Ruhrgebiet. Wirte haben Hausrecht, Fluglinien können Gäste ablehnen – und der Arbeitgeber wird auch bald drängen. Die wichtigsten Antworten zur Impfpflicht.

Eine Impfpflicht soll es nicht geben, beteuern alle Politiker von Rang und Namen. Doch schon jetzt deuten sich Einschränkungen für Nicht-Geimpfte an. So kündigte der Chef der australischen Fluglinie Qantas nun eine „Impfpflicht“ für internationale Passagiere an. Er geht davon aus, dass dies der Regelfall wird fürs Fliegen. Und könnte nicht jede Verkehrsgesellschaft, jedes Restaurant, jedes Geschäft diesem Beispiel folgen? Kann sich ein Arbeitnehmer in einer kritischen Branche wirklich verweigern? Ein CDU-Politiker fordert den Impfpass für Konzerte. Lugt die Impfpflicht bereits durch die Hintertür? Hier die wichtigsten Antworten.

Muss ich als Kunde befürchten, ohne Impfnachweis nicht mehr ins Geschäft gelassen zu werden?

„Es ist erst einmal so, dass jeder Unternehmer selbst entscheiden kann, mit wem er Verträge schließt“, sagt Thomas Bradler von der Verbraucherzentrale NRW. „Man muss sich dann in jedem Einzelfall anschauen, ob so etwas zulässig ist.“ Jedoch habe es bereits einige Fälle gegeben, bei denen die Corona-Warn-App als Zugangsvoraussetzung verlangt wurde, erklärt der Leiter der Abteilung Verbraucherrecht. „Unsere Auffassung ist, dass dies im Wege des Hausrechts zulässig ist.“

Wie steht es mit Grundversorgern?

Sicher sei ein Restaurant anders zu bewerten als etwa ein Verkehrsunternehmen, erklärt Bradler. Für Grundversorger etwa gelten andere Regeln: Selbst im Falle der Zahlungsunfähigkeit kann ein Energieanbieter nicht einfach den Strom abstellen. Doch wann bei Corona-Regelungen „das Maß überschritten wird, ist eine Frage des Einzelfalls“, wiederholt der Verbraucherschützer. Jedenfalls sieht Bradler viele Fragen auf die Verbraucherzentrale zukommen. Denn klar scheint eines: Konflikte wird es geben.

Kann mein Arbeitgeber mich zu einer Covid-Impfung verpflichten?

„Über den Arbeits- oder Tarifvertrag geht das nicht“, erklärt Burkhardt Zieger vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). Jedenfalls nicht ohne gesetzliche Regelung wie bei der Masernimpfpflicht, die seit März gilt – für Kita-Kinder, aber unter anderem auch für Erzieher, Pfleger, Ärzte und Lehrer, sofern sie nach 1971 geboren wurden. Nur wurde dies eben im Infektionsschutzgesetz geregelt, erklärt der Geschäftsführer des DBfK Nordwest – im Gegensatz zu Covid-19.

Auch die Frankfurter Rechtsanwältin Pauline Moritz vertritt die Auffassung, dass eine Impfpflicht per Arbeitsvertrag nicht möglich ist. Entsprechende Regelungen dürften „gemessen an den Anforderungen der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht wirksam und damit nicht durchsetzbar sein“, schreibt sie in einer Analyse für den Covid-Blog der internationalen Kanzlei Mayer Brown . Auch das Direktionsrecht (§ 106 GewO) reiche nicht aus, ebenso wenig wie die arbeitsvertragliche Treuepflicht: Die Abwägung dürfte „regelmäßig zugunsten der körperlichen Unversehrtheit des Arbeitnehmers ausfallen“. Zumal der Zweck ja auch erreicht werde, wenn sich größere Teile der Belegschaft freiwillig impfen ließen.

Aber Tarifverträge schreiben doch schon jetzt eine Kontrolle verschiedener Impfschutze vor?

