Essen.. Mitfahrzentralen boomen. Früher wusste man nie so genau, zu wem man ins Auto stieg. Heute ist das anders

Sie hatte einen Studenten erwartet, natürlich, aber er ist Arzt. Und statt der „alten Klapperkiste“, mit der sie sich schon auf dem Weg Richtung Bozen sah, entpuppt sich die spontan gebuchte Mitfahrgelegenheit als luxuriös ausgestatteter Kombi der Oberklasse. Auf in den Skiurlaub also! Und das Ganze für gerade einmal 25 Euro pro Strecke. Besser hätte es kaum laufen können. Tagtäglich finden Hunderttausende auf deutschen Straßen zusammen, um sich ein Auto zu teilen. Das Internet macht es komfortabel wie nie, Spritpreis und Umweltgedanke befördern es.

Steffen bietet Göttingen - Bochum - Essen - Düsseldorf - Viersen an. Er fährt einen Opel Corsa, hat also nur wenig Platz und bittet: „Keine Koffer mitnehmen!“ 12.15 Uhr wird gestartet, für 15 Euro pro Mitfahrer. Corinna P., das kann man lesen, ist schon mal mit ihm gereist und gab ihm Bestnoten: Jederzeit wieder! Steffen sei pünktlich, zuverlässig, der Wohlfühlfaktor auf der Fahrt 100 Prozent. Andreas K. pendelt wöchentlich zwischen Essen und Starnberg und ist „immer auf der Suche nach netten Mitfahrern“. In seinem Internet-Profil ordnet er sich in die Altersgruppe 25 bis 34 Jahre ein, als Nichtraucher, der zur Stauumfahrung Tom-Tom nutzt.

500 000 Menschen treiben sich täglich suchend und findend im Internet herum, Fahrer und Mitfahrer, unterwegs zwischen München und Kiel, Düsseldorf und Berlin. Deutschlands größter Internet-Anbieter Mitfahrgelegenheit.de ist längst international vernetzt und steigerte seine Aktivitäten allein im vergangenen Jahr um 30 Prozent. „Das ist ein Markt, der immer weiter wächst“, sagt ADAC-Sprecherin Katharina Bauer. Selbst vom Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im vergangenen Jahr hätten die Mitfahrgelegenheiten profitiert. Flüge fielen aus, Züge waren überfüllt. So fand manch ein Reisender seinen ganz individuellen Lift.

Keine Lust, allein zu fahren

Die einen treiben die steigenden Benzinpreise, andere der Umweltgedanke und viele Pendler haben schlicht keine Lust, lange Strecken alleine zu fahren. Hinzu kommen die jungen Leute in den Großstädten, die sich oft gar kein Auto mehr anschaffen, manchmal sogar auf den Führerschein verzichten, die ganz nach Bedarf zwischen Fahrrad, öffentlichem Personenverkehr, Bahn und Flugzeug variieren.

Julia und Jana sind mit knallblauem Fiat-Punto von Herne nach Halle/Saale unterwegs und suchen noch Mitfahrer. Treffpunkt um 14.30 Uhr am Bahnhof, am Mr. Chicken. Kosten: 20 Euro pro Person. „Als Student habe ich oft selbst Fahrgemeinschaften gebildet. Heute habe ich manchmal keine Lust, allein unterwegs zu sein“, sagt Peter T.. Der Psychiater pendelt mit Mercedes oder Porsche C 220 häufig zwischen Münsterland und Essen und verhehlt nicht, dass er auch den Vorteil des Spritkostensparens durchaus zu schätzen weiß. „Meist ist es angenehm, jemanden mitzunehmen. Und wenn ich mal lieber alleine fahren will, sag ich einfach, dass der Wagen schon voll ist“, sagt der 41-Jährige.

Mitfahrzentrale hießen die kleinen, wenig charmanten Ladenlokale früher, die zumeist in Bahnhofsnähe lagen. Wer da anfragte, ahnte nicht, auf wen er schließlich am vereinbarten Treffpunkt stoßen würde. Mitfahrzentrale, das hatte den Charme eines klapprigen Käfers und des Studenten auf dem Weg von der Uni nach Hause. Heute, per Internet, kann man sich häufig aussuchen, mit wem man fahren möchte. Zur angebotenen Fahrt gibt es nämlich das Profil des Fahrers, Alter, Auto-Typ, Fahrstil, Kilometerleistung pro Jahr und manchmal sogar die Bewertungen früherer Mitfahrer. „Wir raten außerdem, vor der Fahrt noch einmal telefonisch Kontakt aufzunehmen, die Stimme zu hören“, sagt ADAC Sprecherin Bauer.

Deutschlands größter Anbieter, Mitfahrgelegenheit.de in München, ist tatsächlich von ehemaligen Studenten gegründet worden. Von drei Absolventen der Betriebswirtschaftslehre. Zehn Jahre ist das her, die drei hatten nach dem Studium längst erste Berufserfahrung gesammelt und erkannten den Markt. „Wir hatten als Studenten kein Geld, kein Auto und waren selbst so unterwegs. Wir wussten, wir profitieren von jeder Benzinpreis-Erhöhung“, sagt Michael Reinicke, Geschäftsführer von Mitfahrgelegenheit.de.

Firmen nutzen den Service der Anbieter

Längst kooperiert der ADAC und die Bahn mit ihnen, auch erste Firmen wie Eon nutzen den Internet-Anbieter als eigene Plattform für ein firmeninternes Mitfahrersystem. Mitfahren, Kosten und Benzin zu teilen ist angesagt ebenso wie Car-sharing, das längst selbst von BMW und Mercedes angeboten wird, sowie in zahlreichen Städten.

Katrin, die Frau, die bei Bozen skiurlaubte, ist übrigens unterwegs auf den Geschmack gekommen. Den Rückweg buchte sie am Ende auch noch bei ihrem Fahrer: „Wir saßen zu viert im Auto und hatten trotz plötzlichem Wintereinbruch und 18 Stunden Fahrt unheimlich viel Spaß!“