Recklinghausen/Gladbeck. Das Klima ist rauer geworden. Auf der Straße und im Bus. Pöbeleien, mit Worten oder auch handgreiflich, sind für die Vestische fast Alltagsereignisse. Schwere Folgen für Personal und Passagiere sind zum Glück die Ausnahme. Trotzdem trübt jede Tat das Sicherheitsempfinden.
„Deshalb ergänzen wir unser Sicherheitskonzept jetzt um einen weiteren Baustein: Videobilder aus dem Bus, die es seit langem gibt, werden im Fall des Falles künftig online in unsere Leitstelle übertragen”, erklärt Martin Schmidt, Geschäftsführer der Vestischen Straßenbahnen in Herten.
„PräViteS”, Präventiver Einsatz von Videotechnik für mehr Sicherheit, heißt das Projekt, das die Vestische in einem Pilotversuch für den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) umsetzt. Anlass dafür bietet die Tatsache, dass in diesen Tagen 15 fabrikneue Busse auf Linie gehen, die mit einer neuartigen Videoschutzanlage ausgestattet sind – etwa 1000 Euro pro Wagen kostet die zusätzliche Technik, vergleichsweise wenig angesichts eines Neupreises von 220.000 Euro je Linienbus. Und so funktioniert's: Im Fall eines ernsthaften Übergriffs löst der Busfahrer über eine Notfalltaste Alarm aus. Die Videobilder werden dann direkt an die Leitstelle der Vestischen übertragen, sie sind gleichzeitig auf den Info-Bildschirmen für alle Fahrgäste im Bus sichtbar.
„Alle Passagiere werden dadurch zu Zeugen der Tat. Keiner kann mehr weggucken. Wir hoffen, dadurch an die Zivilcourage zu appellieren, außerdem wird das Opfer gestärkt”, so Martin Schmidt. Ziel sei es vor allem, Angriffe schon im Vorfeld zu verhindern oder wenigstens schnell zu beenden. Denn mit dem Start der Videoaufnahme werden gleichzeitig die Bustüren geöffnet, um dem Täter den Fluchtweg zu ebnen. Andererseits unterstützen die Videobilder die Polizei bei der Verfolgung des Angreifers. Davon verspricht sich der Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer, der sich im Vorfeld zu dem Projekt äußerte, einen wichtigen Abschreckungseffekt.
Beim VRR erwartet man gespannt, welche Erfahrungen die Vestische mit „PräViteS” macht. „Wenn es unseren Erwartungen entspricht, werden wir das System nach und nach auf immer mehr Busse übertragen”, sagt VRR-Vorstand Dr. Klaus Vorgang. Der Praxistest werde wissenschaftlich begleitet, um die Alltagstauglichkeit eingehend zu prüfen.
Für die Vestische geht es nicht nur um die Sicherheit der Fahrgäste, sondern auch um die Busfahrer, die ohnehin in Deeskalationstrainings speziell geschult werden. Im letzten Jahr wurden sechs tätliche Übergriffe registriert, nach denen die betroffenen Fahrer länger als drei Tage dienstunfähig waren – nur sie werden statistisch erfasst; 261 Arbeitsstunden fielen dadurch aus. Im Jahr zuvor gab es sieben Attacken und 617 Fehlstunden. Als besonders „schwarzes” Jahr nennt die Statistik 2000 mit 13 schweren Übergriffen und 3277 Ausfallstunden.
Videoaufnahmen sind übrigens nicht nur ein Mittel, um in den Linienbussen selbst mehr Sicherheit zu schaffen, sie werden auch zur Aufklärung anderer Straftaten herangezogen. Martin Schmidt: „Im Schnitt erreicht uns an jedem Arbeitstag eine Bitte der Polizei, die mit Hilfe unserer Bilder nach einem Tatverdächtigen sucht.” Fragen des Datenschutzes seien dabei kein wesentliches Thema, denn in ihren Fahrzeugen übe die Vestische das Hausrecht aus. Beschwerden über die Videoüberwachung gebe es nicht.