Duisburg.


Sie galt als die Vorzeige-Kita schlechthin. Das Duisburger „Nimmerland“, ein Haus mit außergewöhnlichen Öffnungszeiten von früh bis spät. Nun steht die durchaus charismatische Leiterin des Hauses, Marion Valland (52), im Mittelpunkt von Ermittlungen. Steuerfahnder und die Staatsanwaltschaft Duisburg haben sie im Visier. Zehn Mitarbeiterinnen werfen ihr vor: Valland hat uns missbraucht und um einen Großteil unseres Verdienstes gebracht. Wir wurden sogar bis zur Bank begleitet, um ihr unser Geld abzugeben!

Wie sie da so sitzen, an diesem Abend in dem adretten Reihenhaus in Duisburg-Marxloh, muss man sie einfach als ein Häuflein Elend bezeichnen. Zehn Frauen, die selbst nicht mehr verstehen, dass sie all das mit sich machen ließen. Dass sie sich Monat um Monat ihr als Tagesmütter schwer verdientes Geld von Marion Valland „abzocken ließen“. Dass sie es abgaben, ohne aufzubegehren. „Im Nachhinein erinnert mich das an Scientology“, sagt Sabine B.* und fügt hinzu: „Frau Valland war Freundin und Förderin. Da stellte man keine Fragen, sondern war dankbar!“

Sabine B., die Mittvierzigerin, war es, die die Ermittlungen der Steuerfahnder 2011 ins Rollen brachte. Ab Januar 2008 hatte sie als Tagesmutter für Nimmerland gearbeitet, hatte klaglos akzeptiert, dass sie nur 1000 Euro ihres Verdienstes von rund 3500 Euro brutto behalten durfte. Immer wieder soll Marion Valland den Frauen eingeflößt haben: „Nimmerland, der Verein, ist arm. So läuft das eben bei uns!“ Sabine B.: „Anfang 2011, ich hatte geheiratet und ein Haus gekauft, ging ich zum Steuerberater. Der eröffnete mir, ich müsse allein für das Jahr 2010 7500 Euro Steuern nachzahlen. Es war ein Schock! Ich hatte das Geld ja gar nicht behalten.“

Sabine B. alarmiert drei Kolleginnen, sie bestätigen die Geschichte und belegen anhand von Konto-Auszügen immer gleiche Geldbewegungen. Einzelne Frauen wollen über die Jahre bis zu 80 000 Euro an Valland abgegeben haben. „Ich habe daraufhin die Steuerfahndung informiert. Das ist quasi mit einer Selbstanzeige der Frauen gleichzusetzen. Aber es war richtig. Auch damit diese Sauerei ein Ende hat“, erklärt der Steuerberater, der nicht genannt werden will.

Sabine B., sie ist nur eine von mindestens zehn früheren Nimmerland-Mitarbeiterinnen, denen es so erging. An diesem Abend sitzen sie erstmals zusammen, erzählen ihre Erlebnisse im Nimmerland. Geschichten von Enttäuschungen, Verrat und Lüge sind das. Das darunterliegende Prinzip jedoch scheint dasselbe gewesen zu sein. Alle Frauen waren arbeitslos, als Marion Valland um ihre Freundschaft, um ihre Mitarbeit bei Nimmerland buhlte. „Sie nimmt Dich, wenn Du ganz unten bist. Vor lauter Dankbarkeit gibst Du alles, ohne den Verstand einzuschalten“, sagt eine von ihnen.

Die Essener Steuerfahndung jedoch stößt alsbald auf Unregelmäßigkeiten, die sie veranlassen, auch die Staatsanwaltschaft Duisburg zu informieren. Die wiederum lässt im Herbst 2012 die Geschäfts- und Privaträume von Marion Valland durchsuchen. Nicht nur, dass die Frauen um ihren Verdienst betrogen worden sein sollen, Frau Valland soll für manche von ihnen doppelte Verträge abgeschlossen haben. Zum einen führte der Verein die Frauen als vom Jugendamt bezahlte Tagesmütter, für fünf Mitarbeiterinnen soll sie jedoch parallel einen Vertrag mit dem Jobcenter abgeschlossen haben, das ein Sonderprogramm für schwer vermittelbare Kräfte anbot. 75% des Lohnes zahlte das Jobcenter, 25% der Arbeitgeber, also Nimmerland.

„Egal von wo wir Geld bekamen, uns blieb nur ein karger Rest“, sagen die Frauen. Wenn sie das Geld nicht monatlich ins Nimmerland-Büro trugen, wo es in Listen abgehakt im Tresor landete, sollen Marion Valland und ihr späterer Geschäftsführer Michael R. die Frauen auch gern bis in die Bank begleitet haben. „Sie nahmen das Geld bar und ohne Quittung“, sagt auch Bea S., die gestanden hat, dass sie gleichzeitig für Jobcenter und Jugendamt tätig gewesen ist. „Uns ist nie gesagt worden, dass wir als Tagesmütter selbstständig sind. Wir sollten nur unterschreiben, Herr R. regele alles, wir bräuchten uns nicht zu kümmern“, sagt Bea S.

Jugendamt will nichtsgewusst haben

Vier Gruppen à neun Kinder sind vom Jugendamt im Nimmerland genehmigt. Die früheren Mitarbeiterinnen behaupten jedoch, dass häufig deutlich mehr Kinder betreut wurden. „Es gab eine doppelte Buchführung. Eine für die Kinder des Jugendamtes, eine für jene, die privat angemeldet waren. Wenn ein Besuch des Jugendamtes anstand, wurden die Boxen mit der Wechselwäsche dieser Kinder in den Keller verfrachtet, die Kleinen selbst mit einer Betreuerin in den Park geschickt“, so die Frauen.

Im Duisburger Jugendamt will man von all dem nichts gewusst haben, geht man den Vorwürfen nun nach. Thomas Krützberg, Leiter des Amtes und seit Dienstag Familiendezernent: „Die Vorwürfe, die da im Raum stehen, würde ich gerne mit Frau Valland besprechen.“

Marion Valland selbst erklärte auf Anfrage, Hintergrund der Vorwürfe sei einzig „ein Rosenkrieg mit meinem Ex-Mann“. Ihr Anwalt Matthias Meier riet ihr jedoch, „während der laufenden Ermittlungen keine weitere Stellungnahme abzugeben“. Den Ex-Mann gibt es tatsächlich. Lothar Valland will 150 000 Euro seiner Ersparnisse ins Nimmerland gesteckt haben.

Seine frühere Frau, so heißt es auch, beziehe seit Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Wer eine solche Rente erhält, darf allerdings monatlich nicht mehr als 450 Euro verdienen. Auch das scheint bei Marion Valland anders zu laufen.

* Namen der Frauen geändert