Essen. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat Udo Jürgens sein Publikum begeistert. Am Sonntag starb der Sänger und Entertainer bei einem Spaziergang.
Er war ein Phänomen: Ein Mann, der noch mit achtzig Jahren eine Energie verströmte, wie mancher nicht mit dreißig. Ein Mann voller Elan und nicht enden wollender Leidenschaft für die Musik. Udo Jürgens hat den Schlager salonfähig gemacht. Noch eben ließ er sich zu seinem 80. Geburtstag in einer großen Show feiern. Seine Lieder sind sein Vermächtnis.
Am Sonntag starb Udo Jürgens bei einem Spaziergang in der Schweiz, wie sein Management mitteilte. Er sei in Gottlieben im Kanton Thurgau bewusstlos zusammengebrochen. Trotz sofortiger Wiederbelebungsmaßnahmen sei der Künstler im Krankenhaus von Münsterlingen um 16.25 Uhr an Herzversagen gestorben.
Komponist, Sänger und Interpret großer Hits
Udo Jürgens war nicht nur der Sänger, der so schön klagen, säuseln und schmachten konnte. Er war Komponist und Interpret von so melancholischen Liedern wie „Griechischer Wein“, von sozialkritischen Songs wie „Ein ehrenwertes Haus“ – aber er konnte es auch richtig krachen lassen: „Es wird Nacht, Señorita“ oder „Mathilda“. Doch selbst diese Gassenhauer wurden durch seine unverwechselbare Stimme geadelt, gesellschaftsfähig gemacht – auch für die, die sonst auf Schlager pfeifen.
Seine Erfolge schmücken Rekordstatistiken: Jürgens komponierte in einer mehr als ein halbes Jahrhundert umspannenden Erfolgskarriere über 1000 Songs, von denen etliche Megahits wurden. Er spielte mehr als 50 Alben ein und verkaufte mehr als 100 Millionen Tonträger. Bei Tourneen durch fast ganz Europa erlebten Millionen Fans Udo Jürgens auf der Bühne – samt seiner legendären Zugaben im weißen Bademantel.
Udo Jürgens, geboren als Udo Jürgen Bockelmann in Klagenfurt, verzückte die Zuschauer in einer Zeit, als auch Sänger wie Chris Roberts oder Michael Holm ihre Erfolge feierten. Seine Lieder aber hatten dieses Quentchen mehr, diese Extraklasse, weil Udo Jürgens im Grunde seines Herzens immer eine tiefe Melancholie trug. „Das Glück ist ein flüchtiger Vogel“, hat er gerne gesagt.
Eine feine Traurigkeit machte seine Persönlichkeit aus
Diese feine Traurigkeit war das, was so überraschte, auch in der persönlichen Begegnung mit dem Sänger. Als er 2012 nach Oberhausen kam, um sein Musical „Ich war noch niemals in New York“ vorzustellen, beeindruckte seine große Vitalität, seine Lässigkeit, sein gutes Aussehen dieses volle dunkle Haar – aber was verblüffte, war eine tiefe Nachdenklichkeit. Der Chansonnier, der die Frauen mit seinem Charme um die Finger wickeln konnte und damit seine Ehe mit Gattin Panja massiv belastete, erzählt, dass er sich selbst bisweilen wegen seiner Untreue verachtet habe. Dass er sich die Seitensprünge nicht verzeiht.
Udo Jürgens, dieser Herzensbrecher im Smoking, war im Gespräch ein ernster Mensch, der mit großer Nüchternheit über das Alter und über seinen Tod reden konnte. Er hatte keine Angst vor dem Tod, sagte er. Aber er hatte Angst vor dem Sterben. Davor, dahinzusiechen. Er hat sich für Sterbehilfe eingesetzt. „Der Tod gehört zum Leben“, sagte er. Es ist keine große Weisheit. Aber die wenigsten machen sich das Prinzip klar. Natürlich gab es Momente, wie man in den vielen Interviews zu seinem Achtzigsten lesen konnte, in denen er auch schon mal sagte: „Ich versuche, den Tod zu verdrängen.“
Der Durchbruch auf der Bühne kam 1966
Udo Jürgens verdrängte auf der Bühne, aber im Leben stellte er sich seinen Gedanken, die ihn nie losließen: Krieg und Nachkriegszeit seien auch für ihn bedrückende Jahre gewesen, berichtete Jürgens 2004 in seinem Bestseller „Der Mann mit dem Fagott“.
Er brachte nicht nur seine Stimme und seine große Musikalität mit auf die Bühne, sondern auch eine tiefe Demut vor dem Publikum. Udo Jürgens, dessen Karriere äußerst stockend begann, der sehr lange schlechte Hits anderer Sänger singen und in Hotels schlechten Swing spielen musste, hat sich später, geschworen: „Ich gebe alles für meine Zuschauer.“ Als er den Durchbruch schafft und 1966 mit „Merci, Chérie“ den Grand-Prix gewann, begann die gegenseitige Liebe: Udo Jürgens liebte sein Publikum, und das Publikum liebte ihn.
„Mitten im Leben“, so hat er seine aktuelle Tournee genannt. Übrigens nicht ironisch. Es war ernst gemeint. Weil jeder Tag, auch der letzte, für ihn mitten im Leben war.