Altena.. Reaktionen aus der Altenaer Fußgängerzone am Tag nach dem Anschlag auf den Bürgermeister: Empörung, Erschrecken, Furcht - und die Hoffnung: Das schweißt uns noch enger zusammen!“


Nur wenige Menschen sind gestern Morgen in der Altenaer Innenstadt unterwegs. Kanalreiniger säubern die Gullys. Eine ältere Dame mit schlohweißem Haar ist auf dem Weg, um ein paar Kleinigkeiten einzukaufen. „Dass so etwas in Altena passieren kann“, sagt sie sichtlich schockiert. Die Attacke auf den Bürgermeister verschlägt ihr die Sprache. Eine Stadt ringt um Worte.

Altena hat gelitten. Schwer sogar. Seit den 1970er-Jahren hat die einstige Kreisstadt fast die Hälfte seiner Einwohner verloren, war zwischenzeitlich die Stadt in NRW mit dem höchsten Bevölkerungsrückgang. Mit Folgen: Das Freibad am Rand der Innenstadt wurde längst aufgegeben, Schulen geschlossen oder zusammengefasst, Kirchen verkauft oder abgerissen, zuletzt auch noch das Krankenhaus dicht gemacht. Fabriken verfallen, so manches Gebäude verfällt. Und in der Einkaufszone reiht sich Leerstand an Leerstand. Ähnlich leer war über viele Jahre der Stadtsäckel. Dennoch: Trutzig thront die Burg über der Stadt, kündet von einstiger territorialer Bedeutung und altem Glanz. Auch an diesem Dienstag im November, der dunkle Wolken über die Stadt schickt. Es ist der Morgen nach dem Attentat auf den Bürgermeister der Kleinstadt, Andreas Hollstein.

Erster nationaler Integrationspreis für die Stadt

Der CDU-Politiker hatte 2015 im Flüchtlingszustrom nach Europa und nach Deutschland eine Chance erkannt, als viele – auch in seiner Partei – nur eine Gefahr darin sahen: Hollstein kündigte an, freiwillig mehr Geflüchtete in Altena aufzunehmen als gesetzlich gefordert. Für ihn, den praktizierenden Katholiken und Kommunalpolitiker, ein Gewinn für beide Seiten: Diejenigen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, finden ein neues, sicheres Zuhause, vielleicht sogar eine neue Heimat – und die Stadt kann den demografischen Wandel abmildern. Wohnraum, der leer steht, gibt es reichlich. Die Welle der Hilfsbereitschaft ist groß, ebenso die Zahl derer, die sich ehrenamtlich als Integrationshelfer engagieren. Die Parteien im Stadtrat tragen die Politik des Bürgermeisters mit. Gänzlich unumstritten ist diese Politik in der Stadt aber nicht: Am 3. Oktober 2015 legen zwei Altenaer (23, 25) in einem Haus einer Familie Feuer, die aus Syrien geflüchtet war. Der 25-jährige Haupttäter nennt vor Gericht als Grund für seine Tat: Angst vor den Fremden. Als Altena im Sommer dieses Jahres für die Flüchtlingsarbeit mit dem ersten nationalen Integrationspreis der Bundesrepublik ausgezeichnet wird, scheint dieser Vorfall endlich verdrängt.

450 Geflüchtete leben aktuell in der Burgstadt, die rund 17 000 Einwohner zählt. „Das Zusammenleben ist absolut unproblematisch“, sagt Andreas Hollstein gestern noch sichtlich gezeichnet vom Angriff auf sein Leben durch einen Angreifer, der die Flüchtlingspolitik des Bürgermeisters ablehnt.

Zurück in der Fußgängerzone: Karsten Wolfewicz legt am Eiscafé „Cappuccino“ gerade eine Pause ein. Der Altenaer teilt die Einschätzung Hollsteins: „Dummheit kann man nicht erklären“, sagt er über den Angriff und den 56-jährigen Angreifer – und stellt heraus: „Türkische Mitbürger springen dem Bürgermeister zur Hilfe und retten ihn!“ Wolfewicz, Denkmalberater und Experte für mittelhochdeutsche Literatur, ist sich sicher: „Der Vorfall schweißt uns noch enger zusammen in der Stadt!“

Ein Schwelbrand in der Gesellschaft?

Rudi Küster, ein Rentner mit dunkelblauer Prinz-Heinrich-Mütze, geht ein paar Meter weiter an der Imbissbude vorbei, in der die Attacke stattgefunden hat: „Die Nachricht von dem Angriff hat mich gewaltig erschreckt.“ Küster erinnert an die Zeit, „als die Gastarbeiter in die Burgstadt kamen: Italiener, Spanier, später Jugoslawen – man hat sich immer gut verstanden. Und die Flüchtlinge heute sind doch auch Menschen.“

Vor dem Altenheim in der Fußgängerzone, nur ein paar hundert Meter stadtabwärts, ist Ursula Panke unterwegs. Sie zieht einen Einkaufswagen hinter sich her. Einen „Schwelbrand“ macht die Altenaerin aus. Damit ­beschreibt sie das Phänomen, das immer mehr Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, den Geflüchteten für ihre Situation die Schuld geben. „Was nehmen uns denn die Flüchtlinge in Altena weg? Nichts!“, hält Ursula Panke dieser Haltung entgegen.