Krefeld.. Im Prozess um den Mord an Mirco erzählt die Mutter, wie sehr ihr Sohn die Gerechtigkeit liebte – und sein Fahrrad. Auch Angst habe der Zehnjährige selten gehabt. Es war ein starker Auftritt im Angesicht des mutmaßlichen Täters.
Sie haben Angst gehabt vor dieser ersten Begegnung, Auge in Auge, gemeinsam in einem Raum: die Eltern und der Mörder ihres Kindes.
Als Mircos Mutter hereinkommt, ist es, als hielte der ganze runde Saal 167 des Krefelder Landgerichts für einen Moment den Atem an. Unwillkürlich schweift der Blick entlang der Linie, die die Drei nun bilden. Links der Angeklagte, derselbe Anzug wie am ersten Prozesstag, dasselbe ausdruckslose Gesicht. Er könnte sich verstecken hinter seinem Anwalt, aber er starrt hinüber mit leeren Augen. Rechts Mircos Vater, ganz in Schwarz, er schaut tapfer zurück, man sieht ihn schlucken.
„Mirco hat selten Angst gezeigt“
Und dann Sandra S., auf dem Zeugenstuhl genau in der Mitte zwischen den beiden Männern, die Haare etwas länger als auf den Fernsehbildern von damals, aufrecht und ruhig. Sie haben sie durchsucht vor dem Saal, vor aller Augen und laufenden Kameras, eine endlos piepsende Leibesvisitation. „Reine Routine“, wird ihre Anwältin später sagen, sie machen das hier mit jedem, aber natürlich ist diese Zeugin nicht „jede“.
Sie ist Mircos Mutter, der einzige Mensch, der nach Auffassung des Gerichts wissen kann, ob es stimmt, was Olaf H. über ihren Sohn gesagt hat; dass er da einfach so herbeigeradelt kam am 3. September, dass er sich kaum wehrte, diese Dinge. „Was war Mirco für ein Junge?“, fragt Richter Herbert Luczak, und Sandra S. wiederholt, was sie schon so oft erzählt hat, dass man glaubt, man würde Mirco kennen: „Ein lebhaftes Kind. Sehr offenherzig. Pfiffig. Er hat selten Angst gezeigt.“ Nur im Dunkeln allein zu sein, das sei ihm unheimlich gewesen.
Es fehlt der kleine Fahrradfahrer
Ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl habe er gehabt, den Menschen manchmal direkt „ins Gesicht gesagt, was ihm nicht passt“. Im Umgang „mit schwierigeren Kindern“ sei er „fein“ gewesen, habe aber auch aufbrausend sein können. Und hin und wieder habe man schimpfen müssen, „weil er nicht stillsitzen konnte am Esstisch“: „Was jetzt fehlt. Das merkt man absolut.“ Nicht einmal jetzt zeigt der Mann, der dieses Kind missbraucht und erdrosselt haben soll, eine Reaktion. Dabei hat er selbst doch fast genau das gesagt: „Bei Familie S. fehlt jetzt einer am Tisch.“
Und es fehlt der kleine Fahrradfahrer. Dieser Mirco, der immer so flott unterwegs war, der das grüne Rad, das man später an einer Böschung fand, so unbedingt haben wollte, dass der Zehnjährige es sich selbst zusammensparte, es nicht aus den Augen ließ und nur an beste Freunde verlieh: „Mirco und sein Fahrrad waren eine Einheit“, sagt seine Mutter. „Das Rad ohne Mirco zu finden, war ein Unding.“ Auch das erzählt die Verkäuferin mit fester, klarer Stimme, sie weint nicht, sie wankt nicht – wie kann sie so stark sein?
Der Täter zeigt keine Regung
Ihr Glaube, das wusste man schon, und Anwältin Gabriele Reinartz bestätigt es in der Pause, sei den Eltern „eine immense Stütze“. Tatsächlich aber koste dieses Aufeinandertreffen die Eheleute viel Kraft, „sehr betroffen und bedrückt“ seien sie. „Wie es in ihrem Inneren aussieht, weiß man ja nicht“, sagt auch Verteidiger Gerd Meister, der das indes auch für seinen Mandanten in Anspruch nimmt: „Er versucht, Haltung zu bewahren“, erklärt er. „Er setzt eine Maske auf; es gibt kein passendes Gesicht für diese Situation.“
In Wirklichkeit sei Olaf H. nicht unbeteiligt, „er weint sehr viel“, verrät sein Anwalt und hält das für „ein gutes Zeichen: Um einen Täter, der keine Regung zeigt, müsste man sich mehr Sorgen machen“. Vor der Begegnung mit Mircos Eltern habe der 45-Jährige sich gefürchtet, sei danach schluchzend zusammengebrochen. Nur gesagt hat der Angeklagte wieder nichts. Ob er nicht wenigstens das Wort an die Familie hätte richten können?, wird Meister gefragt. „Mir käme eine Entschuldigung wie ein Hohn vor.“ Und ein „Tut mir leid“ sei „viel zu wenig“.
Olaf H. wird also weiter schweigen. Obwohl selbst sein Anwalt versucht, mit ihm zu reden. „Es muss ja einen Grund geben, warum er das getan hat. Ein Mensch wird doch nicht als Mörder geboren!“ Und obwohl auch der Vorsitzende Richter ihm noch einmal ins Gewissen redet: „Wenn Sie den Eltern Gewissheit verschaffen wollen, dann sollten Sie sich öffnen.“