Am Niederrhein. Im „Album der Erinnerung“ verbindet der Künstler Cyrus Overbeck aus Duisburg Josef Krings und Zeitgenossen. Es sind kalkulierte Irritationen.
Der Künstler Cyrus Overbeck aus Duisburg ist bekannt dafür, mit seinen Werken aus dem Rahmen zu fallen. Auch mit seinem neuen Zyklus „Heimatmuseum - Album der Erinnerung“ provoziert er zum Nachdenken: über die Nazizeit und deren Aufarbeitung sowie über den Neofaschismus im heutigen Deutschland. In zehn Druckgrafiken verbindet er den langjährigen Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, Josef Krings, mit so unterschiedlichen Zeitgenossen wie Fritz Bauer, Otto Pankok, Pater Kolbe, Käthe Kollwitz oder Graf von Stauffenberg.
Natürlich ist es überhaupt kein Zufall, dass der Bildhauer, Grafiker, Maler und Holzschnitzer seine neue Werkreihe „Heimatmuseum - Album der Erinnerung“ nennt. Er bezieht sich auf einen Schriftsteller aus Ostpreußen: Siegfried Lenz (1926-2014). Dessen autobiografisch geprägter Roman „Heimatmuseum“ handelt von den beiden großen Kriegen des vergangenen Jahrhunderts, die in das Leben einfielen, Land und Leute prägten.
Eine dunkle Vergangenheit, die ihre Schatten bis in die Gegenwart hinein wirft, mahnt und warnt Cyrus Overbeck – nicht nur mit diesen Arbeiten. Doch bereits Siegfried Lenz gab zu bedenken: „Auf Erinnerung zu bestehen, kann mitunter schon Widerstand sein, wenn Vergesslichkeit großgeschrieben oder dekretiert wird.“
Josef Krings und der Glashut in Duisburg
Herr Overbeck, warum stellen Sie ausgerechnet Josef Krings, den langjährigen Oberbürgermeister von Duisburg, an den Anfang ihres neuen Zyklus? „Bei meiner Arbeit komme ich generell vom Fühlen zum Denken. Im Sinne von Gustave Courbet, der gesagt hat: „Ich habe noch nie mit Farben gemalt, sondern nur mit Gefühl.“ Ich verspüre zu den Menschen, die den Nationalsozialismus erlebt haben, eine tiefe innere Bindung. Otto Pankok, Pater Kolbe, Stauffenberg und die anderen von mir Gezeigten waren Zeugen dieser Zeit – so wie auch Josef Krings. Er war zudem ein früher und großer Förderer meiner Kunst. Als ich 27, 28 Jahre alt war, kam er zu meinen Ausstellungen, bestätigte und bestärkte mich in meinem Anspruch, in der Alten Brotfabrik in Beeck etwas von nationaler Relevanz heranwachsen zu lassen.“
Um das Prinzip der Gegenüberstellung von jeweils zwei Bildgrafiken zu verstehen: Hier Krings, da zwei Damen im Kostüm – was verbindet sie? „Josef Krings, 1926 geboren, wurde als Pimpf von der Ideologie der Nazis geblendet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erkannte er diesen Irrtum und arbeitete seine Vergangenheit auf. Damit gehörte er in den 1950er Jahren zu einer Minderheit. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung las nicht etwa Bücher von Wolfgang Borchert und der Gruppe 47. Die NS-Zeit wurde verdrängt, vergessen. Stattdessen wurde vergnüglich gelebt, so als ob es einen Holocaust nie gegeben hätte. Dafür stehen symbolisch die beiden gut gekleideten Damen aus der Wirtschaftswunderzeit. Erkenntnis braucht Zeit, mal mehr, mal weniger, individuell wie auch gesamtgesellschaftlich.“
Unbequem und aufklärerisch: Fritz Bauer und Otto Pankok
Otto Pankok, Fritz Bauer, Pater Kolbe und Graf von Stauffenberg – bei der Auswahl an Zeitgenossen von Josef Krings hätten Sie es sich auch einfacher machen können.
