Essen. Mit Covid 19 auf der Intensivstation – was bedeutet das für die Betroffenen? Welche Folgen hat eine Beatmung? Ein Intensivmediziner antwortet.

Was erwartet schwer erkrankte Covid-Patienten im Krankenhaus? Prof. Thorsten Brenner, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Uni-Klinikum Essen, klärt über schwierige Entscheidungen, Beatmungen und ihr Risiko auf. Der Anästhesist hat die Klinik im Februar übernommen, zum Beginn der Corona-Krise. 13-Stunden-Arbeitstage sind noch immer die Regel für ihn.


„Kein Mensch muss ersticken“, sagt der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns und plädiert für Morphiumgaben statt Beatmungen. Was halten Sie davon?

Brenner: Gegenwärtig wird eine sehr kontroverse Diskussion darüber geführt, welche Form der Beatmungstherapie bei Covid-19-Erkrankten optimal ist. Abgesehen davon soll definitiv kein Mensch qualvoll ersticken müssen. Bei der Wahl der optimalen Therapie sind wir immer gebunden an den Patientenwillen. Die allermeisten wünschen eine volle Intensivtherapie inklusive Beatmung, da sie schnellstmöglich wieder in ihr altes Leben zurück möchten. Besonders in kritischen Erkrankungsphasen wird durch unsere Medikamente dafür gesorgt, dass der Patient angst- und stressfrei ist und niemals Atemnot empfindet. Wenn ein Patient nun aber aufgrund seiner Vorerkrankungen oder seines Alters sagt, dass er nicht beatmet werden möchte, habe ich diesen Wunsch zu berücksichtigen und verfolge ein palliatives Therapieziel: Dann lasse ich den Patienten in Frieden gehen, beatme ihn auch nicht. Schmerzen und Atemnot werden auch ihm adäquat genommen. Ist der Patient nicht ansprechbar, liegt auch keine Verfügung oder Vorsorgevollmacht vor, wird man versuchen, sich an die nächsten Verwandten zu wenden, um den mutmaßlichen Patientenwillen zu eruieren.

Wir werden niemals einem Patienten Intensivmedizin aufzwingen, die er nicht möchte: Pof. Thorsten Brenner, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der Uni-Klinik Essen
Wir werden niemals einem Patienten Intensivmedizin aufzwingen, die er nicht möchte: Pof. Thorsten Brenner, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin an der Uni-Klinik Essen © UNiKlinik Essen | Uniklinik Essen


Wird nicht immer bis zum Letzten therapiert?

Intensivmedizin soll niemals eine Qual sein! Sie ist auch niemals eine Sackgasse. Wenn wir im Verlauf der Therapie zu der Überzeugung kommen, dass diese nicht mehr dem Patientenwillen gerecht wird, können wir jederzeit den Beatmungsschlauch ziehen und den Patienten in Frieden ziehen lassen. Das ist keine aktive Sterbehilfe. Das ist nur die Rückführung der künstlich oktroyierten intensivmedizinischen Maßnahmen. Wir werden niemals einem Patienten eine Therapie aufzwingen, die er nicht möchte.

Welche Rolle spielt das Alter bei der Beurteilung eines Patienten?

Eine marginale Rolle. Es kommt immer darauf an, wo der Patient im Alltag stand. Ging er mit 80 Jahren noch dreimal die Woche Golf spielen und traf sich mit Freunden? Dann würde ich ihm, wenn es seinem Willen entspricht, auch eine volle Intensivtherapie zumuten. Hat ein 80-Jähriger aber eine bösartige Grunderkrankung und kann nicht mehr am Alltagsleben teilhaben, kann die Entscheidung anders ausfallen, sofern dies seinem Willen entspricht. Das Alter fließt ein, kann aber niemals das einzig ausschlaggebende Kriterium sein.

Wie ist die Lage auf ihrer Intensivstation?

Wir haben derzeit 44 Patienten auf dem Campus, wovon 16 intensivpflichtig sind. Zugleich sind 40 Beatmungsbetten exklusiv für Covid-19-Patienten vorgesehen. Wir könnten weitere 22 Intensivbetten aufmachen. In der jetzigen Situation haben wir einen sehr guten Puffer.


Leiden alle Covid-Intensivpatienten an Atemnot?

Die Patienten haben alle definitionsgemäß eine Lungenentzündung, denn das ist das Organsystem, dass die Coronaviren vorderdringlichst befallen. Das ist „die Erkrankung“. Und bei jeder Lungenentzündung wird die Lungenfunktion in unterschiedlichem Ausmaß eingeschränkt, aber jeder spürt das anders. Atemnot ist ein stark subjektives Gefühl. Bei einer grippebedingten Lungenentzündung ist das nicht anders. Den Betroffenen wird die Atemnot, sofern sie vorliegt, durch spezielle Medikamente genommen.

Welcher Anteil muss künstlich beatmet werden?

Wir haben einen höheren Anteil, da wir als Uni-Klinik die am schwersten erkrankten Patienten bekommen. Ich schätze, etwa 85 bis 90 Prozent der Covid-Patienten auf unserer Intensivstation sind beatmungspflichtig. In Bezug auf diese Patienten sind wir bei Sterblichkeitsraten, die denen einer schweren Blutvergiftung entsprechen, bei etwa 30 bis 35 Prozent.

Mit welchen Folgeschäden, auch durch die Beatmung, haben die Patienten zu kämpfen?

Über potenzielle Schäden durch die Covid-Erkrankung weiß man noch nicht viel. Je nachdem, wie schwer die Lungenentzündung war, resultiert, dass die Lungenfunktion eingeschränkt bleiben kann, was sich meist durch eingeschränkte Belastbarkeit und Kurzatmigkeit bei körperlicher Belastung äußert. Jede Beatmung ist per se unnatürlich. Wenn man die Lunge zu sehr aufbläht, können die kleinsten Binnenstrukturen zerreißen. Das wollen wir natürlich in keinster Weise riskieren, weshalb wir die Patienten so schonend wie möglich zu beatmen versuchen, sofern dies nötig ist, und im Bedarfsfall andere Lungenunterstützungssysteme hinzunehmen.