Gelsenkirchen/Essen.. Ein Prozess vor dem Landgericht Essen zeigt, wie leicht Drogen in den Gelsenkirchener Knast kommen: In einem präparierten Tennisball, der über die Gefängnismauer geworfen wird. Mittlerweile sollen sich sogar schon kriminelle Gruppen gebildet haben, die mit den Drogen ein Geschäft aufgebaut haben.
„Unfassbar“, sagt Richterin Gabriele Jürgensen, als sie hört, wie leicht die Drogen in das Gelsenkirchener Gefängnis kamen. So neu ist das Thema nicht. Schon 2009 hatte ein 38 Jahre alter Häftling dieser Zeitung freimütig über den Alltag in der JVA Gelsenkirchen berichtet: „Da drin sind mehr Drogen im Umlauf als auf jeder Rotlichtmeile.“ Geändert hat sich daran nichts, wie der Prozessauftakt am Freitag vor dem Landgericht Essen gegen einen 31-jährigen Gelsenkirchener zeigt, dem die Anklage einen schwunghaften Handel mit Haschisch und Heroin innerhalb des Knastes vorwirft.
Gefangener unterschlug die Ware
Per Luftpost kamen die Drogen in die Haftanstalt. Etwa am 17. März 2012, als ein mit 100 Gramm Haschisch gefüllter Tennisball von außen über die 5,50 Meter hohe Mauer geworfen wurde. Pech nur für den Angeklagten Korkmaz C., dass die von ihm organisierte Lieferung nie bei ihm ankam. Laut Anklage sammelte sie ein Gefangener aus Marokko auf, der unbekannt blieb. Ein anderes Mal passierten zehn Gramm Heroin über den Luftweg die Sicherheitskontrolle. Aber auch auf klassischem Weg kam Rauschgift zu dem Angeklagten; etwa über Besucher, die ihm auch ein Handy mitbrachten.
Es wurde ihm zum Verhängnis, denn die Polizei hörte so seine Drogengeschäfte ab. Die Beamten freuten sich, dass er während seiner Inhaftierung Klartext sprach. Offenbar fühlte er sich dort geschützt vor polizeilichen Maßnahmen.
Korkmaz C., der seit dem 13. Lebensjahr Haschisch und später Heroin konsumierte, war zuletzt 2010 zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Drogenhandels verurteilt worden. Von Drogen ließ er die Finger aber auch im Knast nicht. Er soll laut Anklage der Auslöser jener Massenschlägerei in der JVA Gelsenkirchen im Oktober 2011 gewesen sein, die erst nach einer Stunde beendet werden konnte.
Massenschlägerei unter Gefangenen
Damals sollen russische Häftlinge eine Lieferung für Korkmaz C. unterschlagen haben. Rund 50 Insassen lieferten sich eine heftige Auseinandersetzung mit Nagelscheren, Holzlatten und Fäusten. Korkmaz C. spricht schlecht über die Russen. Seine Gruppe, die türkisch-libanesische, mache – angeblich – kein Geld mit den Drogen im Knast, die Russen schon. Diese forderten Geld. Und eine Art Schutzgeld: „Von allem, was in den Knast kommt, wollen die ein Drittel für sich.“ Straff organisiert seien die Russen: „Wie die Bundeswehr; mit Generälen und Soldaten.“
Die 1998 eingeweihte Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen mit 600 Insassen galt lange als eine der modernsten Europas. Vom Luxusknast war auch die Rede, genüsslich berichteten Medien von einem Schwimmbad im Inneren. Handfester waren früh aufkommende Vorwürfe, dass dort mit Drogen gehandelt werde, Schlägereien und Demütigungen an der Tagesordnung seien.
Im Mai 2012 hatte das Landgericht Essen einen 55 Jahre alten Vollzugsbeamten zu zwei Jahren Haft mit Bewährung verurteilt, weil er eine 30-jährige Gefangene mit Kosmetika und Heroin gegen Sex beliefert hatte. Im aktuellen Prozess wundert sich Richterin Jürgensen, dass „keiner mal die Strukturen aufbricht“. Korkmaz C. wird dabei keine Hilfe sein, denn er sitzt wieder in Gelsenkirchen ein, zählt wohl schon zur Stammbesatzung. „Man hat ihn gerne wieder aufgenommen“, sagt Verteidigerin Heike Michaelis.