„Ich habe es mir in meinem Leben noch nie einfach gemacht, schon gar nicht als Künstler. Ich brauche keine Claqueure, die meinen Bildern gefällig Beifall klatschen. Wenn ich im ersten Moment der Begegnung mit meinen Arbeiten auf Ablehnung stoße, dann ist das genau der Leitprozess, den mein Werk auslösen soll: Irritation, Assimilation, Integration – auf dem Weg hin zu einer vielfältigen, demokratischen und pazifistischen Gesellschaft. Wir Ältere haben eine große pädagogische Aufgabe, wir müssen uns fragen: Welche Vorbilder geben wir jungen Menschen mit auf ihren Lebenswegen? Denn sie werden es sein, die die Zukunft unseres Staates gestalten werden.“
Ludwig van Beethoven neben strammstehenden Soldaten in SS-Uniform – auf den ersten Blick eine ungeheuerliche Provokation. Wie groß ist die Gefahr, dass ihre Kunst missverstanden oder überhaupt verstanden wird?
„Kunst wird anfangs oft missverstanden. Bei der ersten Ausstellung von Claude Monet in Paris sind die Besucher mit Regenschirmen auf die seine Arbeiten losgegangen und wollten in die Bilder hineinstechen. Heute gibt es Nachdrucke der Werke von Claude Monet bei Ikea zu kaufen. 100 Jahre später also wird er von der Masse offensichtlich verstanden. Es war schon immer so: Künstler gehen ihrer Zeit voraus. So war es auch beim Bilderzyklus „Café Deutschland“ von Jörg Immendorff oder bei der Bronzeplastik „Jahrhundertschritt“ von Wolfgang Mattheuer. Tröstlich zu wissen ist: Die Gesellschaft folgt der Kunst, wenn auch manchmal erst zehn, 20 oder 30 Jahre später.“
Erlösung von dem Bösen? Durch Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit
Das letzte Bild in der Reihe zeigt eine Gottesmutter Maria, die bloß noch eine Silhouette des Christuskindes im Arm hält. Wird es also keine Erlösung von dem Bösen geben?
„Das ist die Frage, die sich der bundesrepublikanischen Gesellschaft nach 1945 stellt. Bildlich gesprochen müssen wir die hohle Form des Jesuskindes wieder füllen. Beide christliche Kirchen haben während der Nazi-Zeit versagt. Bis heute werden von ihnen Waffen gesegnet, statt sich auf die Botschaft der Liebe zu besinnen. Von den Kanzeln herab müssen wieder Themen besprochen werden, die für die Menschen relevant sind, so wie es 1988/89 in Leipzig der Fall war. Es liegt an uns allein, ein Paradies auf Erden zu schaffen. Erlösung von dem Bösen wird es nur geben, wenn wir Menschen uns für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.“
Ergänzt werden vier Motiv-Paare noch durch ein Abbild des berühmten Fotos von Josef Heinrich Darchinger: zehn Jungs in Lederhosen, vor einem Kaugummi-Automaten stehend, eine Szene aus dem Nachkriegsdeutschland, die zum kollektiven Gedächtnis der alten Bundesrepublik gehört. Demgegenüber ein Porträt von Porträt von Käthe Kollwitz, der Friedenskünstlerin, die 1924 die Losung des Lebens auf ein Plakat drucken ließ: „Nie wieder Krieg!“ Die bildlichen Begegnungen sind kalkulierte Irritation, auch sind sie ein Balanceakt zwischen Klischee- und Nicht-Wissen sowie Aufklärung.
INFO: „Heimatmuseum - Album der Erinnerung“ in der Mercator-Galerie
Wer Interesse an der neuen Werkreihe von Cyrus Overbeck hat, wendet sich an die Galerie des Mercator-Verlages in Duisburg-Ruhrort, Dammstraße 25, geöffnet mo-fr 10-16 Uhr, Kontakt: 0203/ 34 68 25 21.