Düsseldorf.. Nils D. hat ein Jahr lang als Mitglied des Islamischen Staats Gefangene bewacht und Menschen gejagt. Strafrabatt bekam er, weil er gründlich aussagte.

Mit einer gewissen Lässigkeit hat Nils D. während der zehn Verhandlungstage vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht den Irrsinn aus dem inneren Kreis des „Islamischen Staates“ geschildert. Nun muss er zuhören, und das macht ihm zu schaffen. Auf den Wangen des jungen Mannes aus Dinslaken, gerade verurteilt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, breiten sich rote Flecken aus und unter dem Tisch wippt sein Fuß vor unterdrückter Anspannung, während die Vorsitzende Richterin des 6. Strafsenats des Düsseldorfer Oberlandesgerichts, Barbara Havliza, das Urteil begründet. Viereinhalb Jahre muss der 25-Jährige ins Gefängnis, und nur, weil er so umfangreich aussagte, sei das Urteil „erheblich“ unter seinen Möglichkeiten von maximal zehn Jahren Haft geblieben.

Für den IS und seine Getreuen ist Nils D., das ehemalige Mitglied der „Lohberger Brigade“, somit zum Verräter geworden. Eine Rückkehr in deren Reihen sei ausgeschlossen, betonte Havliza. Seine Schilderungen über die Zeit zwischen Oktober 2013 bis November 2014 hätten es aber ermöglicht, Ermittlungsverfahren gegen deutsche mutmaßliche IS-Terroristen in Gang zu bringen, zwei von ihnen stehen bereits vor Gerichten. Schließlich habe man seltene Einblicke in Organisationsstrukturen, Hierarchien und Schleuseraktivitäten für den IS bekommen, von denen manche Experten behaupten, sie sei die „bösartigste Terrororganisation überhaupt.“

Nichts auf die Reihe bekommen

In der Urteilsbegründung skizziert die Vorsitzende noch einmal den Weg eines jungen Mannes, der nichts auf die Reihe bekommt, Ausbildungen abbricht, die Tage verschläft und die Abende in Internetcafés abhängt; der mit 15 Vater wird, der Drogen nimmt, zuviel säuft und sich auf ein Kampfgewicht von 140 Kilo bringt.

Und dann ist da noch Cousin Philip B., drei Jahre älter als Nils, aufsässig, jähzornig – ein Vorbild. Der wird plötzlich Muslim mit radikalen Ansichten. Zuerst habe sich der an Religion nicht interessierte Nils D. über seinen Cousin und dessen Salafistentruppe gewundert, die sich im Dinslakener Stadtteil Lohberg in einem Multi-Kulti-Zentrum treffen und heftig über den Dschihad diskutieren.

Schließlich sei auch Nils D. konvertiert, habe sich gemeinsam mit den Lohberger Freunden immer mehr radikalisiert, bis hin zu deren Ausreise Richtung Syrien. Nils D. reist den Kumpels hinterher – über Istanbul, per Schleuser an die syrische Grenze und in einem Bottich über den syrischen Grenzfluss.

Kalaschnikow und Bombengürtel

Hier wird der vorbestrafte Arbeitslose aus Dinslaken schnell in die Truppen der aus aller Herren Länder stammenden IS-Kämpfer integriert. „Emire“ führen sie an, er selbst nennt sich „Abu Ibrahim“ und trägt Kalaschnikow, Revolver und Handgranaten mit sich herum. Wahlweise auch mal einen Sprengstoffgürtel, den er mit einem Tschetschenen gemeinsam zusammengebastelt hat, „was die Gefährlichkeit des Angeklagten ersichtlich macht“, so die Richterin.

Nils D. schwört den IS-Treueeid, hat einen Pass mit IS-Stempel und wird mit Aufgaben betraut, die „ein hohes Maß an Vertrauen voraussetzen“: Er inspiziert Folteropfer im Krankenhaus, überwacht eine besetzte Villa, beseitigt eine Leiche auf einer Müllkippe.

Pistole am Hinterkopf

Das Gericht glaubt den Schilderungen von Nils D. von Hinrichtungen und Folter. Und stellt fest, dass er die grausamen Methoden, die strenge Auslegung der Scharia als „notwendig“ erachtete, auch wenn er persönlich nicht beteiligt war. Dafür, so Richterin Havliza, postete er per Facebook Fotos seines Lohberger Komplizen Mustafa K., der mit einem abgeschlagenen Kopf an einem Kreisverkehr posiert. Sogar Nils D.’s kleine Tochter bekommt die Fotos in Deutschland auf Facebook zu sehen.

Und noch ein Bild macht die Runde: Nils D. als Mitglied eines „Sturmtrupps“ des IS, der Jagd macht auf vermeintliche „Spione“ oder „Verräter“, hält einem gefesselten Gefangenen eine Pistole an den Hinterkopf.

Mit zunehmenden Kampfhandlungen wird es dem Salafisten vom Niederrhein in Syrien zu heiß. Um herauszukommen, lässt er sich auf eine Liste setzen, um „Aufgaben“ im Ausland zu erfüllen. Zum Schein habe er sogar zugestimmt, für eine Prämie von 500 Euro seine kleine Tochter „als Familiennachzug“ nach Syrien zu entführen. Dass er tatsächlich in Deutschland mit einem Anschlag beauftragt gewesen sei, hält die Richterin zumindest für möglich. Hatte er doch nach seiner Festnahme im Januar 2015 zunächst geschwiegen.

Wiedereingliederungsprogramm für Islamisten

Die von Mobiltelefonen sichergestellten Bilder, Internet-Chats und Gesprächsmitschnitte aus Autos als Beweismittel führten schließlich dazu, dass Nils D. sich entschließt, mit den deutschen Behörden zusammenzuarbeiten.

Nun möchte er an einem Wiedereingliederungsprogramms für Islamisten teilnehmen. Einen Antrag seiner Anwälte auf Entlassung aus der Untersuchungshaft lehnte der Senat gestern ab. Nils D. sei ein Schwerkrimineller, und es bestehe zumindest die Gefahr, dass er erneut untertauche. Denn auch zurück in Deutschland habe er das Selbstmordattentat seines Cousins Philip vom August 2014 als „Belohnung Gottes“ gefeiert.