgesamt elf Exponaten.

In der Friesenstube in Essen-Frohnhausen ist der Sohn eines Bergarbeiters eher für das bekannt, was mit dem zweiten Exponat verbunden wird. Es ist der Schuh, den er im Finale getragen hat.

Alter Freund: Horst von Pigage in seiner und Helmut Rahns Stammkneipe, der „Friesenstube“
in Essen-Frohnhausen.
Alter Freund: Horst von Pigage in seiner und Helmut Rahns Stammkneipe, der „Friesenstube“ in Essen-Frohnhausen. © Unbekannt | Lars Heidrich

Horst von Pigage steht in Rahns Stammkneipe, die direkt gegenüber der Kirche St. Elisabeth liegt. Am Todestag von Helmut Rahn war der heute 78-Jährige gerade im Spessart. „Ich hab‘ gesagt, ich fahr‘ gleich los“, erinnert er sich.

„Unsere Frauen haben zusammen Sport beim Turnverein in Altendorf gemacht“, sagt er. So habe man sich kennengelernt. An einer Wand der Friesenstube erinnern Bilder an den „Boss“, eins zeigt Rahn neben Hans Tilkowski, daneben steht ein dritter: Horst von Pigage. Der Frohnhauser Fußballer war früher oft Teil der „Saba-Elf“, die für den guten Zweck spielte.

Auf dem Tresen liegen dicke Briefumschläge mit Fotos. Von Pigage zieht Bilder heraus, lässt sie wie Sterne der Fußballgeschichte neben sein Bier fallen. „Hier ist Uwe Seeler… und da Hans Tilkowski … Horst Szymaniak...“ Bilder vom Abendessen nach den Benefizspielen, von den Autofahrten, Rahn vor seinem Mercedes, von Pigage vor dem gleichen Mercedes. „Hier hat Helmut mich fotografiert.“

Ein anderes ist direkt in der Kabine aufgenommen worden. „Da ist Helmut, da bin ich, und da sind die Sektflaschen“, sagt von Pigage. Helmut Rahn wird nachgesagt, oft tief ins Glas geguckt zu haben. „Was inne Zeitung stand, is‘ falsch.“ Bei den Spielen habe er nie getrunken. „Der is‘ ja immer gefahren.“ Danach durfte es aber schon fröhlich zugehen. Horst von Pigage erzählt, wie sie einmal nach einem Spiel bis morgens um sieben in Essen gefeiert hätten. „Früher war alles schön. Die Fußballer waren einfacher. Heute ist das anders.“

Bei Sepp Herberger, dem 1977 verstorbenen Bundestrainer der WM-Mannschaft, findet der Alkohol keine besondere Erwähnung. Die Geschichten über den 40-fachen Nationalspieler seien „manchmal stark übertrieben“ gewesen, schreibt er in seiner unvoll­endeten Autobiografie. Auszüge daraus hat das Museum der Redaktion zugeschickt.

Darin schreibt Herberger „vom größten Talent, das der deutsche Fußball je hervorgebracht hat“, von seinem „Dynamit in den Beinen“, von der ansteckend guten Laune: „Er brauchte keinen Alkohol, um fröhlich, aufgekratzt und lustig zu sein. Er war eine echte Frohnatur.“ Es ist eine Verneigung vor dem Menschen Rahn. „Er war ein echter Freund.“

Helmut, der Pfundskerl

Das war er für Herberger, für seine Mitspieler, für den Kapitän Fritz Walter, aber auch für Horst von Pigage aus Essen. Der 78-Jährige schaut auf die Fotos und Zeitungsausschnitte, die nun vor ihm auf dem Tresen liegen. Nachrufe, Zeitungsartikel, Autogrammkarten, persönliche Fotos vermischen sich zu einem groben Haufen. Was davon bleibt? Vielleicht dies: „Der Helmut war ein Pfundskerl.“

Die WAZ sucht mit Ihrer Hilfe das 12. Exponat

Elf Ausstellungsstücke zählt die Sonderschau „Schichtwechsel – Fußball Leben Ruhrgebiet“ im Deutschen Fußballmuseum. Elf, die die Geschichte des Kickens im Revier erzählen und davon, was der Ball für die Region bedeutet. Elf, wie sich das für eine Fußballmannschaft gehört. Elf Freunde sollen sie sein, elf Spieler mit einem gemeinsamen Ziel, man nennt sie schließlich auch kurz: die „Elf“. Nur, was wäre das Spiel ohne den „12. Mann“?

Was dem Fußball seine Fans, soll von den Fans erst noch kommen: Extra, i-Tüpfelchen, Sahnehäubchen. Die WAZ sucht für die Ausstellung das 12. Exponat. Und ihre Leser sollen es finden. Vielleicht liegt es in Ihrem Keller, auf Ihrem Dachboden, gar hinter Glas im Wohnzimmer – ein Erinnerungsstück an den Fußball im Ruhrgebiet. Etwas, das von früher erzählt, von großen und kleinen Momenten, das womöglich keinen Millionenwert hat, aber einen ideellen. Etwas, das man nicht kaufen kann, das aber jedem etwas sagt.

Bälle, Schuhe, Trikots hat das Museum wohl schon genug, aber wer weiß, ahnt es noch nichts von dem Schatz, den Sie besitzen. Wenn Sie es uns verraten, zeigen und leihen, dann wird es vielleicht ausgewählt und ausgestellt: in der 12. Vitrine, die jetzt noch leer-, aber bereits in bestem Lichte steht. Schicken Sie Ihren Vorschlag mit Foto und dazugehöriger Geschichte per Mail an rhein-ruhr@waz.de oder per Post an die WAZ, Redaktion Rhein-Ruhr, Friedrichstr. 34-38, 45128 Essen. Bitte nennen Sie dazu das Stichwort: „12. Exponat“.