Zum Beispiel Pfleger, Bäcker oder Busfahrer sind tatsächlich zu arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung verpflichtet. Dabei wird in der Regel auch der Impfschutz verschiedener Erkrankungen beurteilt. Der Betriebsarzt mag gegebenenfalls zu Auffrischungen oder weiteren Impfungen raten, die ständige Impfkommission in Deutschland empfiehlt zum Beispiel Erziehern den Hepatitis-Schutz – doch am Ende ist eine Impfung nicht verpflichtend, um die Tätigkeit ausüben zu dürfen, so die Gewerkschaft Verdi . „Die Beschäftigten dürfen frei entscheiden, ob sie sich impfen lassen.“ Ausnahme: Masern.

Was droht Arbeitnehmern, die sich nicht impfen lassen wollen?

„Der Arbeitgeber hat immer das Recht, einen Arbeitnehmer aus nachvollziehbaren Gründen zu versetzen“, erklärt Burkhardt Zieger vom DBfK. Auch kann ein Betriebsarzt ein vorübergehendes Beschäftigungsverbot aussprechen, etwa, wenn eine Arbeitnehmerin schwanger wird und nicht gegen Röteln geimpft ist. Arbeitsrechtliche Konsequenzen dürften jedoch bei fehlender Covid-Impfung nicht drohen – keine Abmahnung und erst recht keine Entlassung. Dafür fehlt wie gesagt die gesetzliche Grundlage.

Darum ist die Regelung für Masern auch strenger als für Covid: Wenn Betroffene bis Mitte nächsten Jahres keinen Impfnachweis vorlegen, kann das Gesundheitsamt ein Tätigkeitsverbot aussprechen. Und dieses könnte auch eine „personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn sich der Arbeitnehmer beharrlich weigert, sich impfen zu lassen“, schreibt Anwältin Pauline Moritz. „Eine ,Zwangsimpfung’ kommt jedoch auch hier nicht in Betracht.“

Sollte die Politik ihre Haltung ändern, wäre eine Impfpflicht dann verfassungskonform?

Wahrscheinlich ja. Impfgegner argumentieren häufig mit dem „Recht auf körperliche Unversehrtheit“ aus dem Grundgesetz (Art. 2 Abs. 2). Interessanterweise sieht das Bundesverfassungsgericht dies genau andersherum: Impfungen schützen – nicht nur das Individuum, sondern auch die Allgemeinheit und Per­sonen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Und der Staats sei angehalten, Leben zu schützen. Mit dieser Begründung schmetterte das oberste Gericht im Mai mehrere Eilanträge gegen die kurz zuvor eingeführte Masernimpfpflicht für Kinder ab.

Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Eine Impfpflicht sei jedoch nach dieser Logik durchaus möglich, erklärt die Rechtswissenschaftlerin Lauren Tonti vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik im „Verfassungsblog“ : Nach dem Infektionsschutzgesetz (§20, §21) kann das Bundesgesundheitsministe­rium Schutzimpfungen mit Zustimmung des Bundes­rats anordnen. Die Verhältnismäßigkeit ist eine andere Frage, die gesellschaftlich und politisch begründet werden müsse.

Wollen sich die meisten Arbeitnehmer nicht sowieso impfen lassen?

Eine Empfehlung zur Impfung möchte auch Burkhardt Zieger den DBfK-Mitgliedern nicht ohne weiteres geben. Man kenne die Impfstoffe einfach noch nicht, die nun „auf den Markt drängen. Und die Fragen und kritischen Kommentare häufen sich bereits beim Berufsverband. Die Pflegenden hätten gemerkt, dass ihr Schutz nicht immer im Vordergrund stehe – die Personaluntergrenzen, die fehlende Schutzkleidung am Anfang der Pandemie, die Diskussion über den Einsatz infizierter Pflegekräfte. „Es gibt ein großes Vertrauensproblem“, sagt Zieger. Und manche haben „die Wahrnehmung: Jetzt wird es auch noch an uns ausprobiert“.